Erstellt am: 19. 2. 2014 - 21:44 Uhr
The daily Blumenau. Wednesday Edition, 19-02-14.
Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.
Hier die Kurzversion für die tl;dr-Figuren: Zuerst belege ich anhand recht willkürlich herausgegriffener aber realer Alltagsbeispiele dass jeder Journalist das, was Constantin Seibt, einer der zwei meistzitierte Medien-Blogger im deutschsprachigen Raum, so vor sich hin thest, jederzeit selber erkennen und folglich auch umsetzen könnte. Und dann versuche ich mich in einer eher formalen Erklärung seiner Bedeutung.
Die persönliche Note und andere brachliegende Rohstoffe
#medien #journalismus #selfie
Es war in dieser Besprechung in der es (wie jedes Jahr um diese Zeit) um die Entscheidung ging, ob FM4 heuer wieder ein Assessment-Center durchführen oder zumindest Praktika-Plätze vergeben würde; obwohl wir (nach dem x-ten ORF-Sparbudget) nur in minimalem Umfang etwas bieten können, was Nachwuchs-Journalisten wirklich brauchen würden. -> siehe dazu auch hier.
Da kam kurz die Rede auf die Aufgabe des Geschichten-Erzählens. Abgesehen davon, dass dies die ureigentliche Aufgabe des Journalismus ist, heißt auch eine Station im AC so: Erzähl uns eine Geschichte. Wie wichtig und erhellend das gewesen war und welche zunehmende Bedeutung es hätte.
Das war die einzige Sekunde in dieser Besprechung in der ich rundum zufrieden war: Denn so war das nicht immer. Es wurde nämlich in früheren Zeiten auch schon der scheinobjektive Report, der halbamtliche Bericht, die schiere Faktenvermittlung oder die erlebnisaufsatzhafte Nacherzählung der Kunst, eine Geschichte erzählen zu können, vorgezogen.
Gute Geschichten sind manchmal wie Märchen, oder sie versorgen dich mit den notwendigen Tools, ein Thema besser einschätzen zu können. Oder sie sind rasant erzählte Anreißer, die neugierig auf eine anderswo vorhandene Vertiefung machen. In jedem Fall strahlen sie eine Art Wärme ab, drängen sich durch Eindringlichkeit, Intensität oder Bedeutung zwischen dich und deinen Bequemlichkeitsfilter.
Ein paar Stunden später habe ich das frisch eingetroffene Jahrbuch für Journalisten 2014 ausgepackt, einen jedes Jahr aufs Neue mit interessanten Themen lockenden Reader mit durchaus branchenkritischem Anspruch jenseits der feisten Selbstabfeierung. Und ich bin zuerst über ein Interview mit einer Zeit-Magazin-Reporterin gestolpert, in dem sie über Schreibtempo und sinnlos-perfektionistischen Ansprüche erzählt. Ich habe einen Abend drauf eine Kollegin getroffen, die die Verhältnisse in der nämlichen Redaktion kennt und so kritisch sieht, dass sich alles relativieren ließe - trotzdem ist die Hookline des Interviews ("wer nicht perfekt sein will, schreibt besser") die Basis eines großen Popsongs.
Ein paar Seiten davor fand sich eine Thesenschrift des berühmten Medien-Bloggers des Tagesanzeigers, Constantin Seibt, schon aus dem Mai des Vorjahres. Ich als nicht regelmäßiger User, kannte die 15er-Liste nicht und las also hinein.
Seibt fasst da zusammen, was ein paar Wochen später Schirrmacher und gerade jetzt Fleischhacker an Erkenntnissen verbreiten: Der Journalismus, vor allem die Tanker-Kapitäne, tut sich in seiner Behäbigkeit schwer; er hat sein Gewohnheitsrecht, sein News-Monopol und seine respektumflorte Kanzel verloren, und findet sich am Beginn der Gutenberg-Parenthese, also am digitalen Marktplatz, wo viele eine Stimme haben, nicht zurecht; auch weil er weiter bieder und brav copypastend und newsfixiert vorgehen will.
Seibt fordert die große Lösung des Umdenkens, benennt "Stil" als "eine große ungenutzte Ressource", redet einem individuellen Ton das Wort. Eine immer komplexer werdende Welt ohne Lüge, mit "Schwung und Klarheit" darstellen, Haltung zeigen, glaubwürdig sein, den Rückkanal nutzen etc. Die Krise halte die Chance bereit mit Wachheit, cleverem Handwerk und ein wenig Mut alles zu gewinnen.
Seibt fasst alles so zusammen, dass jeder, der sich irgendwann einmal selber Gedanken über diese seine Branche gemacht hat, gar nicht anders kann, als großteils zustimmend zu nicken. Er schärft den einen oder anderen Punkt, aber er spitzt nur manchmal wirklich zu, er bleibt positiv auffordernd wie der bestmögliche Sponsor des Anonymen Alkoholikers, er vermeidet tomcruisemäßige Visionen.
Nichts von dem, was er sagt, geht über das hinaus, was jeder denkende Medien-Menschen innerhalb von einer Woche mit zwei, drei tiefergehenden Kollegengesprächen und einem mittellangen Nachdenkspaziergang auch aus dem Thema rausholen würde (wenn er in seinem Alltag die Zeit dazu hätte, sich damit schreiberisch zu beschäftigen).
Seibt ist deshalb populär/beliebt, weil er diese "Der sagt, was ich mir schon lange denke"-Fähigkeit besitzt und ein Thema markengerecht besetzt hält. Und Seibt macht darüber hinaus etwas ganz Schlaues: Er organisiert sich marktgerecht. Die Zielgruppe, die den größten Erkenntnisgewinn aus seinen Thesen-Geschichten zieht, sind nämlich nicht so sehr die Journalisten, als vielmehr die Chefs und Verleger, also praxisferne und recht visionslose Gesellen. Die benötigen Input in einer Form, die sie verstehen. Und da ist der präsentations-taugliche, auf knappe Thesen heruntergebrochene Seibt-Stil genau der richtige. So gesehen befolgt Seibt also seine eigenen Ratschläge (Stil als ungenutzte Ressource) nachdrücklich.
Seibt ist mittlerweile eine Art McKinsey oder Boston Consulting für die von der Medienkonvergenz betroffenen Notstandsgebiete; Bis auf die verheerende Wirkung der Berater-Firmen, die von Destruktion und Verunsicherung leben. Seibt liefert Input, den letztlich jedes große Medien-Unternehmen auch selber herstellen könnte - würde man die überall vorhandene entsprechende Kompetenz nützen. Da würden vielleicht nicht so schöne glänzende Thesenlisten rauskommen, aber auf die speziellen regionalen und medialen Bedürfnisse Zugeschnittetes.
Das ist nämlich, nach dem Stil, dann die allerletzte noch viel ungenutztere Ressource im Überlebenskampf der Massenmedien alter Prägung.
P.S.: Die aussagekräftigere Liste zum Thema Journalisten kommt von der Bloggerin Shitika Anand. Die hat 8 Gründe dafür keinen Journalisten zu daten zusammengestellt, sie hat recht und sie fällt sich dann selber (ebenso zurecht) in den Arm.