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Todor Ovtcharov

Der Low-Life Experte

19. 2. 2014 - 14:26

Liebe die Schweizer, Otto!

Mein Freund Otto rief mich gestern an: "Du musst etwas über diese blöde Ausländervolksabstimmung in der Schweiz schreiben, das ist einfach eine Unverschämtheit!"

Mit Akzent

Die unaussprechliche Welt von Todor Ovtcharov. Jeden Mittwoch in FM4 Connected (15-19h) und als Podcast.

Otto ist ein Urwiener. Er verfolgt eifrig alles, was die Zukunft der EU betrifft. Dass die Schweizer sich entschieden haben, ihren Arbeitsmarkt für EU-Bürger nicht mehr ganz zu öffnen, wurde von Otto als eine persönliche Beleidigung angenommen. "Haben wir denn Arbeitsquoten für Schweizer?", fragte mich Otto empört. Meine bulgarischen Freunde hingegen finden das gar nicht so dramatisch. Sie sind gewöhnt auf dem Arbeitsmarkt in Europa diskriminiert zu werden.

Von allen Schweizern kenne ich Max Frisch eigentlich am besten. Er würde diese Entscheidung wahrscheinlich nicht unterstützen. Die Volksabstimmung wurde ja am meisten im ländlichen Bereich befürwortet. Dort, wo die Menschen am wenigsten von Arbeitsmigration gefährdet sind. Große Städte hingen lehnten die Verschärfung der Einwanderungsgesetze ab. Eigentlich kenne ich noch weitere vier Schweizer. Ich habe sie an der bulgarischen Schwarzmeerküste kennengelernt. Zwei von denen hatten Deutsch als Muttersprache, die anderen zwei Französisch. Die Sprachgrenze verlief mitten in ihrem Dorf, irgendwo hoch in den Alpen. Was immer sie trennte, es gab zwei Sachen, die sie vereinten. Die erste war die gemeinsame Abneigung gegenüber dem Essen im All-Inclusive-Hotel (alle anderen Hotelgäste - Deutsche, Schweden, Russen und Engländer - hatten nichts dagegen. Sie zeigten ihre Zustimmung, indem sie den ganzen Tag Essensberge vernichteten).

Schweizer Alpen

CC BY-SA 2.0, flickr.com User: KlausNahr

Die zweite Sache, die sie vereinte, war Dessi. Dessi arbeitete in einer Bar. Die Schweizer liefen jeden Abend vom Hotel davon und gingen zu Dessis Bar am Strand. Dessi hieß sie immer freundlich willkommen. Sie war ein schönes Mädchen, das sowohl Deutsch, als auch Französisch sprach. Vielleicht deshalb fühlten sich die Schweizer so sehr von ihr angezogen. Sie tranken bei ihr bis zum Morgengrauen. Auf dem Rückweg ins Hotel sprachen sie laut und zynisch über Dessis Qualitäten. Ihr komisches Deutsch und ihr komisches Französisch vermischten sich und ergänzten sich irgendwie. Über Dessi schwebte somit eine eigenartige Aura.

Irgendwann reisten die Schweizer ab. Ich musste mich auch auf dem Weg nach Hause machen. Ich ging noch ein letztes Mal zu Dessis Bar, um mich zu verabschieden und ihr zu sagen, dass die vier Schweizer weg sind. "Jeder dieser Typen, hat jeden Tag meinen Monatslohn vertrunken. Und sie haben mir nie Trinkgeld dagelassen." Dessi lächelte verbittert. Ich konnte jetzt nicht Max Frisch zur Hilfe rufen, um zu zeigen, dass nicht alle Schweizer so sind.

Aber ich kann Otto beruhigen. Keine Sorge Otto! Liebe alles, was aus der Schweiz kommt: Käse, "Omega"-Uhren, Schokolade und Bankgeheimnisse. Glaub nicht, dass diese Volksabstimmung die Schweizer Denkweise erklärt! Max Frisch hat mal gesagt: "Unsere Meinung, dass wir das andere kennen, ist das Ende der Liebe." Deshalb Otto, liebe die Schweizer!