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Rainer Springenschmid

Punk & Politik, Fußball & Feuilleton: Don't believe the hype!

21. 2. 2014 - 17:11

Nah am Glaspuzzle

Das neue Album der bayerischen Indie-Urgesteine von The Notwist schafft das Kunststück, anspruchsvoll und eingängig zugleich zu sein.

Es blubbert, summt, klingelt und piept ganz gewaltig auf Close To The Glass. Schon der Opener Signals scheint aus einer Spielkonsole zu kommen. Der organische Indie-Pop, der noch das letzte Album dominiert hat, ist erst mal ganz weit weg. „Das war ein Stück, das wir schon hatten”, erzählt Sänger und Gitarrist Markus Acher, "und als wir angefangen haben, an der Platte zu arbeiten, haben wir das mal wieder angehört und dachten uns dann, es wäre genial, damit anzufangen, weil das irgendwie so auf eine Art ganz anders ist wie die letzte Platte, oder überhaupt alle Notwist-Platten bisher und trotzdem passt es dann auf eine Art auch wieder."

Der Sound, der einem am Anfang entgegen kommt, ist sozusagen nah am Glas gebaut – hell und zerbrechlich. Aber der erste Schein trügt: in Wirklichkeit ist auf Close to the Glass fast alles enthalten, was das Notwist-Universum in den letzten 25 Jahren ausgemacht hat: Synthie-Experimente, Indie-Pop-Balladen, Elektro- und Disco-Rhythmen, Streichersätze und Gitarren-Feedback.

Albumcover: Collage in blau-orange

The Notwist

Close to the Glass

Ein musikalisches Sound-Puzzle

Da gibt es folkige Indie-Pop-Hymnen wie die erste Single Kong, 7 Hour Drive oder Steppin’ In. Da gibt es das neunminütige Instrumentalstück Lineri, das irgendwo zwischen drogigem Trance und dem Country-Dream-Pop der Cowboy Junkies herumschwirrt. Into Another Tune unterlegt einen traurigen Liebeskummer-Gesang mit Streicher-Loops á la Owen Pallett, bevor dann ein Bläser- und Vibraphon-Geblubber übernimmt, das für die Band eine Hommage an den Minimal-Komponisten Steve Reich ist.

„Als wir angefangen haben,“ erzählt Markus, „haben wir gemerkt, jedes Stück klingt irgendwie komplett anders. Wir hatten keine Ahnung wie wir das überhaupt zusammen kriegen. Irgendwann haben wir uns gedacht, dass es vielleicht sogar die Stärke oder die Charakteristik der Platte ist, dass wir versuchen, das wie ein Puzzle aus verschiedensten Elementen ein Ganzes zu formen, was sich vielleicht erst über Brüche und nebeneinander Stellen von extremen Gegensätzen erschließt.“

So klingt die Platte auch: Da gibt es ganz harte Stilbrüche, manchmal mitten in einem Song, manchmal stehen zwei ganz unterschiedliche Tracks ohne Pause direkt hintereinander. Als verbindendes Element bleibt Markus Achers charakteristischer, unmittelbarer Gesang – und die Notwist’sche Melancholie, die überall zu spüren ist.

Wie viel Musik passt in eine Band?

13 & God Bandfoto, The Notwist und Themselves

13 & God

Extreme Gegensätze, die den musikalischen Alltag der Bandmitglieder wiederspiegeln. Martin Gretschmann und die Brüder Markus und Micha Acher leben ihren musikalischen Nerdism in vielen unterschiedlichen Projekten aus: mit den amerikanischen Avantgarde-HipHoppern Themselves haben sie die Band 13&God, mit Freunden betreiben die Acher-Brüder die Jazz-Dub-Formation Tied & Tickled Trio, Martin Gretschmann hat seine Elektropop-Band Console. Martin und Micha sind in je einem Mann/Frau-Duo (Ms John Soda, Lali Puna) aktiv und Gretschmann hat sein DJ und Producer-Alter Ego Acid Pauli.
Daneben produzieren sie als Band und auch solo Soundtracks für Film und Theater (zB hat Micha Acher am Münchner Volkstheater die Dreigroschenoper arrangiert und bei Theaterprojekten von Schorsch Kamerun mitgewirkt), und Micha Acher tritt mit seinem Alien Ensemble in Jazz-Clubs auf und spielt Trompete bei der Rumpelblaskapelle G. Rag und die Landlergschwister – und ab und zu noch in der Dixieland-Kapelle seines Vaters, wo auch Markus vereinzelt am Schlagzeug anzutreffen ist.

Kein Wunder, dass sechs Jahre seit dem letzten Notwist-Album The Devil, You + Me vergangen sind. Zwei Jahre touren, zwei Jahre Nebenbeschäftigungen und zwei Jahre Arbeit am neuen Album, das ist, grob zusammengefasst, ihr Rhythmus.

World Wide Weilheim

Schon als alle drei noch in Weilheim lebten, waren sie Zentrum eines musikalischen Universums, einer Posse rund um die Labels Hausmusik, Kollaps und Payola, in der sich immer neue Projekte entstanden sind, die auf immer neue Art miteinander Musik gemacht haben. Das Experiment wurde zum Normalfall, gesampelt wurden Steine und Fiat Pandas analog auf dem Vierspur-Gerät, bevor einzelne angefangen haben, sich mit elektronischer Musik(produktion) zu beschäftigen.

The Notwist

The Notwist

Die analog wie digital ausgelebte Experimentierfreude ist auch heute noch Grundlage jedes Notwist-Albums. Da wird so lange ausprobiert und wieder verworfen, bis es passt. "Was uns dieses Mal wichtig war, war, dass es sehr direkt klingt", sagt Markus Acher. "Dass man lieber weniger Spuren macht und die, die da sind, sind vorne. Dass man nichts Schwammiges hat oder einen riesigen Sumpf an tausenden von Instrumenten." Wobei das natürlich nicht heißt, dass die Produktion von Close to the Glass deswenigen weniger aufwändig geworden wäre - Notwist fühlen sich schließlich ihren Songs verpflichtet. Elektroniknerd Martin Gretschmann hat im Studio einen Moloch aus Effektgeräten und Synthesizern zusammengebaut.

Der alles verschlingende Klangmoloch

"Man kann sich das so vorstellen, wie eine riesen Schrankwand mit ganz vielen Knöpfen und Steckern, wo immer verschiedenste Module und Elemente miteinander verbunden werden", beschreibt Markus. "Dann entsteht so eine Art Monster, das für sich selbst so arbeitet und wo man eigentlich nicht mehr so richtig kontrollieren kann, was da hinten rauskommt. Man schickt also vorne irgendwas rein - eine Gitarre oder ein Schlagzeug - und hinten kommt was total Komisches dabei raus. Das hat extrem viel Spaß gemacht, also das haben wir ständig gemacht."

Notwist im Studio, Effekt durch Mehrfachbelichtung

The Notwist

Und genau so funktioniert auch Close To The Glass: mit dem Notwist-typischen, melancholisch-näselnden, aber unmittelbaren Gesang von Markus Acher und ihren anschmiegsamen Melodien transportieren sie ihre manchmal sehr sperrigen Arrangements, die ihre unzähligen musikalischen Einflüsse hörbar machen.

So kann man auch den Titel des Albums als Paradox verstehen: Man ist gleichzeitig ganz nah dran und hat doch eine Barriere dazwischen, eben Close to the Glass. So finden sich auf das Album zwar sofort Stellen zum Andocken, trotzdem nutzt es sich auch beim fünften Mal hören nicht ab. Eigentlich das Beste, was man über eine Platte sagen kann.