Erstellt am: 17. 2. 2014 - 21:52 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 17-02-14.
Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.
Wannabes oder: nicht ganz so schiach wie das echte Leben
#bewegtbild #postempire #daily #trashtv
Es war gar nicht so schlimm wie befürchtet, das Debüt von Wien Tag & Nacht, der geskriptete Reality-Dokudrama-Trash, den ATV da heute präsentiert hat. Deutlich handlungsversessener etwa als die deutschen Vorbilder, die mittlerweile im WG-Tisch-Gekeppel stecken geblieben sind. Auch weil das Casting sich dort mehr an Big Brother orientiert hat als das offenbar in Wien der Fall war. Hier bleibt man ästethisch halbwegs anspruchsvoll, mit fast schon liebevoll die Bilder konterkarierenden Off-Denkblasen. Einzelne Figuren dürfen fast so etwas wie Seele haben, wo andere nur dumpf bellen dürfen oder auf einem einzelnen Sirenenton nerven müssen.
Und auch die Sprache ist nicht ganz so verkommen: der ältere Klub-Besitzer spricht ein derbes Strizzi-Wienerisch ohne Anbiederung, die seelenvollen jungen Charaktere dürfen über einen gewissen Wortschatz verfügen.
Es ist vieles echt gut gemeint. Und schmerzt deshalb nicht wirklich. Mach einmal einen Ausflüge in vergleichbare Lokale oder Szenen, in denen die allesamt über den echten Zenit hinaus tätowierten Protagonisten in echt unterwegs wären, und komm mit Leuten ins Gespräch oder belausche sie, wenn du dich nicht traust. Das echte Leben kann oft schiacher und grausamer sein als die dümmste Fernseh-Inszenierung.
Nicht nur weil die neue Blonde vom Land, deren Einstieg in eine allzu artifiziell zusammengestellte Freundeskreis-WG ein wenig larissahaft daherkommt, drängt sich der Vergleich auf.
Ist die Tag & Nacht-Reihe, die ab jetzt wochentags um 18:15 Uhr täglich eine gnadenlose Stunde lang daherkommt, vielleicht auch so ein Hort des Widerstands, also "Post-Empire", so wie es der Kollege Bogner im Vice mit dem von Bret Easton Ellis popularisierten Begriff erklärt? Also völlig gegen die Regeln der Gesellschaft, die sich in Medien, Politik und Showbiz festgekrallt haben und alle Teilnehmer dazu zwingen sich anzupassen - und für eine neue, stupende Realness, die diese törichte Hörigkeit an die eingeschliffenen Formate und die verlogenen Leistungs-Anforderungen und ihr zynisches Belohnungssystem auf das Grellste unterlaufen.
Das tat schon die junge Frau Marolt in ihrer Nicht-Rolle als Larissa aus dem Dschungelcamp nur bedingt: ihre Echtheit ist aus Seifenblasen geformt, ein Produkt der Grasser-Meischberger-Schule, ein Nichts, dass sich nach einem absurden Akt lustigen Widerstands in der nächsten Sekunde wieder den Herrschaftsstrukturen unterwirft.
Wien, Tag & Nacht tut gar nicht erst so, als hätte die Realness der Protagonisten etwas gegen den Strich Gebürstetes. Für mehr als ein Wannabe reicht es bei niemandem. Und auch das Spiel mit der Halbwelt, die alte Sehnsucht mit einer Outlaw-Karriere zu schnellem Geld oder Ruhm zu kommen (egal ob als Sportler, Popstar oder Freibeuter), bleibt in den vorgestanzten Bahnen. Die überall sichtbaren Grenzen, die nicht überschritten werden sollen, wird auch keiner überschreiten. Wilder als mit Chakuza beim Playback-Auftritt wird's nimmer.
Auch hier gilt der Grundsatz nach dem Medienfutter für die Masse geformt ist: Fassade bewahren, nach den Regeln spielen. Voll Empire also, es braucht sich niemand Sorgen zu um das Abendland zu machen.
He's a heckler and he's out to get you
#anonymität #parlamentarismus #dialogfähigkeit
Da war er wieder, heute im Parlament zu Wien: der Heckler. Ja, auch dort.
Er ist mir in den letzten paar Tagen so oft begegnet, praktisch und auch theoretisch, dass ich nicht umhin konnte, zu lächeln.
Die immer noch beste Beschreibung des Wesen des Hecklers liegt in diesem schönen Gedicht des Singer/Songwriters Loudon Wainwright III:
The Heckler heckles and he gibes and he jibes
Listen to him and you'll make mistakes
He applauds when your guitar string breaks
He's a heckler and he's out to get you
Some say he's drunk and some say he's stoned
He wants you deposed and dethroned
A crank caller would've telephoned
His aim is to upset you
He rarely bites but he can really bark
When those lights go out and that house gets dark
I doubt that he can even double park
But you know, boy, he sure can heckle
And you're really in for a surprise
When he comes backstage to apologize
And to remind you he's just to of the guys
Mr. Hyde and Dr. Jekyll
The Heckler heckles and he gibes and he japes
You start to listen to him and you're gonna make some mistakes
He really hopes that your leg breaks
He's a heckler and he's out to get you
Zwei seines Schlags waren beim Protestsong-Contest am Mittwoch vor Ort; die ganze Sippe seiner virtuellen Ausprägung (der des Trolls) dann am Donnerstag bei Frau Brodnigs Buchpräsentation - und jetzt, just als ich mich zu Lopatkas Hypo-Erklärungs-Rede heute ins Parlament reingetuned hatte, war gleich eine unbestimmbare Anzahl seiner Spezies zu hören.
Der Heckler, der Zwischenrufer, der in störender Absicht reinplärrt; bei jedwedem öffentlichen Anlass, immer im Bewusstsein das Mitpublikum bei einem guten Gag auf seiner Seite zu haben und die Definitionsmächtigen, die am Wort befindlichen damit anzukratzen.
Das ist im übrigen weder Empire noch Post-Empire, sondern recht simple Psychologie: wer kein Verstärker-Gerät hat, kann sich nur übers Dazwischenrufen äußern. Das gilt in echt (bei Konzerten, Reden etc.) und auch symbolisch, bei Medien etwa. Deshalb ist das Netz voll von Zwischenrufern.
Die Netz-Demokratisierung führt aber schnell dazu, dass aus dem Zwischenrufer der Meinungsabsonderer, Blogger, Meinungsführer werden kann. Wer also aus demokratiepolitischen Gründen heckelt, der kann seit ein paar Jahren schneller raus aus dieser unterprivilegierten Situation.
Übrig bleiben die, die es aus den Gründen machen, die Loudon Wainwright da nebenstehend beschreibt: um zu verletzen.
Es gibt zwei Möglichkeiten mit Hecklern umzugehen: Einbeziehen oder Ignorieren. In der Live-Situation (auf der Bühne) plädiere ich stark für Zweiteres. Der Heckler ist nämlich meist nur von einem Bruchteil der Anwesenden zu verstehen - seine Sprüche aufzunehmen, zu wiederholen oder zu entgegnen, bringt ihm nur Aufmerksamkeit. Der Heckler ernährt sich davon. Nur beharrliches Weghören führt zu schnellen Aufgabe.
Viele schaffen das nicht - sie fühlen sich vom Ehrgeiz gepackt, etwas entgegnen zu müssen und tappen in die große Heckler-Falle. Der hat die Lacher tendenziell immer auf seiner Seite. es sei denn du bist a) sehr sehr gut oder b) inhaltlich unangreifbar. Michael Ostrowksi ist beim PSC manchmal auf die (dort eh halbwegs netten) Heckler eingegangen und hat mit wachem Witz zumindest ein überlegenes Remis erzielt. Eine ernsthafte Reaktion auf einen Zwischenruf darf es nur dann geben, wenn ich an diesem Beispiel etwas wirklich Wichtiges aufzeigen will; und gut vorbereitet bin.
Was auch geht: Teile der Botschaft oder lautmalerisch ähnlich Klingendes übernehmen und scheinbar für gut befinden; also eine sarkastische Version der Vereinnahmung.
Ansonsten: Finger weg vom Dialog mit dem Heckler. Und deshalb auch gar nicht erst reinschauen in die einschlägigen Heckler-Gruben.
Im Parlament wird reagiert. Immer.
Außer man ist neu und steif (Nachbaur), aber dann bekommt man erst einmal kaum welche.
Der Vorteil dort ist: die Zwischenrufe kommen von den Parlamentariern selber, sind also zuordenbar und gar nicht anonym. Trotzdem ist ihr Zweck der gleiche: Verletzung, Verstörung, Verzögerung, Wichtigtuerei. Nichts ist so bedeutsam, dass es einen Zwischenruf brauchen würde.
Dass die Redner auf fast jeden und noch so blöden Heckler einsteigen, hat nichts damit zu tun, dass sie besonders dünnhäutig sind; oder besonders dialogfähig und politisch sensibel.
Es ist Usus, dass im Parlaments-Protokoll alles, also auch jeder Zwischenruf vermerkt wird. Wenn man also auf Untergriffe oder bewusste Unwahrheiten oder anderes Störfeuer nicht eingeht, entsteht im Protokoll der Eindruck als würde man diesen Rufen beschämt zustimmen.
Das ist nun durchaus ein Antrieb sich zu wehren.
Es macht die parlamentarische Rednerei aber zu einem echten Missvergnügen (für Redner und Zuhörer) und lenkt die Volksvertreter unendlich oft ab, verplempert ihre, also auch unsere Zeit.
Und der Profi-Heckler, der andere Parlamentarier, braucht das Ventil des Zwischenrufs noch deutlich viel weniger als der öffentliche Privat-Heckler (der seine Anmerkungen mittlerweile auch anders ans Volk bringen kann) oder gar die vieltippenden Trolle.
Im Sinne eines zeitgemäßen Umgangs mit Hecklern wäre es also womöglich schlau den Antrag auf Streichung der Zwischenrufe aus den Parlaments-Protokollen zu stellen. Ihre Zahl würde dann nämlich drastisch zurückgehen, ebenso wie die Sitzungsdauer und die Energie-Effizienz würde steigen. Es würde den Verwaltungsaufwand schlanker und einige Leben wieder lebenswerter machen.