Erstellt am: 16. 2. 2014 - 15:58 Uhr
Flimmern: Gender und Troubles
Public Domain / blackpast.org
„Vergiss doch einmal diesen Aktualitäts-ich-bin-erster-Blödsinn“ – zugegeben, diesen Aufruf der geschätzten Freundin und Lektorin dieser Seite hat es schon gebraucht, immerhin ist Stuart Hall, der größte lebende Philosoph, wie ich ihn wenige Tage zuvor hier bezeichnete, bereits letzten Montag verstorben, aber das ist aktuell genug, um nochmal dran zu erinnern.
"Ich weiß nur, was ich nicht bin: Ich bin nicht das, was meine Familie von mir erwartet hat, und ich bin nicht an dem Platz, den mir die Gesellschaft zugewiesen hat. In diesem Sinn habe ich keine Idee davon, wer ich bin. Deshalb ist es auch wenig überraschend, dass ich ein Antiessenzialist bin und für Hybridität eintrete. Ich war nie ein zorniger Revolutionär. Ich war nur unzufrieden mit jeder Form von Sich-Niederlassen, mit der ich mich identifizieren sollte. Sie können viele der Themen, über die ich geschrieben habe, davon ableiten. Es wäre aber ein Missverständnis, anzunehmen, dass ich das immer schon gewusst hätte. Ich habe das erst später, auf Umwegen, entdeckt." (Stuart Hall im Interview mit Mathias Dusini, 2001)
Jetzt erst häufen sich überall die Nachrufe, von Hall-Weggefährten und Musiksoziologen- Guru Lawrence Grosberg bis zum heimischen Cultural-Studies-Schlachtschiff und Fußballphilosophen Roman Horak, und die doch recht lange Zeit, die zwischen der Meldung von seinem Ableben und dem Erscheinen der meisten Nachrufe vergangen ist, legt nahe, dass der Tod des immerhin bereits 83-Jährigen in England doch ein wenig überraschend gekommen sein dürfte.
Vielleicht haben sich seine JüngerInnen insgeheim gewünscht, er möge, wie Levi-Strauss, doch noch lange leben und noch lange immer wieder in seiner humorvoll warmen Diktion - wie hier im Interview mit dem Werbungskritiker und Medienphilosophen Sut Jhally - so trennscharfe und wohlüberlegte Statements zur Lage der Welt und dem Zustand seiner beiden Schöpfungen, den „Cultural Studies“ und der „Open University", abgeben.
[...] a lot of people in cultural studies think "we can't just go on producing another analysis of the sopranos, sorry - there's something more going on in the world that requires our contribution." (Stuart Hall zu Cultural Studies heute)
Die Cultural Studies waren es auch, die mitbeteiligt waren, das Zentrum des Diskurses innerhalb von Soziologie, Philosophie und Politikwissenschaft zugunsten bis dahin marginalisierter Disziplinen “Gender Studies“, “Queer Studies“ und “Post Colonial Studies" zu verschieben, und hier vor allem die linke Hälfte in diesen Disziplinen weg vom klassischen „Hauptwiderspruch“ (Arbeit vs. Kapital) an die „Nebenwidersprüche“ (so bezeichnet, weil sie sich nach der Beseitigung des Hauptwiderspruchs angeblich von selbst erledigen würden und somit keiner weiteren Beschäftigung bedürften) heranzuführen.
Laaangweilig? Buuuh? Öde? Weltfremd? Wurst? Was kümmern mich die paar Quasselstrippen?
Schon ein wenig, liebe intellektuellenfeindliche Freunde, aber nicht ohne Impact.
50 Facebook Ways to Name your Lover:
Agender
Androgyne
Androgynous
Bigender
Cis
Cisgender
Cis Female
Cis Male
Cis Man
Cis Woman
Cisgender Female
Cisgender Male
Cisgender Man
Cisgender Woman
Female to Male
FTM
Gender Fluid
Gender Nonconforming
Gender Questioning
Gender Variant
Genderqueer
Intersex
Male to Female
MTF
Neither
Neutrois
Non-binary
Other
Pangender
Trans
Trans*
Trans Female
Trans* Female
Trans Male
Trans* Male
Trans Man
Trans* Man
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Trans Woman
Trans* Woman
Transfeminine
Transgender
Transgender Female
Transgender Male
Transgender Man
Transgender Person
Transgender Woman
Transmasculine
Transsexual
Transsexual Female
Transsexual Male
Transsexual Man
Transsexual Person
Transsexual Woman
Two-Spirit
So hat die erfolgreichste kapitalistische Blase der Gegenwart letzte Woche etwas Erstaunliches gemacht: Facebook hat es US Usern erlaubt ihre „Gender Options“ frei zu wählen und kommt somit einem Wunsch von Menschen nach, die nicht eindeutig ihrem biologischen Geschlecht zugehörig sind. Das soziale Netzwerk hat eine neue Funktion freigeschaltet, die es den Nutzern ermöglicht, neben den Geschlechtskategorien "männlich" und "weiblich" auch Kategorien wie etwa "intersexuell", "transsexuell" oder "neutrois" anzugeben – insgesamt ergibt das mehr als 50 Möglichkeiten, sich selbst zu bezeichnen. Zudem können Nutzer künftig frei entscheiden, mit welchem Personalpronomen sie angesprochen werden wollen: er, sie oder es. "There's going to be a lot of people for whom this is going to mean nothing, but for the few it does impact, it means the world," so Facebook Software Engineer Brielle Harrison zu Associated Press.
Und dies spielt sich nicht in einem studentischen Zirkel oder einer feministischen Splittergruppe ab, sondern in der größten Kommunikationsplattform, die die Welt je gesehen hat. Wenn das Stuart Hall noch erleben hätte können, nun, es war denkbar knapp.
Und dann ist noch etwas höchst Kurioses passiert, das ein nicht so strahlendes Licht auf uns Journalisten wirft: Letzte Woche hatte der nette österreichische Kleinverlag Sonderzahl in einer Mail-Aussendung an 2.000 KulturjournalistInnen höflich angefragt, ob die geschätzten Kolleginnen Journalisten die Verlagsinformationen denn lieber in elektronischer Form oder auf Papier erhalten würden. Die erste Antwort eines Kritikers geht an alle, die Antwort darauf von einer Fernsehjournalistin, er solle nicht auf „allen antworten“, sondern nur „antworten“ klicken, seine Antwort interessiere sie nicht – auch diese Antwort geht an alle.
Man ahnt, was da passiert ist – irgend ein technisches Gebrechen – aber man ahnt nicht, wie sich die gesammelte deutsche Kulturjournaille als Schwarm verhält. Nicht besonders intelligent nämlich – so entsteht ein Riesensammelmailverteilerkrieg, der drei Stunden dauert, voll von Beschimpfungen, oft gegen den armen Kleinverlag, oft gegen Kollegen, der eine heißt den andern dumm, der eine ruft nach Ruhe und der andere schreit laut auf, wieder eine kommentiert lakonisch und macht sich über die Kollegenschaft lustig - aber alle benutzen stur den offensichtlich vergifteten Antwortbutton, und so geht jede Regung wieder an alle und aus einem Scheeball ist eine Lawine geworden.
Würde ich nicht annehmen, dass der Sonderzahl Verlag für die Lancierung einer solchen Gemeinheit zu fein und zu korrekt ist, müsste ich hier zur gelungensten Pressesabotage der letzten Zeit gratulieren, oder auch, wie es die Kollegin der Stuttgarter Zeitung formuliert hat, zu "diesem speziellen Beitrag zum Wiener Aktionismus". Der "tagesspiegel" hat es zusammengefasst.
Und wem das noch immer zu langweilig ist, der darf jetzt den unvergleichlichen Slavoj Žižek dabei zuhören, wie er uns mit kunstvoll weit hergeholten Argumenten den Überbau schenkt, damit wir ohne komische Gefühle richtig schön "Rammstein genießen" können.