Erstellt am: 16. 2. 2014 - 15:44 Uhr
The daily Blumenau. Long Weekend Edition, 16-02-14.
Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.
Das lange Weekend umfasst auch den Freitag. Denn da war ich schon ab dem Morgen mit der Bahn in Richtung Anderswohin.
Die unsichtbaren Poster und die Sache mit den Leserbriefen
#medien #web #anonymität
Ich plädiere weder für null noch für hundert Prozent Anonymität, sondern für eine komplexere Auseinandersetzung mit diesem Thema, schreibt Ingrid Brodnig in ihrem eben erschienenem Buch "Der unsichtbare Mensch" (hier bei Robert Glashüttner bereits mehr als kompetent vorgestellt), und das ist einer von vielen sofort zu unterschreibenden Sätzen in ihrem Text über die gesellschaftsverändernde Anonymität im Internet.
Weil das alle so sehen, die guten Willens an eine letztlich gemeinsam betriebene, also soziale Idee herantreten, gab es bei der Podiums-Diskussion zur Buch-Präsentation letzten Donnerstag im rhiz auch keine künstlich aufgeschäumten Gegensätze, sondern konstruktive Auseinandersetzung. Und mein Part als Krokodil, (Brodnig hatte mich vor einem Monat, nach dieser kleinen Provokations-Schrift eingeladen) enthielt dann folgerichtig auch keine Verbots-Forderungen oder etwa einen Pro-Klarnamenzwangs-Position.
Für mich war es mehr als interessant die aktuelle Politik des qualitativ hochstehenden Zeit-Online-Forums vom anwesenden David Schmidt zu erfahren. Abgesehen davon, dass in Deutschland Ressourcen und Personal aufgewendet werden können, um den Posting-Traffic zu steuern, von denen ganz Medien-Österreich nur träumen kann (zum einen: zu viel Krise; zum anderen: zu wenig Chef-Verständnis über die Bedeutung dieser Sache): Die rigide Lösch-Politik bei Beschimpfung, Untergriffigkeit, absichtlichem Abgleiten und vielen anderem mehr erinnerte mich dann doch an die Anfänge im FM4-Forum, als wir (wie bei fast allen Innovationen, wo wir zu weit vorne waren, um internationale Anleihen nehmen zu können) uns gefühlsmäßig für eine vergleichbare Linie entschieden hatten, die für eine recht lange Zeit (bis hin zu gesetzlichen Verschärfung der User-Bedingungen für alle ORF-Online-Seiten durch die Regierung, nachdem die Verlags-Lobby das verlangt hatte) dafür sorgte, dass die Postings im FM4-Forum ein deutlich höheres Level und deutlich geringere Troll-Frequenz und auch deutlich weniger politisch extremistische Besucher hatte als alle anderen Medien-Seiten des Landes; die vergleichsweise unregulierte standard.at-Site inklusive.
Das war ein hartes Stück unbezahlte und nebenbei, quasi in der Freizeit verrichtete Arbeit, die von den meisten nicht gesehen und von den Betroffenen (den Radikalen und den Trollen) natürlich hasserfüllt verfolgt und bekämpft wurde. Gut, rückwirkend die prinzipielle Richtigkeit dieser Handlungsweise so bestätigt zu bekommen.
Auch durch Twitter-Nachmeldungen wie diese: "amüsant wenn @martinblumenau & @zeitonline erzählen, dass 1 - 3 Journalisten entscheiden können/müssen/sollen was nicht veröffentlicht wird".
Amüsant, lieber jetzt hier gar nicht namentlich Genannter (man will ja die Anonymität wahren), dieses verpeilte Nicht-Begreifen, dass logischerweise es Journalisten sein müssen, die Postings auf Medien-Seiten bewerten und notfalls entsorgen. Wer denn sonst? Imker, Polizisten, Juristen? Oder ein Plenum, in dem die Trolle 50% der Sitze bekommen?
Wenn Postings (wie in einigen Fällen bereits geschehen) den Status von Leserbriefen haben, also auch unters Redaktionsgeheimnis fallen, dann entscheidet selbstverständlich die Redaktion, welche davon erscheinen.
Andernfalls müsste man nämlich auf Anfrage Daten (so eine Forums-Anmeldung erfolgt ja per Mail-Adresse, teilweise auch per Telefonnummer) zur Strafverfolgung freigeben, die man so zurückhalten darf.
Zum Thema Bjelica gibt es eigentlich genau nichts zu sagen
#fußballjournal14
... außer dass die Entlassung zu spät kam.
Hier eine aktuelle schlüssige Analyse von abseits.at. Und hier noch eine nachträgliche bei laola1.at
Zum vormaligen Wolfsburg-Coach habe ich mich auch in den ersten Wochen bei der Austria als Stöger/Schmid-Nachfolger vor allem deshalb sehr zurückhaltend geäußert, weil mir nie klar war, welcher Teil des Sichtbaren (bei den Spielen seiner Mannschaften) da auf den Einfluss des Nenad Bjelica zurückzuführen ist.
Die erste Kritik kam nach den beschämenden CL-Vorrunden-Auftritten gegen Islands Meister ("traut sich coachingtechnisch fast gar nix"). Das wurde dann vor den Zagreb-Spielen stärker: ein Vorsichtl, ein Traumined, kein gewiefter Taktiker, kein gut eingreifender Dirigent.
Nach den erfolgreich absolvierten Spielen gegen Dinamo waren die strategischen Schwächen eigentlich augenfällig: Es war der Coach, der die Champions League gefährdete, nicht die Mannschaft. Bjelica als uinbeweglicher Zauderer, der aber auf zufälligen Wellen ganz gut surfen kann. seine schon grotesk falsche Einschätzung von Dinamo Zagreb, immerhin der Meister seiner Heimat, sagt einiges.
Im Oktober hab' ich dann meine Zurückhaltung aufgegeben und mir angesichts eines jammervoll vercoachten Auftritts gegen Salzburg eine finale Bjelica-Meinung gebildet.
Als Bjelica Ende Oktober dann mit den Worten "mir ist genug" einen SOS-Notruf losließ und quasi um Entlassung aus einem Job, der ihm eine Nummer zu groß war, bat, war zugegebenermaßen schon ein gehöriger Schuss Häme im Spiel. Stichwort Problembär. Andererseits: zu viel auf Zufall aufgebaut, kein sinnvoller Matchplan, blödestmögliche Aufstellungs-Variante - dazu steh ich heute nach wie vor.
Auch seine kurzfristigen und nur um kurze mediale Aufmerksamkeit buhlenden Menschenopfer: retrospektiv lachhaft.
Im November bettelte der Kroate weiter um Erlösung. Der Hinweis, dass die sportliche Führung aufgrund ihrer eigenen Verfasstheit nicht gar so viel über sporttaktische Ideen Bescheid weiß und deshalb nach Vastic einen zweiten kapitalen Einschätzungsfehler begangen hat, gilt heute, am Tag der Entlassung, umso stärker.
Nach dem CL-Match im Estádio do Dragão bin ich über die Wertlosigkeit des erzielten Remis und den Nicht-Willen zu Mehr ehrlich angepisst. In der Halbzeit-Bilanz ist dann von einer um Jahre zurückgeführten Austria die Rede. Die Bilanz des Champions League Auftritts fällt dann auch entsprechend kritisch aus, wiewohl man sich dort vor allem mit dem letzten Spiel gegen Zenit einigen Kredit erarbeitet hatte.
Später spreche ich von Bjelica nur noch als Irrtum. Dass die Austria-Führung weitere zwei Frühjahrsspiele gebraucht hat, um Vergleichbares auch zu erkennen, lässt mich an den nächsten Besuch beim Augenarzt denken.
Immerhin gab es ja neben den unkritischen, ergebnisorientierten Schein-Analysen der Mainstream-Medien auch kluge Einordnungen: die hier gefeaturte Geschichte, die Tomas Simkovic' Abgang zum Anlass für eine Taktik-Analyse des schleichenden Wandels der Philosophie unter Bjelica aufzeigt.
Es lag also alles ganz offen da.
Dass Bjelica gestern auch noch seinen Kapitän desavouierte, war nur ein dummer I-Punkt auf einem Irrtum der sportlichen Leitung, just ihn für dieses Team zu holen; dem zweiten schlimmen Fehler nach der Vastic-Bestellung.
Eigentlich sollte mit Bjelica auch Thomas Parits den Hut nehmen; das Pensions-Antrittsalter hätte er ja.
Buster Keaton on Ice oder die onkelhafte Verklärung
#sochi14
Weil ich gerade bei einer Eishockey-Übertragung den jetzt eh schon seit Sommer '11 aktiven russischen Chefcoach Zinetula Khaidarovich Bilyaletdinov (oder Sinetula Chaidarowitsch Biljaletdinow, wie es die plumpe deutsche Schriebweise diktiert) den ich noch als Beljaletdinow kennengelernt habe, sehe: Bei ihm geht's mir, obwohl er doch ein Stück älter ist als ich, wie dem Onkel und dem Kleinkind.
Ich werde, wenn ich den soignierten Herrn sehe, ewig den schlacksigen jungen Verteidiger vor mir haben, dessen elegantes, vom Bewusstsein seiner überlegenen technischen und taktischen Fähigkeiten teilweise auch schlampiges Spiel, dessen herausragende Individualität von einer Mischung aus Slapstick und Stoik geprägt war.
Bilyaletdinov gehörte nie zur ersten Linie, dem Parade-Block der sowjetischen Dauerweltmeister in den 70ern und 80er. Dort waren mit Fetisov und Kasatonov die Verteidiger, deren Spiel schon so linientreu wirkte, als wären sie als Ideale der russischen Revolution, als Mischung aus Stachanov und Gagarin geboren. Bilyaletdinov bildete gemeinsam mit Vasili Pervuhkin die zweite Linie, die der Genies. Hier in diesem schönen Freak-Forum steht auch, wer die Stürmer der Zweier-Linie waren: und darunter sind Namen wie Shalimov, Kapustin oder Kamenski, alles Leute, die im Vergleich zur ikonischen Einser-Linie Kharlamov, Petrov, Mikhailov (die später auch als Sport-Funktionäre Karriere gemacht haben) schlampige Genies waren, unverzichtbare Ideenträger, auf die kein Team der Welt verzichten konnte, die aber von der der Idee des Kollektivismus verfallenen Sowjetführung nicht ganz nach vorne in die Auslage gestellt werden konnten.
Wie intensiv die Hockey-Helden dieser Generation im kollektiven Gedächtnis Russlands immer noch nachwirken, kann man aus der Tatsache ersehen, dass Vladislav Tretjak, der legendäre Tormann dieser Ära das olympische Feuer mitentzünden durfte.
In jedem Fall ist jetzt Bilyaletdinov der neue Mann auf dem Teamchef-Posten, den Millionen von Russen jeden Tag besser ausfüllen könnten. Im Vorjahr gewann er den WM-Titel, blieb ungeschlagen - bei Olympia gab es gegen Erzfeind USA bereits eine Niederlage im Penaltyschießen.
Bilyaletdinov sieht trotzdem so drein wie immer. Wie der junge Verteidiger in den späten 70ern, wenn er zu einem Solo ansetzte, seinen Körper "nehmt mich nicht so ernst, ich spiele nur" sagen ließ, sich dann elegant durchwurstelte und entweder selber abschloss oder einen No-Look-Pass setzte, um dann einen Jubel à la Buster Keaton zu zelebrieren.
So einer zu werden wie er, das lässt sich nicht vermitteln. Zudem werden an Offensiv-Verteidiger heute ganz andere Ansprüche gesetzt. Gefallen tut es mir trotzdem, dass er da auf der Bank sitzt, ein Poet und Tänzer, ein Querdenker, kein bulliger Haudrauf, kein braver Soldat. Auch wenn ich weiß, dass das nur onkelige Zuschreibungen sein könnten, die aus einer verklärten Zeit rühren.