Erstellt am: 13. 2. 2014 - 07:58 Uhr
Alles beginnt zu schmelzen
Protestsongcontest
Radio FM4 und das Rabenhof Theater suchen das Protestlied 2014.
2013 dachte ich schon, es wäre vorbei mit dem Protestsongcontest. Nach Jahren der fröhlich-weinerlichen Selbstbespiegelung hatte eine internationale Bewegung entrechteter Subjekte die Veranstaltung als symbolische Bühne zur Artikulation ihrer Forderungen ausgewählt. Die Teilnahme einer Band bestehend aus Refugees verhalf dem Contest zu neuer Relevanz, gleichzeitig relativierte sie die Zweckmäßigkeit dieses Liedwettbewerbs, in dem humorvolle Hobbymusiker neben hungerstreikenden Flüchtlingen um Aufmerksamkeit buhlten. Der ganze neoliberale Zynismus offenbarte sich, der die Castingkonkurrenz in die vormalige "Gegenkultur" sickern hat lassen.
Am Abend des 12.2.2013 als Benedikta Manzano mit ihrer magisch-ironischen Ideologiezertrümmerung gewann, schien der Rabenhof kurz wie paralysiert. Zum Buh-Mann wurde ein Juror, der dem Refugee-Musikstück keinen einzigen Punkt gegeben hatte. JurorInnen, Veranstalter und mediale Aufmerksamkeitsbroker gaben sich ob dieser (Fehl-)Entscheidung schwerer getroffen als die TeilnehmerInnen selbst, denen der Wettkampf-Aspekt weniger wichtig war als das gemeinsame Feiern, das Gehörtwerden, der musikalische Austausch.
Im Sommer hat die Fremdenpolizei dann acht der Refugee-Aktivisten nach Pakistan abgeschoben. Weitere Aktivisten werden seither in Untersuchungshaft festgehalten, wegen "Schlepperei" wird ihnen demnächst ausgerechnet in Wiener Neustadt der Prozess gemacht.
"Das Leben ist ein Meer, kalt, mit vielen Eisschollen"
Die Geschwister Esra und Enes mischen als Rapduo Esrap deutschsprachige mit türkischen Lyrics. Mit den Refugee-Aktivisten Salaheddine, Yasin und Tommy Nelson haben sie sich für den Protestsongcontest 2014 zum Fight Rap Camp zusammengeschlossen. "Schmelzende Zeilen", ihren Track in fünf Sprachen, haben sie auf der Bühne des Rabenhoftheaters in der szenischen Form einer gerichtlichen Anhörung dargebracht.
FM4 / Christian Stipkovits
Doch von Anfang an
"Wir gingen gemeinsam durch Folter und Flammen. Heut bauen wir kühn unsern eigenen Staat des tätigen Friedens der friedlichen Tat.", singt der Arbeiterchor auf der Bühne des untersubventionierten Theaters zur traditionellen Eröffnung.
Die Jury:
Die Jury wird sich bald über zeitgemäße Formen, angebrachte Anachronismen und die Ankunft im 21. Jahrhundert streiten.
"Aus Protest gegen die herrschenden Zeitverhältnisse haben wir verspätet begonnen", leitet Moderator Michael Ostrowski ein, der sich für die Radioübertragung ständigen Kostümwechseln unterzieht, während er im Livestream aus ein und derselben Wäsche schaut. Ostrowski führt mit lebendigem Witz durch das Ritual, das heuer wie eine Mischung aus Erweckungsmesse (in einigen Liedern geht es um das Ende des Schlafes) und Prüfungsmarathon anmutet.
Die Jury, bestehend aus Martin Blumenau, Peter Paul Skrepek, Laura Rafetseder, Yasmo, Nunu Kaller und Robert Stachel wird von den Protestsongs zu regelrechten Grundsatzdebatten inspiriert. Nachdem Singer/Songwriterin Sól - "ich schreibe sonst nur lösungsorientierte Songs" - ihr Lied "All Cops are Bastards" vorgetragen hat, folgt ein Gespräch über mögliche Haltungen der Polizei gegenüber. Musikgewerkschafter und Juror Peter Paul Skrepek: "Die Polizei soll für uns arbeiten."
Nach dem musikalischen Höhepunkt "Revolution" von DAWA - Laura Pudelek ist Jimmie Hendrix am Cello - diskutiert die Jury die Vor- und Nachteile von Revolutionen. Skrepek warnt vor "gesteuerten Revolutionen. Am Schluss ist es immer schlimmer als vorher." Blumenau: "Ist es in Tunesien jetzt wirklich schlimmer als vorher?" Die Rapperin Yasmo (die ca. 500 Familienangehörige in Tunesien hat) klärt auf: "Es wird ein System gestürzt damit ein neues aufgebaut werden kann, das dauert halt."
Dieses Element ist nicht mehr verfügbar
Die Entscheidung für das Fight Rap Camp wird durch das UserInnen-Votum spannend herbeigeführt. Die meisten Stimmen bekommen Anstaltskinda, da aber DAWA, die im Jury-Votum weiter vorne liegen, im Onlinevotum weniger Beachtung finden, addieren sich Jury und Publikumsvotum fürs Fight Rap Camp zum ersten Platz.
Anstaltskinda, das ist der Hörgeräteakkustikmeister aus dem oberösterreichischen Alkoven, der sich schon letztes Jahr ex aequo mit den Refugees um Platz eins gebracht sah. Für seinen Track "Wöd ändan, oda?" wird von Jury-Mitgliedern vehement mehr Airplay gefordert. Er will genauso wie die Gruppe DAWA demnächst ein Studioalbum herausbringen.