Erstellt am: 12. 2. 2014 - 11:01 Uhr
Tirol muss Texas werden
Eigentlich muss ich sehr weit ausholen, wenn ich meine Begeisterung für diesen Film angemessen in Worte kleiden will. Und an den Anfang zurückgehen.
Zu jenem Moment, als sich oben, auf der Leinwand eines steirischen Provinzkinos, ein Franzose, verkleidet als Apachenhäuptling, und ein Amerikaner, der einen Deutschen spielt, vor einer kroatischen Bergkulisse umarmten. Und meine Kinderwangen beim Anblick von Winnetou und Old Shatterhand vor Aufregung glühten.
Ich wage diesen hemmungslos persönlichen Einstieg auch, weil mir Andreas Prochaska im FM4-Interview erzählt, dass „Der Schatz im Silbersee“ ebenfalls sein erstes entscheidendes Kinoerlebnis war. Die Winnetou-Filme, die sehr frei nach den Büchern von Karl May in den sechziger Jahren die Massen begeisterten und bis zum Ende der Siebziger in herrlich grindigen Land- und Außenbezirks-Kinos die Kindervorstellungen besetzten, stehen vielleicht nicht umsonst am Beginn einer sehr langen Reise für den Regisseur.
Einer Reise, die Prochaska im Vorjahr für Dreharbeiten in ein abgelegenes, verschneites Südtiroler Bergtal führte. Und ihn zuletzt ins Rampenlicht der Berlinale brachte, wo „Das finstere Tal“ eben die Welturaufführung feierte. Am Dienstag wurden der Regisseur, sein Team und der Film dann mit tosendem Applaus bei der heimischen Premiere im Wiener Gartenbaukino gefeiert.
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Im Reich der berauschenden Mutationen
Wer mit Pierre Brice als edlem Indianer und Lex Barker als seinem „weißen Bruder“ auf unschuldige Weise initiert wurde und später nahtlos zu den weit heftigeren Italowestern eines Sergio Leone oder Sergio Corbucci wechselte, für den war der Western niemals das uramerikanische Genre schlechthin, sondern er gehörte zu einem popkulturellen Vokabular, dass vom angloamerikanischen Raum aus die Welt eroberte, Menschen in den abgelegensten Gegenden prägte, kreative Antworten und Nachahmungen herausforderte.
Oftmals waren diese Imitationen und Mutationen viel greller, berauschender und irrlichternder als die Originale. Gegen den japanischen Godzilla verblasste der US-King-Kong, italienische Giallo-Schocker toppten die Hollywood-Thriller. Und bis heute ziehe ich die nihilistischen, blutgetränkten Blei-Opern aus Rom, die meistens in Spanien gedreht wurden, dem Großteil des klassischen Cowboy-Kanons aus Amerika vor. Weil in den besten „Django“-Streifen oder Leone-Epen nichts subtil angedeutet wird, keine Gründerzeit-Werte gefestigt oder hintergründig dekonstruiert werden, sondern bärtige, zerfurchte, verschwitzte Outlaws einfach die Mythen in Fetzen schießen.
Die Coolness im klassischen Sinn, dieser allergrößte Exportartikel, an dem die gesamte US-Popkultur seit Elvis, James Dean und diversen Comic-Superhelden von Anfang an aufgehängt ist, muss eben durch lokale Veränderungen, durch europäische Einflüsse, nicht geringer werden. Im Gegenteil: Erst Sergio Leone und Ennio Morricone, die beiden römischen Götter, stilisieren den kalifornischen Nebendarsteller Clint Eastwood zur übercoolen Ikone, zum Fremden ohne Namen.
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Autoren-Purismus vs. Genre-Inspiration
Der einsame Fremde, der in „Das finstere Tal“ in einer möglicherweise in Tirol angesiedelten Alpeneinöde strandet, er trägt einen Namen. Aber dieser Greider, perfekt gespielt vom britischen Shootingstar Sam Riley ("Control"), der eine verschworene Dorfgemeinde mit bitteren Wahrheiten konfrontiert, weckt dennoch Assoziationsketten, die zum wortkargen Clint und den Ursprüngen des Eurowesterns zurückreichen.
Andreas Prochaska, der nach dem heimischen Backwoods-Schocker „In drei Tagen bist du tot 2“ nun ein weiteres Gänsehautwerk geschaffen hat, gehört hierzulande zur ersten Generation, für die solche Genre-Inspirationsquellen mindestens gleichwertig mit den höheren Künsten rangieren. Wenn nachgeborene Filmfans jetzt lässig mit den Schultern zucken, dann sollen sie doch einen Blick in die Kinoprogramme, Diagonale-Leisten und Filmakademie-Festivals wagen. Auch in einer Gegenwart, in der die Ansätze von Quentin Tarantino schon ein alter Hut sind, wimmelt es nicht gerade vor Genre-Innovatoren im österreichischen Kino.
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Diesem Klima, in dem die schnarchigen Gegensätze von E und U noch immer nicht entsorgt wurden, verdanken wir natürlich auch Gutes. Das international hymnisch aufgenommene Austro-Filmwunder, mit seinen Autorenfilm-Aushängeschildern Haneke, Seidl und Spielmann, zehrt von dem damit verbundenen Purismus und sogar absurden Dogmen, wie der Nichtverwendung von Filmmusik und dem Verzicht auf gängige Erzählmuster. Und selbstverständlich sind brilliante Arbeiten wie „Das weiße Band“, „Import/Export“ oder „Oktober/November“ spannender und ergiebiger als armselige Hollywood-Klone aus Meidling oder Hintertupfing.
Andreas Prochaska, der als Cutter für Michael Haneke begonnen hat, vereint allerdings das beste aus beiden Universen. Angetrieben vom Fieber der Popkultur und des flirrenden Genrekinos, zeichnet den Regisseur auch eine Ersthaftigkeit aus, die von reinen Zitate-Verwertern und cleverer Ironie weit entfernt ist. Der gebürtige Wiener interessiert sich, wie alle Filmemacher die uns im Gegenwartskino ordentlich aufwühlen, zuerst für die Charaktere, die Emotionen, das pumpende Herz von Geschichten.
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Cormac McCarthy aus Bayern
Aber Prochaska weiß, und hier wird es aufregend, dass Kunst viel mehr als Introspektion ist, dass die Herstellung von Wahrhaftigkeit in Zeiten des totalen Authentizitätsverlusts schon längst nach neuen Regeln spielt, dass ein Lokalbezug immer mit dem Kosmopolitischen interagieren muss, um nicht muffig zu werden. Und umgekehrt. Prochaska will, wie so zirka alle Regisseure über die ich an dieser Stelle regelmäßig schwärmen darf, ein Kino, dass dir in die Knochen fährt, Funken schlägt, heftig in die Tasten von Gefühlsklaviaturen hämmert. Auch wenn der Begriff abgelutscht ist, es geht, wie bei den besten Vertretern seiner Generation, stets um Rock’n’Roll.
Mit dem bayrischen Autor Thomas Willmann, von dem die zurecht gefeierte Buchvorlage stammt, hat Andreas Prochaska in dieser Hinsicht einen kongenialen Kollaborationspartner gefunden. Die erwähnten Italowestern, der omnipräsente Tarantino, aber auch der Heimatroman-Bestsellerkönig Ludwig Ganghofer sind Einflussquellen für den Münchner Schriftsteller, Filmfreak und Musikafficionado. Was das Buch „Das finstere Tal“ aber auszeichnet und von peinlichen Referenz-Anhäufungen abhebt ist sein strenger Stil, der an drakonische Schriftsteller wie Cormac McCarthy erinnert.
Der Film „Das finstere Tal“ ist sich dem aufgezählten Erbe ebenso bewusst, übersetzt aber primär diese urtümliche Sprachkaft des Romans in Bewegtbilder. Soll heißen: Hier fällt kein Zitate-Schnee wie in „Django Unchained“. Die Italo-Überhöhung mischt sich mit alpenländischer Erdung. Man riecht förmlich die winterliche Bergluft, wenn der mysteriöse Greider in dieses dunkle Tal reitet, in dem man über viele Sachen einfach nicht redet.
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Kreative Kollisionen funktionieren
Alle Szenarien sind vertraut: Der geheimnisvolle Unbekannte, das Dorf, in dem die Angst regiert, der Big Boss und seine Häscher, in diesem Fall der greise Brenner-Bauer, der mit seinen sechs Söhnen mit diktatorischer Härte das Tal beherrscht. Wir ahnen auch sofort, geschult von etlichen Klassikern, dass sich mit dem Besuch des jungen Mannes aus dem fernen Amerika alles verändern wird.
Dennoch verschieben sich die Blickwinkel durch den alpenländischen Anstrich, die knorrigen Bauerngesichter, durch den Dialekt, der hier konsequent gesprochen und durch Sam Rileys gebrochenes Deutsch kontrastiert wird. Wenn in einem Wirtshaus dann österreichische Polka Erinnerungen an amerikanische Saloon-Szenen weckt, nähert sich Tirol auf bestmögliche Weise an Texas an.
Überhaupt funktionieren sämtliche Kollisionen in „Das finstere Tal“: Die prägnante Mischung der Schauspieler aus Österreich und Deutschland, von Tobias Morretti, Paula Beer bis zu Erwin Steinhauer und Clemens Schick, der gewaltige orchestrale Score, der von düsteren Popsongs (Clara Luzia, Steaming Satellites) aufgebrochen wird, die spektakulären Schauwerte, die letzlich einem Subtext dienen, der von Männerbündlerei, Fremdenhass und starken Frauen erzählt.
Okay, an dieser Stelle habt ihr meine Euphorie wohl schon mitbekommen. Der schönste Western seit langer Zeit kommt aus Österreich. Der schönste österreichische Film seit langer Zeit ist ein Western.
Andreas Prochaska im FM4 Interview
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