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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

14. 2. 2014 - 17:00

Götterdämmerung

Das Indie-Rollenspiel "The Banner Saga" führt uns als Flüchtlinge ans eisige Ende der Welt

Stoic

Wenn die alten Götter schweigen, die Sonne starr und bewegungslos am Himmel steht und endlose Horden böser Steingiganten das Land verwüsten, bleibt nur die Flucht. So etwas sieht man recht selten in der ansonsten an Reiseerzählungen nicht armen Fantasy: Als Anführer eines ganzen Dorfes, das sich mit Sack und Pack auf den Weg ins Ungewisse begibt, um der sicheren Vernichtung zu entgehen, haben wir in "The Banner Saga" die schwere Aufgabe, mit einem ganzen Tross aus Flüchtlingen eine kleine Völkerwanderung zu überleben.

Mit allem, was dazugehört: Hunger, Unfrieden in der langsam anwachsenden Schar an Verzweifelten, Verrat und harte Entscheidungen machen uns bald klar, dass die moderne, realistisch düstere Spielart der Fantasy nach Art eines George R.R. Martin, eines Steven Erikson oder R. Scott Bakker auch im Computerspiel angekommen ist. Die "Helden" als Flüchtlinge, auf einem verzweifelten, letztlich aussichtslos erscheinenden Gewaltmarsch ins Ungewisse - das ist dann doch ein Kontrast zur sonst allzu oft in Klischees erstarrenden Fantasygenerik im Spiel. Und auch der zweite Handlungsstrang, in dem wir mit einer Armee fast unsterblicher gehörnter Riesen ebenfalls unseren Weg durch die eisige Endzeit suchen, erfreut durch differenzierte und erwachsene Figuren und Handlung.

Stoic

Von Riesen und Monstern

"The Banner Saga", das per Kickstarter finanzierte Projekt aus der Feder ehemaliger Bioware-Entwickler, hat trotz Zeichentrickstil wahrhaftig Episches und letztlich Monumental-Tragisches auf Lager. In der von skandinavischen Mythen inspirierten, erfrischend originellen Fantasywelt finden wir uns, der Titel verspricht nicht zu viel, mittendrin in einer Saga riesenhaften Ausmaßes. Dass das jetzt erschienene Spiel nur der Auftakt zu einer Trilogie ist, die noch heuer fortgeführt werden soll, sei deshalb auch gleich vorangestellt.

Die Reise durch diese sterbende Welt ist nicht nur das zentrale Motiv, sondern auch die große Stärke des Spiels: Winzig klein wandern unsere Helden und die ihnen Anvertrauten vor immer wieder überwältigenden, riesenhaften Naturkulissen, und wieder und wieder müssen wir uns, wie in Telltales "Walking Dead"-Reihe, moralischen Entscheidungen stellen: Sollen wir an den Jugendlichen, die unsere knappen Vorräte plündern, ein Exempel statuieren? Ertragen wir die Frechheiten des arroganten Prinzen oder reißt uns der Geduldsfaden? Glauben wir dem reuigen Räuber oder dessen Rivalen?

Im Gratisspiel :"The Banner Saga: Factions" treten Spieler im rundenbasierten Kampfsystem des Hauptspiels gegeneinander an.

Spielerisches Herzstück sind neben diesen atmosphärischen Adventure-Einsprengseln allerdings die rundenbasierten Kämpfe, in denen wir mit jeweils sechs Helden gegen mäßig abwechslungsreiche Gegner antreten. Rollenspieltypisch können wir unsere Männer (und Frauen!) auch gezielt im Level hochsteigern, um mit den Herausforderungen zu wachsen. Besonders viele Freiheiten lässt "The Banner Saga" seinen Spielern dabei nicht - wie auch die Story, abgesehen von zahlreichen, mehr oder weniger bedeutsamen Detailentscheidungen, letztlich linear bleibt, dafür aber mit einigen beeindruckenden erzählerischen Momenten aufwartet.

Episch, grimmig, gut

Dass man sich trotz mancher erwähnter spielerischer Einschränkung dennoch mit Faszination von "The Banner Saga" für neun Stunden hervorragend unterhalten sieht, hat mit dem Charme, der Ernsthaftigkeit und der Atmosphäre dieser melancholischen Wikinger-Saga ohne Wikinger zu tun: Der ganz wunderbare Zeichentrickstil würdigt das Werk des großen Disney-Animators Eyvind Earle, der fantastische Soundtrack - hier hineinhören, großes Kino von Austin Wintory, der auch "Journey" musikalisch bereicherte - lässt Bilder skandinavischer Wehmut vor unserem inneren Auge entstehen und sowohl Welt als auch Figuren und Story verdienen das inflationär gebrauchte Adjektiv "episch" wie kaum ein anderes Spiel der letzten Jahre.

Stoic

Umso absurder der Nebenschauplatz, der "The Banner Saga" vor kurzem in die Schlagzeilen brachte: Ausgerechnet der Casual-Gigant King, Produzent hinter dem millionenschweren Zeitvernichter "Candy Crush", drohte mit der Anwaltskeule, weil angeblich Verwechslungsgefahr mit diversen "Saga"-Minispielchen bestehen würde. Der Ausgang des Rechtsstreits ist offen.

"The Banner Saga" ist für WIndows und Mac erschienen.

Die Verwechslungsgefahr dürfte vernachlässigbar sein. "The Banner Saga" ist ein düsteres Heldenlied mit skandinavischem Flair und Extraportion Atmosphäre - es bleibt zu hoffen, dass auch die Fortsetzungen das Versprechen dieses beeindruckenden Auftaktes einlösen können.