Erstellt am: 14. 2. 2014 - 11:56 Uhr
Schwarze Hütten und rote Räume
Ein Casting-Aufruf, der unlängst im Internet auftauchte, sorgte für Aufregung in Geekland. Eine „hot“ aussehende Schauspielerin, brünett oder rothaarig, wurde da für ein „Twin-Peaks“-Promo gesucht, mit David Lynch höchstpersönlich hinter der Kamera.
Dabei hatte der von Fans abgöttisch verehrte Filmemacher doch in aktuellen Interviews erklärt, sich von bewegten Bildern abzuwenden und sich stattdessen lieber der Fotografie, Malerei und Musikproduktion zu widmen, siehe sein großartig sinistres Album „The Big Dream“ aus dem Vorjahr.
Jetzt dann also doch eine Rückkehr in den Regiestuhl, noch dazu im Zusammenhang mit jener sagenumwobenen TV-Serie aus den frühen Neunzigern, die maßgeblich am Mythos David Lynch beteiligt ist? Es wäre wohl zu schön gewesen, um wahr zu sein. Schon bald meldete sich nämlich der seinerzeitige „Twin Peaks“ Coerfinder Mark Frost zu Wort und verwehrte sich gegen die Gerüchte. Und auch Lynch persönlich winkte ab, mit einem dezidierten Hinweis auf eine neue Kaufedition der mysteriösen Hinterwäldler-Saga.
Hier liegt dann auch der Schlüssel zu den neu gedrehten Szenen: „Twin Peaks“ wird heuer im Frühjahr erstmals auf Blu Ray erscheinen, in einer restaurierten Deluxe-Ausgabe inklusive des dazugehörigen Kinofilms, vieler deleted Scenes und etlicher Dokumentationen. Und eben auch einer kleinen Überraschung vom Meister persönlich, die Anfang Januar gedreht wurde. Das ist schon sehr viel, auf mehr sollte man sich aber nicht einstellen.
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Samtblau, blutrot, gleißend hell
Wozu überhaupt die ganze Hysterie, werden sich Uninitiierte fragen und aktuellen TV-Wunderwerken zuwenden. Moment, schließlich reden wir hier von einer Serie, die sich kollektiv in die Erinnerung mehrerer Generationen eingebrannt hat und deren Fernsehsehgewohnheiten veränderte.
Spulen wir ins Jahr 1990 zurück. In Deutschland dreht sich alles um die Wiedervereinigung, in Südafrika endet die Apartheid, in verschwörerischen popkulturellen Kreisen fällt der Begriff Grunge immer öfter, in anderen Runden beginnt Techno eine Revolution. Filmfans blicken dagegen gespannt auf den kleinen Bildschirm. David Lynch hatte zuvor mit Streifen wie „Eraserhead“ und „Blue Velvet“ nicht bloß die Sicht auf das Kino nachhaltig verändert. Diese Filme prägten damals auch den Blick auf die Wirklichkeit in einem Ausmaß, wie es sonst nur Lieblingsbands oder Schriftsteller vermochten.
In der fremden und seltsamen Welt des Mr. Lynch wimmelte es vor klaffenden Abgründen und schlummernden Perversionen, aber hier strahlten auch das Licht und die Liebe. Lynchville war frei von Grauzonen, es gab nur samtblau, blutrot oder auch gleißend hell. Diese Philosophie übertrug nicht nur ich auf mein durchschnittliches Wiener Studentenleben, wo plötzlich jede Affäre zur Amour Fou wurde, unwirkliche und paranoide Gespräche das Nachtleben begleiteten und der schadhafte Boiler im Badezimmer bedrohlich brummte wie in einem Lynchfilm.
Und dann diese Ankündigung, dass unser favorisierter Filmemacher plötzlich eine TV-Soap drehen will. Konnte das gut gehen? Ja, das vertraute Lynchgefühl stellte sich im heimischen Fernsehen im Herbst 1991 ein. Das Gleichgewicht aus Idylle und Schrecken, Unschuld und Verdorbenheit, es herrschte in dem Holzfällerstädtchen Twin Peaks auf unverwechselbare Weise.
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Kaffee und Kuchen, Sex und Drogen
Auf der einen Seite war das ein Reich, wo man sich bei Kirschkuchen und Kaffee im archetypischen Diner traf, um lokalen Klatsch und Tratsch auszutauschen. Auf der anderen Seite verwandelte sich das niedliche Örtchen bei Nacht in einen Sündenpfuhl, inklusive käuflichem Sex und florierendem Drogenhandel.
Bis irgendwann der Fluch der Serie zum Tragen kam, zumindest empfand ich das so in den Neunzigern. David Lynch beschäftigte sich immer weniger mit dem „Twin Peaks“-Universum, legte die Verantwortung gänzlich in die Hände von Koproduzent Mark Frost und diverser Regisseure. Enttäuscht wurde ich immer mehr zum Abtrünnigen, verweigerte das provinzielle Personengeflecht zusehends, sah nur noch Soap-Konventionen in Reinkultur. Erst das absurde Finale fesselte mich wieder an den Bildschirm. Und erst „Lost Highway“ erneuerte später meinen nahezu religiösen Glauben an Lynch rückhaltlos.
Das Wiedersehen mit dem Holzfäller-Städtchen, als anno 2003 die schöne DVD-Box erscheint, zelebrieren wir damals in einer eingeweihten Freundesrunde. Fan-Anekdoten machen die Runde, Fragen wie "Was wurde eigentlich aus Mädchen Amick oder Sherylin Fenn?" tauchen auf. Mich beschäftigt beim Sehmarathon vor allem eines: Bin ich einfach milder in meinem Urteil geworden oder hat „Twin Peaks“ eindeutig mit den Jahren gewonnen? Die einstige teilweise Skepsis ist jedenfalls ungebrochener Faszination gewichen, die bis zum heutigen Tag anhält.
Was auch an der Einmaligkeit dieses Phänomens liegt: Denn obwohl das amerikanische Fernsehen einen Serien-Geniestreich nach dem anderen hervorbringt, etwas vergleichbar Durchgeknalltes und Surreales wie David Lynch und Mark Frost ist höchstens noch Lars von Trier mit dem geisterhaften „The Kingdom“ gelungen.
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Ein historisches Experiment
„Twin Peaks“ ist nicht zufällig in der Ära von Nirvana & Co. entstanden. So wie sich damals in der Musik ganz kurz eine Tür öffnete und Dinge mitten im Mainstream möglich wurden von denen keiner je zu träumen wagte, stand auch hinter dieser Serie die Versprechung einer besseren TV-Zukunft. Es ging nicht, wie im nächsten Zeitabschnitt darauf, um enervierende Ausverkaufsdiskussionen. Sondern um die Utopie: Wir dringen ins Zentrum der Maschinerie ein und deponieren dort unsere verrückte Idee. Wir spielen unsere eigenen, obsessiven, codierten Spiele – aber vor einem Millionenpublikum.
Auch wenn aktueller US-Fernsehwahnwitz wie „True Detective“ dem selben radikalen Gedanken folgt und sogar in ähnlichen Terrains wie „Twin Peaks“ nach Killern sucht: David Lynch war zuerst in den schummrigen Redneckbars, wo die verdammten Seelen abhängen. Er verführte auch schon lange vor den „Sopranos“ und „Game of Thrones“ die breiten Massen dazu, sich plötzlich mit grenzgängerischen Charakteren zu identifizieren, für die Gut und Böse belanglose Kategorien sind.
Dass „Twin Peaks“ am Beispiel einer Ortschaft den gesamten amerikanischen (Alb-) Traum analysierte, die bürgerliche Familie völlig dekonstruierte, postmoderne Entfremdung ebenso verhandelte wie, gegen Ende, die Philosophie des Marquis De Sade, reflektierten dabei wohl nicht alle Seher. Kein Wunder, dass Generationen von heutigen Autoren für HBO, AMC oder Showtime immer wieder von dem Stachel im Soap Opera- und Sitcom-Land schwärmen.
Wer noch keinen Fuß ins Double R Diner gesetzt hat, noch nie Big Ed’s Gas Farm besucht hat oder von der schwarzen Hütte verschluckt wurde und im Red Room gelandet ist, darf sich auf die Blu Ray Veröffentlichung freuen. Die Oldschool-Fans hören ohnehin schon unruhig das Titelthema im Nonstop-Modus, weitere Marathonsitzungen mit Kuchen und Kaffee werden wohl unumgänglich sein.
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