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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

9. 2. 2014 - 22:48

The daily Blumenau. Weekend Edition, 09-02-14.

Endlich weiß ich, warum ich mit den Snowboard-Sympathikussen nicht kann.

Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.

#sochi14 #skisport #boarderculture

Warum der Sport, der mir gefallen müsste, immer mein Unbehagen erregt hat

Ich war nur für eine gute Minute ein Skifahrer, ein Rennfahrer, ein Pilot. Als ich mich mit Todesverachtung in diesen Slalomkurs stieß, der gefühlt wie ein Super-G gesetzt war und mir trotzdem alles abverlangte. Es war ein Skikurs in den späten 70ern, es war kalt und eisig und ich bekam, weil mir der Mut nie ausging und ich mich trotz Absitzer bis ins Ziel kämpfte, die Medaille für den dritten Platz in meiner Gruppe. Ich hab' sie unlängst in einer kleinen Kiste wiedergefunden. Sie rostet.

Skifahren war nie meins. Alles dran stinkt. Die Anfahrt mit den Auto-Kolonnen oder im Bus, die Abzocke und das Gedränge in der Talstation an den Liften, die Suppen in den Hütten, das falsche Gegrinse der Animateure. Ich verstehe jeden, der mit einem Hang beim Elternhaus aufgewachsen ist – alle anderen haben aber was an der Nase.

Ich bin gerodelt. In den Wiener Rodelstraßen, am Wienerberg, im Wienerwald: raufklettern und dann zu zweit oder zu dritt oder zu viert rauf auf die Rodel und runterbrettern, mit dem Ziel, unten eine kapitale Brezn zu reißen und durch den Schnee abzurollen. War immer lustiger als die eskapistische Vereinzelung der Skifahrer.

Als dann in den 90ern die Snowboard-Szene auch in die Alpen vordrang, klang das wie eine Befreiung. Diese Figuren hatten den richtigen Anspruch (Gemeinsamkeit statt Verbissenheit) sie hörten die richtige Musik, sie hatten den interessanteren Style und lebten die Sehnsucht nach der nächsten großen Welle, nein, dem nächsten selbstkreierten Sprung.

Die aktive Teilnahme fiel aus logischen Gründen (Alter, Wien) weg, aber die passive Sport-Schau-Angelegenheit hatte jeden nur erdenklichen Startvorteil.

Hat nie funktioniert. Ich dachte, ich bin schuld.

Es war auch zu absurd: Die biederen ÖSV-Skifahrer mit ihren verbissenen Bunkersprüchen und ihrer Feigheit, die sie erst (und das auch nur teilweise) als Superstars ablegen, diese Jasagerei, dieses gestelzte Nichts, das war und ist mir ein Graus.

Boarder sind witziger, mutiger, netter und pfiffiger. Und waren gut darin, Strukturen ganz ohne die Skisport-Mafia aufzubauen. Gut, das hat sich mittlerweile auch erledigt – lässt sich aber nicht dem Sport oder den Sportlern anlasten.

Trotzdem: Ich schau immer noch lieber bei einem besucherlosen ersten Slalomdurchgang in Whistler zu als beim Big-Air-Finale am Air&Style. Das ist doch nicht normal, oder?

Jetzt, heuer, grade eben bei Putins Olympia bin ich draufgekommen, was es ist, was mich unterschwellig davon abhält, das Bessere auch so zu mögen, wie es ihm zusteht.

Es ist das Aufgeben, das körperspannungslose Absacken, nachdem etwas schiefgegangen ist – und es geht dauernd etwas schief beim Boarden, das liegt in seiner Natur.

Es sind die vielen Läufe beim Slopestyle, die nach dem ersten verkackten Sprung inhaltlich abgebrochen werden; wo die Läufer dann neben der Piste abfahren, wie ausgeboxte Kartoffelsäcke.

Klar, es hat eine gewisse Logik: Wenn man ohne drei gute Sprünge nicht die Qualifikation oder die ersten drei Ränge erreichen kann, dann ist ein Abbruch gut, um Kräfte zu sparen. Wenn es dann aber, wie bei den Damen heute, nur 2–3 gelungene Runs gibt und die 9–10 anderen den Kartoffelsack-Abgang nehmen, dann sackt/suckt das ordentlich. Für mich als Zuschauer. Wenn ich miese Körpersprache sehen will, dann schau ich mir ein heimisches Fußball-Match an.

Es ist eine Frage des Arbeits-Ethos im Sport.

Reicht mir das eine Highlight, um mich ganz nach vorne zu katapultieren, reicht ein Sprung, eine Explosion, das kurze Momentum? Oder geht es um Konstanz, den Gesamtüberblick, die Performance. Es ist die Entscheidung zwischen Alles oder Nichts und Keep on Keeping On.

Man könnte jetzt sagen, dass genau dies den Unterschied zwischen amerikanischer und europäischer Herangehensweise ist und dass das Boarden als genuin amerikanisches Kulturgut natürlich den US-Standards (pursuit of happiness und so) folgen muss: immer wieder neu anfangen können. Immer auf der Suche nach dem nächsten Jump, der dann sitzt, der nächsten business opportunity, die dann passt, immer auf nach Hollywood. Während wir hier, ein bissl kleinhäuslerisch, die Konstanz, das Anhäufen von Bonuspunkten belohnen (also eh nicht wirklich, das kapitalistische System tut nur so als ob, aber die Anreizsetzung ist dementsprechend).

Ich glaube, es geht vielmehr um Klassenfragen. Schaut euch Larissa Marolt an: Die boardet auf ihre Art; immer auf der Suche nach der einen Gelegenheit, überfordert bei Anforderungen wie Empathie oder Konstanz. Stetigkeit? Eine Zumutung. Jedes kurze Scheitern samt Kartoffelsack-Abfahrt: trotzdem ein Erfolg, yeah, im Ziel umarmt man sich, auch wenn man nichts zusammengebracht hat.

Diese lasche Zufriedenheit, die da zur Schau gestellt wird, hat nichts mit dem Kinderspiel zu tun – selbst die ist kompetitiver.
Bezeichnend waren die Interviews mit den österreichischen SlopestylerInnen: Die waren alle ganz knuddelig zufrieden, obwohl sie ihre Leistung nur im drucklosen Vorkampf, nicht aber dann, als es drauf ankam, bringen konnten.

Das ist die Herangehensweise von höheren Söhnen und Töchtern, die Sport nicht wie Kunst betreiben (nämlich weil sie müssen, weil es sie im Inneren dazu zwingt, weil sie nicht anders können), sondern als ennui, Marie-Antoinette-Style.

Wenn etwas nicht klappt – Schulterzucken.

Wie schon gesagt: Das Gegenmodell der systemgerechten Verbissenheit, das durch den ÖSV und die FIS überrepräsentiert wird, ist schon gar nicht meines.

Aber dazwischen, da muss doch noch Platz sein. Für lässige Sportler, deren Ehrgeiz zumindest so weit reicht, dass sie einen Kurs ausfahren – allein um den Zuschauern etwas zu geben, allein um zu zeigen, was einen für diese Highlights qualifiziert hat: dass man etwas besser kann als die meisten anderen.

Solange ich das bei den Boarder-Events so klar und absichtsvoll nicht vermittelt bekomme, kann ich der Wertschätzung, die mir innewohnt keinen Ausdruck verleihen. Und bleibe dann bei der Pervertierung meines Kindheits-Spaßes, den Eiskanal-Rodlern hängen. Die fahren wenigstens ihren Lauf fertig, wenn es sie gegen die Bande wandelt.