Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Ghettowelt bzw. Zeittotschläger"

Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

9. 2. 2014 - 17:15

Ghettowelt bzw. Zeittotschläger

Der Song zum Sonntag: Die Nerven - "Hörst Du Mir Zu?"

  • Alle Songs zum Sonntag auf FM4
  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Schon wieder bloß blöde, trübe Suppe draußen vor dem Fenster. Schon wieder ist wie immer hier immer noch nichts los. Die Welt ist ein Betonklotz, das Gemüt alter Stahl. Wir sitzen in unseren Kinderzimmern und in unseren saftlosen Studenten-WGs, blicken hinaus in ein schlechtes, leeres Leben und kauen uns die Fingernägel ab. Wir fühlen uns nackt und verlassen und wissen, dass wir einsam und besonders sind. Dieses Mal aber so richtig!

Ein Stechen im Herz. Ein Stechen im Hirn. Die Hoffnung ist verflogen, nur der Hass gibt uns noch Kraft. "Der Himmel riecht nach Regen, von Wolken grau verhangen" singt das Stuttgarter Trio Die Nerven in seinem programmatisch betitelten Stück "Ich erwarte nichts mehr" – diesen Titel könnte so gut wie jedes Stück auf ihrem gerade veröffentlichten Album "FUN" tragen. "FUN", das meinen Die Nerven wohl irgendwie hintenherum oder zumindest komisch verschwurbelt. Als Entertainment-Granate oder Bespaßungs-Apparat wird dieses Album nämlich nur schwer herhalten können. Problem, Problem.

Die Nerven

Oliver Wolff

Fuck You: Die Nerven

Die Nerven live:

13.02. Dornbirn – Spielboden
14.02. München – Unter Deck
15.02. Linz – Ann & Pat
16.02. Wien – Rhiz

Die Nerven vertonen an Bass, Gitarre und Schlagzeug die jeder Menschwerdung wichtigen diffusen Gefühle Angst, Beklemmung und Dagegen-Sein. Die Langeweile, die uns die letzten Farben im Kopf ausgeknippst hat. Musik für die – Achtung! – Krise. Irgendeine ist ja immer, vor allem in uns drin. Heute gibt es zum Abendessen kaltes Toastbrot mit Scheibletten-Käse, morgen Spaghetti mit ohne alles, am Mittwoch wird dann wieder agitatorisch die geballte Faust in den Himmel gereckt. Das ist dann schon auch wieder FUN. Der FUN der Elenden.

Die Nerven haben den trostlosen Liedern auf "FUN" Titel wie "Alptraum", "Rückfall", "Blaue Flecken" oder, ja, ganz genau, "Angst" gegeben. Die Musik ist Ton gewordene Panikattacke. Dissonantes Gitarrengefauche, ein spröder Groove aus dem Bass, das Schlagzeug schlägt scharf und kalt. Musik, die man so ähnlich beispielsweise bei den frühen Sonic Youth gehört haben wird, in den 90er-Jahren auf Labels wie Amphetamine Reptile Records oder Touch & Go, in Deutschland bei Bands mit solch guten Namen wie Abwärts, Mutter, Surrogat. Noise für eine bessere Welt.

Die Nerven FUN

Die Nerven

"FUN" von Die Nerven is bei This Charming Man Records erschienen

Es gibt hier allerhand an Slogan-Material zu erleben, alles hier ist schlanke Glückskeksphilosophie: "Was auch immer wir jetzt lernen, ist mit Sicherheit nicht wichtig" heißt es beispielsweise, oder "Ich stehe abends auf und gehe morgens schlafen" und "Tagsüber streife ich durch die Straßen, ohne Weg, ohne Ziel." Man bewegt sich also mit Die Nerven durchaus auf gut abgegrastem Klischee-Terrain und das ist auf dieser Platte nicht weniger als richtig und zwingend und fantastisch. Das Leben ist nämlich kompliziert. Ein Leben zwischen Aggression, Aufruhr, Resignation und schickem Ennui.

Es muss aber da und dort auch noch um tatsächliche Dinge gehen, um Anklagen und Kampf, nicht immer nur um Pose. Also: "Hörst Du Mir Zu?" Die Nerven beschwören in dem Stück "Hörst Du Mir Zu?" eine Situation, die man gemeinhin mit unerfreulichem Aufeinanderprallen mit Ordnungs- und Kontroll-Personal assoziiert: "Du verweigerst die Aussage" singen sie, und "Das ist immer noch dein Leben, auch wenn du selbst nichts mehr entscheidest."

Am Ende wird bloß noch geflüstert, es ist vielfach bedrohlicher. Irgendetwas läuft hier schief, die Ohnmacht endet nie. Einmal noch, also wirklich, mit Emphase: "Hörst Du Mir Zu?" Ein kleiner Widerstand, eine Revolution für das eigene Ego, ein ständiges Aufgeben, ein langsames Sterben. Armes Deutschland! Armes Österreich!