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Petra Erdmann

Im Kino und auf Filmfestivals

9. 2. 2014 - 12:46

Mäßiges und Monumentales auf der Berlinale

Regie-Reinfall von George Clooney und Michel Houellebecqs grandiose Leinwand-Performance. Der Auftritt der Actricen bleibt aus. Die Berlinale muss ohne Charlotte Gainsbourg, Cate Blanchett, Amy Adams und Jennifer Lawrence auskommen.

Die letzten Jahre musste die Berlinale aufgrund der Verlegung der Oscar-Verleihung auf Ende Februar oft genug auf das Permanent Make-up eines A-Filmfestivals verzichten. Den täglichen Catwalk der Hollywood-A-Stars während der gesamten Festivaldauer konnte sich Festivaldirektor Dieter Kosslick abschminken. So kurzfristig bringt solch ein transatlantischer Kurztrip höchstens einen Jet-Lag inklusive dunkler Augenringe bei der Academy Award Show. Für die Politur des glamourösen Selbstmarketings ist es zum Berlinale-Termin meist zu spät.

Roter Teppich ohne Menschen

Alexander Jonetzko - Berlinale 2011

Roter Teppich – vor Berlinale Zoopalast

Nicht so dieses Jahr. Denn viele große US-Filme werden im Rahmen der „Berlinale Specials“ Premiere haben und gleich darauf regulär in den Kinos starten. Das mag ein Grund sein, warum das Festival heuer ganz gut mit einer hippen Crème de la Crème Hollywoods ausgestattet ist, die gleich ihre europäische Promotiontour mitabsolviert. Die 10-fach Oscar-nominierte Gaunerkomödie „American Hustle“ hatte schon Freitag Regisseur David O. Russell samt seinen umwerfenden Darstellern Bradley Cooper, Christian Bale und Jeremy Renner in die deutsche Hauptstadt kommen lassen. Amy Adams und Jennifer Lawrence waren nicht da.

 Bradley Cooper (L-R),  US director David O. Russell and British actor Christian Bale

APA/EPA/DANIEL NAUPOLD

Bradley Cooper, David O. Russell und Christian Bale - Männerbünde in Berlin

American-Smart-Cinema-Macher Wes Anderson hatte Donnerstag Abend, anlässlich seines von den Erzählungen Stefan Zweigs inspirierten, exzentrisch fantastischen Eröffnungsfilms und Wettbewerbsbeitrags „The Grand Budapest Hotel“ u.a. Ralph Fiennes, Tilda Swinton, Bill Murray, Willem Dafoe und Ed Norton im Schlepptau.

Szene in einem Hotelaufzug

Twentieth Century Fox

Jetzt ist Wochenende und George Clooney der Star der Stunde. Bei der Pressekonferenz seiner aktuellen Regiearbeit „Monuments Men“, die gestern Abend im Wettbewerb außer Konkurrenz aufgeführt wurde, flirtete Berlinale-Stammgast Clooney wie eh und je geduldig mit den Journalisten. Die meisten Fragen waren belanglos und suchten eines sicher nicht: Antworten auf seinen zähen und reißbrettartigen Historienentwurf. Die Jagd einer kauzigen US-Kunstexperten-Truppe auf die von den Nazis gestohlenen Kunstschätze im Zweiten Weltkrieg verlief wirklich enttäuschend und mit ihrem salbungsvollen Dramagestus und unentschlossener Komik letztlich auch in die gähnende Leere.

Matt DAmon und George Clooney in einer Szene aus dem Film Monument Men

Twentieth Century Fox

Der wunderbare Cast von „Monuments Men“ konnte den Film auch nicht retten. George Clooney saß auf der Pressekonferenz flankiert von Matt Damon, John Goodman und Bill Murray, die von der Presse nahezu links liegen gelassen wurden. Im knallvollen Saal gestand eine nervöse Frau, sie hätte sich ganze zwei Tage schon ihre Frage an Mr. Clooney überlegt, die dann gar keine war. Sie wollte ihm öffentlich danken und stammelte: "Mr. Clooney, wussten Sie eigentlich, dass viele Frauen sexuelle Phantasien mit Ihnen haben? Sie retten damit die geistige Gesundheit der Frauen auf der ganzen Welt. Vor allem in Mexiko!" Ähh? ..

Gerade noch hatte sich in der Nebenschiene „Forum“ein absolutes filmisches Highlight ergeben, das sich mit der Gerüchteküche über berühmte Existenzen beschäftigt und diese clever und spaßig demontiert. 2011 war der polarisierende Schriftsteller Michel Houellebecq eine Zeit lang von der öffentlichen Bildfläche verschwunden. Er erschien nicht zu fixierten Lesungen und ward lange nicht mehr gesehen. Man spekulierte über seine Abholung durch Außerirdische genauso wie über seine mögliche Mitgliedschaft bei der Terrororganisation „Al Kaida“ - Verschwörungstheorien, die Guillaume Nicloux zu einem Festivalliebling inspiriert haben.

Michel Houellebecq raucht eine Zigarette

Guillaume Nicloux

In „L´enlèvement de Michel Houellebecq“/„The Kidnapping of Michel Houellebecq” des französischen Regisseurs Guillaume Nicloux spielt sich der kontroverse Autor gleich selbst. Naiv sympathische Bodybuilder und Kleinkriminelle nehmen Houellebecq in einer löchrigen Blechkiste als Geisel und halten den provokanten Intellektuellen im Elternhaus eines Entführers gefangen. Ein körperlich gezeichneter, kettenrauchender Houellebecq mutiert in befremdend launigen Gesprächen vom unerbittlichen Einzelgänger zum entgegenkommenden Everybody´s Darling der Arbeiterfamilie. Opfer und Täter entwickeln ein nahezu bizarr amikales Verhältnis. Das hat frischen Kino-Realismus auf der Berlinale verströmt. Im nahezu pseudo-dokumentarischen Stil denkt Nicloux virtuos und spannungsgeladene Fiktion mit gesellschaftspolitischen Kommentaren zusammen.

Der österreichische Dokumentarfilm „Das große Museum“ hatte ebenfalls im „Forum“ seine Weltpremiere absolviert. Regisseur Johannes Holzhausen widmet sich anders, aber genauso vielschichtig wie Kollege Nicloux der eigenwilligen Mischung aus Schrulligkeit und Professionalität seiner Protagonisten. Holzhausen hat mit Hilfe der beeindruckenden Kameraarbeit on Jörg Burger und Attila Boa und auch der atmosphärischen Montage von Dieter Pichler den Zeitraum von der Renovierung der (kaiserlichen) Schatzkammer in Wien bis zur Wiedereröffnung beobachtet. Der temporäre rote Faden dient dem Filmemacher dazu, um zu untersuchen, wie Arbeit, Hierarchien und modernes Marketing in der leitenden Institution, dem Kunsthistorischen Museum funktionieren. „Das Große Museum“ erzählt von hinter den Kulissen, vom lebendigen und präzisen Umgang seiner Mitarbeiter, Kuratoren und Restauratoren mit den hauseigenen Schätzen. Aber auch von der systematischen Verflechtung von Repräsentations- und Politkultur, die Holzhausen (manchmal zu sorgsam) transparent macht.

Frau greif mit weißen Handschühen eine Büste an

Navigatorfilm

Das Große Museum

Im guten Sinne ernsthaft und ganz ohne modisch überdrehte Genre-Zitate kommt auch der heimische Alpenwestern „Das finstere Tal“ von Regisseur Andreas Prochaska aus, der morgen in den „Berlinale Specials“ auf dem größten Publikumsfestival der Welt gezeigt wird. Die internationalen Kritikerkollegen waren von Prochaskas Rachefilm, „Das finstere Tal“ mit seinem feinen Hauptdarsteller Sam Riley ziemlich angetan. Und so wird hier weitergerätselt, warum angesichts eines bisher eher mäßig begeisternden Berlinale-Wettbewerbs sich ausgerechnet Prochaskas Film nicht um den Goldenen Bären matchen darf.

Sam Riley mit Cowboyhut

X Verleih AG

SAM RILEY IN das finstere Tal

An die 500.00 Kinobesuche von über 400 Filmen in 10 Sektionen zählt die Berlinale. Gerade deswegen sind Aufmerksamkeitsökonomie und gewiefte Marketingkampagnen das Um und Auf. Heute Abend stehen ungekürzte Sexszenen auf dem Plan. Innerhalb von drei Minuten war Lars von Triers längere, 145 Minuten Version seines Arthouse-Porn „Nymphomaniac Volume 1“ ausverkauft.

Charlotte Gainsbourg in einer SExszene

© Christian Geisnæs

Charlotte Gainsbourg als sexsüchtige Joe hat ihren Berlinale-Auftritt abgesagt. Seit der medialen Entrüstung über seinen scherzhaften Nazi-Ausspruch beim Cannes Filmfestival hält Trier weiterhin sein Schweigegelübde in der Öffentlichkeit, aber er kommt zumindest. Von Stacy Martin (die junge Joe), Uma Thurman, Stellan Skarsgård, Shia LaBeouf und Christian Slater wird man wohl noch einiges über Penisersatz und Vagina-Doubletten erfahren können…