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Irmi Wutscher

Gesellschaftspolitik und Gleichstellung. All Genders welcome.

7. 2. 2014 - 15:55

Russland in the closet

Vor und rund um die Olympischen Spiele in Sotschi ist vor allem die Menschenrechtssituation von Lesben und Schwulen in Russland Thema. Wir haben mit zwei russischen Queer-AktivistInnen gesprochen.

Nun beginnen also die Olypmischen Spiele in Sotschi. Mit so viel medialer Aufmerksamkeit wie selten zuvor, nämlich abseits des Sports. Vor allem die Situation von Lesben und Schwulen wird immer wieder thematisiert. Denn letztes Jahr hat Wladimir Putin ein Gesetz verabschiedet, das so genannte "homosexuelle Propaganda vor Minderjährigen oder über Medien" unter Strafe stellt. Damit ist jede öffentliche Äußerung, die Homosexualität als neutral oder sogar positiv verhandelt, strafbar. Das kann alles Mögliche sein und macht es besonders schwierig, z.B. Aufklärungsarbeit unter Jugendlichen zu betreiben.

Gulya Sultanova und Artem Uspenskiy waren auf Einladung der Wiener Antidiskriminierungsstelle bei einem Queeren Stadtgespräch zu internationalen LGBT- Rechten in Wien.

Ich habe vorab mit zwei russischen LGBT-AktivistInnen gesprochen: Mit Gulya Sultanova, die ein LesBiSchwules Filmfestival in St. Petersburg organisiert und mit Artem Uspenskiy, der in Deutschland die russische lesbisch-schwule Community vernetzt.

Boykott nutzt den Konservativen

Eine der großen Fragen im Vorfeld war ja: Sollen westliche Staaten die Olympischen Spiele boykottieren, wegen dieser Gesetze gegen homosexuelle Propaganda? Der deutsche Präsident hat zum Beispiel angekündigt, nicht nach Sotschi zu reisen. Barack Obama wiederum schickt schwule und lesbische AthletInnen als seine Vertretung. Artem Uspenskiy sagt zum Thema Boykott: "Wenn die Olympischen Spiele einfach boykottiert werden, dann sehen die Leute in Russland keine anderen Lebensweisen. Ich glaube in Russland kann es viel mehr bewirken, wenn die Leute über andere Lebensweisen hören und etwas davon erfahren, als wenn westliche Staaten sagen: Wir kommen einfach nicht."

Gulya Sultanova und Artem Uspenskiy beim queeren Stadtgespräch in Wien

Alexandra Kromus/PID

Gulya Sultanova und Artem Uspenskiy beim queeren Stadtgespräch in Wien

Ein Boykott, da sind sich die AktivistInnen einig, hilft nur den Konservativen. Vielmehr sollten die angereisten Gäste aus aller Welt die Situation von Lesben und Schwulen in Russland öffentlich thematisieren. Gulya Sultanova, die in St.Peterburg ein queeres Filmfestival organisiert, findet überhaupt, dass sich die Berichterstattung über Russland und die Menschenrechtslage nicht auf Schwule und Lesben beschränken sollte: "Es ist wichtig, dass nicht nur Homophobie und Transphobie genannt werden, sondern auch andere Menschenrechtsverletzungen: Hetze gegen Migranten, die Ausbeutung von Migranten, die Frage der politischen Gefangenen und die der freien Meinungsäußerung. Wenn nur Lesben und Schwule betont werden, hat das für uns eine negative Wirkung, weil die staatliche Propaganda dann sagt: Der Westen kümmert sich nur um die Leben und Schwulen." Und das würde wieder den Konservativen in die Hände spielen, die überhaupt gerne behaupten, dass der Westen Homosexualität nach Russland importieren würde.

Russland in the closet

"Damals in Russland war ich total in the closet", erzählt Artem Uspenskiy. "Ich habe kein coming out gemacht, hatte permanent Angst, entdeckt zu werden, und hatte auch überhaupt keine Kontakte zur Community." Denn in Russland Informationen und AnsprechpartnerInnen zu finden war und ist schwer. Artem lebt mittlerweile in Berlin und vernetzt mit dem Verein Quarteera russische Queers und kämpft gegen Homophobie in der russischen Community. Wenn er zurück nach Russland kommt, versteckt er sich mittlerweile auch dort nicht mehr, leistet Aufklärungsarbeit in Familie und Bekanntenkreis: "Ich merke, dass meine Bekannten einfach wenig Informationen haben", sagt er. "Die stellen Fragen wie 'warum sprechen alle Schwulen über Gay Pride' oder 'warum verbindet der Westen die Olympischen Spiele mit Schwulen und Lesben?'. Vieles davon verstehen die gar nicht."

Menschen mit einer Regenbogenfahne

EPA

Gay-Pride in St. Petersburg 2013

"Gay Pride" ist deswegen ein Begriff für viele Russinnen und Russen, weil es mit der Parade vor einigen Jahren gelungen ist, das Thema Lesben und Schwule erstmals in einer größeren Öffentlichkeit zu diskutieren. Damals hat sich die Situation gelockert, gab es ein bisschen mehr gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Thema Homosexualität. Die Propagandagesetze sind daher jetzt besonders fatal, weil sie jedes öffentliche Thematisieren von Homosexualität unmöglich machen.

Leben in der Großstadt

Homosexualität ist in Russland noch immer ein Tabuthema, das teilweise Hass und Gewalt hervorruft. Wobei man nicht vergessen darf, dass die Homophobie von den Konservativen und Kirchenvertretern noch geschürt wird. Trotzem, sagt Artem Uspenskiy, darf man sich das Leben als Schwuler oder als Lesbe in Russland jetzt auch nicht so vorstellen, dass man notwendigerweise ständig oder ausschließlich Gewalt und Ablehnung erfährt: "Es gibt das und das, beides gleichzeitig. Manche Leute haben nie Probleme, manche schon."

Matroschkas mit Regenbogenfahne

Quarteera e.V.

In Russland ist es ähnlich wie in anderen Ländern: In der Stadt lebt es sich als gleichgeschlechtliches Paar leichter, als am Land. Lesbische Paare werden eher akzeptiert, auch weil sie leichter unter dem Radar durchrutschen, während Liebe und Sex zwischen Männern stärker verurteilt werden. Daher werden schwule Männer öfter tätlich angegriffen. Was aber in Russland anders ist als z.B. in vielen westlichen Ländern: "Wenn etwas passiert, zum Beispiel du kommst aus der Disko und jemand schlägt dich zusammen, was in Russland immer wieder passiert, dann kannst du nicht ins Krankenhaus oder zur Polizei gehen. Du bleibst ganz alleine mit deinem Problem und bekommst keine Unterstützung", sagt Artem Uspenskiy.

Gezielte Sabotage

Gulya Sultanovas queeres Filmfestival Side by Side in St. Petersburg ist direkt vom Propagandgesetz betroffen. Auf den Flyern und Plakaten des Festivals prangt jetzt ein großer 18+-Button.

gulya sultanova

gemeinfrei

Gulya Sultanova

Gulya erzählt, dass sie beim letzten Festival vergangenen November, mit vielen Problemen zu kämpfen hatten: Einerseits wurde immer wieder versucht Minderjährige auf die Veranstaltungen einzuschleusen, um das Festival diskreditieren zu können. Es gab Bombendrohungen und mehrmals musste der Verantstaltungsort gewechselt werden. Für zukünftige Veranstaltungen ist es immer schwieriger, einen Ort zu finden, viele Orte springen ab, weil sie Angst haben.

Artem und Gulya geben zu bedenken, dass erst sehr wenige Menschen nach den Propagandagesetzen tatsächlich angeklagt wurden. "Das Gesetz wird nicht wirklich benutzt, um die Menschen zu verurteilen und die 5000 Rubel Strafe zu kassieren, sondern um allgemein eine Atmosphäre der Angst zu schaffen."

Gulyas Organisation hätte zum Beispiel einen Workshop für LehrerInnen angeboten. Dieses Angebot hat keinE einzigeR LehrerIn genutzt. Nicht weil das strafrechtlich irgendwie relevant gewesen wäre, denn das fällt nicht unter das Propagandagesetz, sondern weil LehrerInnen Angst haben, überhaupt irgendwie Interesse am Thema Homosexualität zu zeigen. Vor allem für junge Menschen ist das fatal, weil sie weder Informationen erhalten, noch Vorbilder oder Beispiele von schwulen oder lesbischen Erwachsenen haben.

Das Ziel des Propagandagesetzes sei eine Veränderung in den Köpfen der Menschen, dass sie das Gefühl haben, über Homosexualität zu sprechen sei etwas Schlechtes. "Man sieht: Das Gesetz schürt Angst", sagt Gulya Sultanova "Man will uns einfach aus dem öffentlichen Raum verjagen."