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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

4. 2. 2014 - 16:49

Bassdrum, Hedonismus, Avantgarde

Zehn Tage musikalische Extravaganz höchster Qualität: Das CTM Festival Berlin

Rauschen, Tösen, Brummen. Massiver Beat und feingliedrig angerichtetes Geklickere, Theorie, Bohren in der Geschichte, Forschen in der Zukunft. Vorwärtsgewandte Elektronik, Avantgarde, futuristischer Pop und abenteuerlichen Techno – das am Sonntag zu Ende gegangene CTM Festival Berlin hat sich auch dieses Jahr wieder einmal als eines der führendsten und besten Festivals weltweit erwiesen. Dies ist keine Übertreibung. Zehn Tage lang war, dieses Jahr unter der Losung "Dis Continuity", an Schauplätzen wie dem Hebbel am Ufer, dem Berghain samt angrenzender Kantine und dem Stattbad Wedding wieder Prickelndes zu erfahren.

Russell Haswell

CTM/marco microbi/photophunk.com

Russell Haswell
KTL

CTM/marco microbi/photophunk.com

KTL

Einer der Schwerpunkte des diesjährigen CTM Festivals war ein Fokus auf das in Wien stationierte Label Editions Mego. Die von Pita Rehberg betriebene, altehrwürdige Freidenker-Fabrik tauchte immer wieder mit unterschiedlichen Performances an unterschiedlichen Austragungsorten auf: Harsche Elektronik, wie man sie gemeinhin mit dem Label assoziiert, hat es zu hören gegeben, Drones und digitalen Noise, Auseinandersetzungen mit Musique Concrete, aber auch kosmische, eher geschmeidige Synthesizer-Musik.

Höhepunkte waren da beispielsweise Auftritte des englischen Alleskönners Russel Haswell oder von KTL, dem Projekt, das Labelhead Pita gemeinsam mit dem vor allem von der Drone-Doom-Band Sunn 0))) bekannten Musiker Stephen O'Malley betreibt. Sehr schön, dass dem Label – nicht zuletzt auch im Hinblick auf seine Subdivisionen wie Spectrum Spools oder Sensate Focus – wieder die verdiente Aufmerksamkeit zuteil wird.

Hypnobeat

CTM/marco microbi/photophunk.com

Hypnobeat
Mary Ocher

CTM/Paul Lecat

Mary Ocher

Das Label Editions Mego kann in seiner frei fließenden Ausrichtung sicher als prototypisch für das Festival gesehen werden. Während Editions Mego aber wohl die Elder Statesmen darstellen, hat ein anderes, ungleich jüngeres Label die Zukunft repräsentiert: Opal Tapes. Das freshe englische, aktuell von gerechtem Hype begleitete Label war zur CTM ebenfalls mit einer kleinen Gesandtschaft angereist. Bislang noch viel zu wenig bekannte Acts wie 1991, Labelboss Basic House oder Karen Gwyer – sie wird man sich besonders gut merken müssen – konnten da mit einer im besten Sinne seltsamen Mischung aus House, Blasen schlagendem Ambient und elektronischem Kraut in den stickigen und verwinkelten Kellergewölben des stillgelegten Stattbad Wedding die Menschen, wie man so sagt, zum Schwitzen und Staunen bringen.

Patten

CTM/marco microbi/photophunk.com

Patten

Außerdem hervorragend: James Holden präsentierte sein Album "The Inheritors", immerhin nicht weniger als ein Album des Jahres 2013, mit kleiner Band samt Saxophon im Theaterambiente, tiefbassiger Dub-Techno von Porter Ricks, Helena Hauff und James Dean Brown mit ihrem gestrengen Projekt Hypnobeat oder der englische Produzent Patten, der demnächst bei Warp Records ein aller Wahrscheinlichkeit nach fantastisches Album veröffentlichen wird und zu seinem Auftritt neben allerlei Elektronik überraschenderweise mit Gitarre auftauchte. Und vieles, vieles mehr.

PArty

CTM/marco microbi/photophunk.com

Es war alles also sehr antrengend, geistig wie körperlich, fordernd und erhellend. Zwischen quietschender Avantgarde und von Industrial beeinflusstem Techno war bei der CTM aber auch vergleichsweise Poppiges zu erleben: Der neu entdeckte Progrock von Rodion G.A. aus Rumänien zum Beipspiel, der erst vergangenes Jahr vom immer verlässlichen Label Strut aus den 70ern und 80ern wieder ausgegraben worden war, das weird-versponnene Songwritertum von Mary Ocher oder die hervorragenden englischen Folk-Elektroniker Grumbling Fur, die 2013 auf Thrill Jockey ebenfalls ein Album des Jahres veröffentlicht haben.

Es wurde gelauscht und nachgegrübelt, man erstarrte in Ehrfurcht und es wurde – aber so richtig – abgravet und dem Gott der großen Bassdrum gehuldigt. Unbedingter Hedonismus und sich nachdenklich am Kinn kratzende E-Musik: Nach ein paar Tagen CTM Festival waren die Energiereserven verbraucht, die Reservoire im Hirn und im Herzen mit spannender Musik und Kunst im weitesten Sinne wieder vollgetankt.