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Roland Gratzer

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4. 2. 2014 - 14:23

Happy Birthday, Facebook!

Warum die Datenkralle das beste Online-Tool aller Zeiten ist. Eine Festtagsrede zum zehnten Geburtstag.

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Medien bereiten gerne Nachrufe vor. Wenn eine prominente Person langsam den Zenit der Überlebensfähigkeit erreicht hat, wartet ein schöner Text in der Schublade. Bei Philipp Seymour Hoffman war das nicht der Fall, bei Pete Doherty gibt es einmal pro Jahr eine Aktualisierung. In den letzten Tagen zeichnet sich ein neuer Trend aus: Dinge werden totgeschrieben, auch wenn sie erst den zehnten Geburtstag feiern. Happy Birthday, Facebook!

Einem Webportal mit 1,23 Milliarden Usern das kommende Ende vorauszusagen, ist durchaus frech. Nein, es ist eine Frechheit. Denn Facebook hat uns in den letzten Jahren so viele schöne Dinge geschenkt. Danke dafür.

Sozialleben für Sozialphobiker

Facebook ermöglicht uns das Aufrechterhalten sozialer Kontakte, ohne diese mit mühsamen echten Treffen oder, noch schlimmer, Telefonaten, zu pflegen. Es ist wie eine Brieffreundschaft (die Älteren unter uns kennen das noch), nur ohne das mühselige Gefühl, noch etwas erledigen zu müssen. Vom alten Schulfreund lange nichts gehört? Einen potentiellen Arbeitgeber auf sich aufmerksam machen? Den aus Schüchternheit sonst niemals möglichen ersten Schritt wagen? Durch Kommunikationsmittel verschiedener Intensität (Like-Kommentar-Chat) ist die Pflege des sozialen Umfeldes so leicht steuerbar wie nie zuvor. Und währenddessen auch noch Homeland schauen? Das ging früher nicht. In einer Welt des Wettbewerbs, der sozialen oder altersbedingten Ungerechtigkeit, in dieser Welt hat Facebook neben den guten und den engen Freunden, neben den Bekannten und Bekanntschaften eine neue soziale Kategorie eingeführt: Die Online-Freundschaft. Oft hält diese im echten Leben dann nicht lange. Doch das muss sie auch nicht.

cracked.com

Geschichte wird von Geschichten geschrieben.

Sender-Klick-Empfänger

Sender und Empfänger auf einer gleichen Ebene. Dieser doch schon alte Traum der Medienwissenschaft wird durch Facebook ein Stück realer. Shitstorms können sogar große Unternehmen leicht ins Wanken bringen. Nicht lange, aber immerhin länger als früher. Große Produktboykott-Initiativen waren früher nur mit massivem Aufwand möglich (vgl. Greenpeace vs. Shell). Heute braucht es dazu keine geplanten Kampagnen mehr. Fotos von geschlachteten Delfinen, Polizeibrutalität in Kiew oder tausendfach vorgebrachte Kritik an dummen Aussagen von Firmenchefs (Barlilla!) reichen aus, um Unternehmenspolitiken zu ändern. Oder zumindest, um das Image der Firma anzupatzen. Und davor haben alle PR-Abteilungen Angst.

Facebook hat gegenüber anderen sozialen Medien hier einen klaren Vorteil: Es ist auf keine Berufsgruppe beschränkt. Hier regieren nicht die Opinion Leader, die uns auch sonst mit ihrer ach so wertvollen Meinung einen ach so wichtigen Wegweiser durch die von uns nicht begreifbaren Welt liefern. Auf Facebook regiert die Masse. Eltern, Kindern, kluge Menschen, Trottel. Alles ist dabei, alles hat eine Stimme und ist nur einen Mausklick von Unterstützung oder Ablehnung entfernt. Twitter funktioniert anders. Natürlich kann ich mir selber aussuchen, wem ich dort folge. Doch mit einer strengen "keine Dampfplauderer"-Policy stehe ich zumindest in Österreich schnell im Kommunikations-Wadi. (Das Wort habe ich bei Quizduell gelernt. Damit das auch mal für was gut ist.) Auch wenn die Unternehmen auf Facebook nicht wissen, wie sie mit Kritik umgehen sollen und die Probleme meist (erfolgreich) aussitzen, mein Kommentar bleibt. Und wenn er gelöscht wird, dann noch besser. Auf Twitter ist alleine das Nicht-Folgen der Chefanalysten-Quastl Zeugnis der eigenen Bedeutungslosigkeit. Nur das eine noch: Online-Demos sind trotzdem voll für den Arsch.

Aus dem Artikel-Reigen der letzten Tage stechen zwei Texte hervor, die von nur einem Autor sind, dem großen Peter Glaser nämlich:

Im "Gefällt mir"-Universum

Die Welt nach Facebook

Reinhardt-Seminar für alle!

Wenn wir Facebook und Twitter mit einer Faschingsparty vergleichen, dann ist Twitter eine reine Themenparty und Facebook ein unkontrolliertes Strandfest. Bei der Twitter-Themenparty wollen alle gleich ausschauen und von den anderen dafür Komplimente bekommen. Die bekommt aber nur die Liste mit den Ehrengästen. Auf Facebook schauen alle anders aus. Statt einer Urkunde (Retweet) gibt es zwar nur ein Zuzwinkern (Like), trotzdem ist die Party bunter, überraschender und lauter. Zu Beginn ist jeder User ein weißes Blatt Papier, befreit von sozialen Zuschreibungen, Vorurteilen, Erinnerungen und Stigmata. Wir kreieren uns selbst. Wir erschaffen uns ein neues Ich, mit dem wir spielen können. Wir können es adaptieren, riesige Brüche vollziehen, je nach Freundesliste unterschiedlich agieren. Es ist die dramaturgische Spielwiese unserer Zeit, eine völlige Neudefinition, frei von dem, was wir selbst an uns hassen. Das ist unauthentisch? Ja, so ist das nun mal am Theater.

Facebook-Meme

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Katalysator, nicht Ursache

Jetzt noch ein Boulevard-Terminus: Cyber-Mobbing!!!! Wie in vielen anderen Diskussionen bleiben wir hier oft an den Symptomen hängen, weil wir die Ursache als zu manifestiert hinnehmen. Besser auf eine US-Firma schimpfen, als psychische und physische Gewalt am Ausbildungs- oder Arbeitsplatz zu hinterfragen. Denn dann müssten dem Zeigefinger ja auch Taten folgen. Mobbing hat es schon vorher gegeben. Das Internet, und vor allem Facebook, wirken hier als - zugegeben - bedrohlicher Katalysator. Doch das gemobbte Kind würde wohl auch ohne Facebook gemobbt werden. Die Eltern, die sich darüber beschweren, dass die Kinder ach so viel Zeit mit Facebook verbringen, hätten sie vor zehn Jahren halt vor den Fernseher gesetzt, anstatt sich mit ihnen zu beschäftigen.

Und weil symbolisches Kapital die einzige Währung unserer Generation ist und deshalb sparsam eingesetzt werden muss, zitiere ich mich zum Schluss einfach selbst. Andere würden das "am Thema dranbleiben" nennen. Ich nenne es mal Eigen-Plagiat. Dafür gleich zwei Kapitel lang:

Facebook ist keine sozialmediale Allmende

App aus Wien
Dass Facebook viele Daten seiner Nutzer speichert, ist bekannt. Weniger bekannt ist, was diese Daten verraten. Die kostenlose "Privacy Awareness App" aus Wien kann das sichtbar machen: Radio Wien berichtet. Weiterlesen hier!

Bei all der berechtigten Kritik an personalisierter Werbung und dem Weiterreichen von persönlichen Daten an Dritte sollten wir nie vergessen: Facebook ist und bleibt ein an Profitmaximierung orientiertes Unternehmen! Die Website ist keine sozialmediale Allmende, in der die wenigen Weltenbürger mit Internetanschluss und Endgerät das Recht haben, herumzutoben. Dessen sollten sich alle bewusst sein, die schamlos lügen, wenn sie den "Ich habe die AGB gelesen und stimme zu"-Button klicken. Achtung Kindergarten-Kapitalismus: Ein Unternehmen will Geld machen, am besten Gewinn. Das ist im Internet sehr schwierig. Das wertvollste Gut unserer werbedominierten Hemisphäre sind spezifische Nutzerdaten. Damit lassen sich Konsum-Profile erstellen und mittels gezielter Werbung mehr Umsatz erzeugen. Wer da als Konsument mitspielt, soll sich nachher auch nicht beklagen.

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Ohne Facebook würden wir solche Dinge niemals erfahren.

It's Eigenverantwortung, stupid!

In all den kritischen Artikeln und Kommentaren der letzten Zeit gewinnt man den Eindruck, wir wären Zuckerberg und seinen apokalyptischen Apps hilflos ausgeliefert. Damit verleugnen wir eines der wichtigsten Ergebnisse des seit der Aufklärung tobenden Kulturkampfes: das Recht auf Selbstbestimmung. Das inkludiert nicht nur völlige Wahlfreiheit der Online-Portale, auf denen wir uns herumtreiben, sondern auch ein gewisses Maß an Eigenverantwortung. Facebook ist ein Publikationsmedium und keine Rollenspiel-Party in einem versifften Keller, in dem alles geheim bleibt. Wenn ich etwas poste, muss ich damit rechnen, dass sich andere Leute damit ein Bild über mich machen. Wenn ich besoffene Partyfotos veröffentliche, dann ist nicht die Plattform schuld, sondern ich selbst. Wenn ich meinen Job verliere, weil ich auf Facebook meinen Boss beschimpfe, dann bin ich kein Opfer, sondern einfach nur ein Vollidiot. Und das Recht, sich zum Vollidioten zu machen und daraus vielleicht noch was zu lernen, darf uns durch das elitäre Facebook-Bashing niemals genommen werden.