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Rainer Sigl

Spiel, Kultur, Pop im Assoziationsblaster.

4. 2. 2014 - 11:58

Early Refuser

Zehn Jahre Facebook-Verweigerung. Eine Polemik.

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Der Deutsche war groß, muskulös, in leger verlotterte Funktions-Hippieklamotten gehüllt und schaute meist recht düster drein. Spontan hatte er sich uns angeschlossen, als meine Freundin und ich vor einigen Jahren zu einer mehrtägigen Kamelsafari in die nordindische Wüste Thar hin zur pakistanischen Grenze aufbrachen. Dass er, der während dieser drei heißen Tage und bitterkalten Nächte einen Joint nach dem anderen rauchte, bei den regelmäßigen Pausen und am Abend, nach dem Aufschlagen des Lagers in den wenigen Dünen, sich wieder und wieder jedes Mal mit finsterem Blick und schlurfigem Gang einsam außer Sichtweite verzog, vergrößerte das Mysterium für uns.

Er wolle eben allein sein, dachten wir, denn vielleicht, so mutmaßte meine Freundin, trage er ein tragisches Schicksal mit sich herum, eine unglückliche Liebe, ein verpfuschtes Leben, das ihn zunächst als Traveller nach Indien und nun wortkarg, einsam und allein hinter die nächste Düne ziehen ließ.

Erst nach unserer Heimkehr mehrere Monate später verstanden wir, was der schweigsame, düstere Deutsche da in seiner Einsamkeit getrieben hatte. Mit breitem Grinsen und alberne Posen reißend glotzte uns sein Bild von den Dutzenden Selbstporträts entgegen, mit denen er für die Daheimgebliebenen Kumpane seine Weltreise täglich dokumentiert hatte.

Auf Facebook.

Wüste Thar, Sonnenaufgang

Rainer Sigl

Sonnenaufgang, Kamel. Nicht im Bild: schweigsamer Deutscher, mit Selfies beschäftigt

Die Ich-Maschine

Dass Facebook eine Selbstdarstellungsplattform ist, muss nicht weiter erwähnt werden, doch nirgends fällt das Bespielen der globalen Bühne der Eitelkeiten so ins Auge wie auf Reisen. Da sitzen sie, all die Gap-Year-Traveller, Individualisten und Abenteuersuchenden, ob mit Lonely Planet oder ohne, voll Verachtung für die Packagetouristen und jene, die sich ein Zimmer mit Luxus wie Klo drinnen leisten wollen, und versammeln sich Abend für Abend stumm und konzentriert in den Cafés mit WLAN, um ihrem virtuellen Tribe zuhause Bericht zu erstatten.

Klar: Das kann man auch positiv sehen. Mit dem Zuhause Kontakt zu halten muss nicht jedes Reisen zunichte machen, doch in Facebook und seiner von vielen als Tagebuch verstandenen Funktion des Dokumentierens liegt auch ein schleichendes Abwandern des Erlebnisses (oder gar: des Lebens?) selbst: Was nicht dokumentiert und gezeigt werden kann, hat irgendwie keinen Wert. Unvergessen bleibt mir jener amerikanische Tourist, der enttäuscht Angkor Wat unbetreten den Rücken kehrte und ins Hotel zurückfuhr, weil sein Kamera-Akku leer war - ich dokumentiere, also bin ich.

App aus Wien
Dass Facebook viele Daten seiner Nutzer speichert, ist bekannt. Weniger bekannt ist, was diese Daten verraten. Die kostenlose "Privacy Awareness App" aus Wien kann das sichtbar machen: Radio Wien berichtet. Weiterlesen hier!

Planet Zuckerberg

"Look me up on Facebook!" - weh dem, der auf diese Aufforderung zugibt, auf dem Planeten Zuckerberg nicht zu Hause zu sein. Wie kann man nur die größte soziale Plattform der Welt verweigern? Ist man da nicht, nun, ein technophober Ignorant? Entgeht einem da nicht, naja, alles? Ich muss nach zehn Jahren erfolgreichen Sträubens, zu Beginn und nach wie vor aus Prinzip, sagen: Nein, danke, es geht. Es gibt keinen Mangel an Sozialkontakt, vielen Dank, ich bin per Mail, SMS, Telefon, Post, wenn's sein muss WhatsApp, gern per Twitter oder sonst auch ganz altmodisch persönlich erreichbar. Facebook? Non, je ne regrette rien.

Die Gründe für eine derartige Abstinenz sind bei einem technikaffinen Menschen wie mir, der sich ansonsten beileibe nicht durch maschinenstürmerischen Konservativismus auszeichnen, recht simpel: Was begeisterten Fans von Facebook Argument dafür ist, spricht für mich ultimativ dagegen. Ich mag mein kleines, intimes Privatleben, in das ich mich regelmäßig zurückziehe, jene altmodisch abgeschlossene Privatsphäre, in der ich für Freunde und alle, die wohl oder übel von Facebook auch als solche bezeichnet werden, nicht erreichbar bin. Ist gut so.

Mir bereitet es außerdem eher Unbehagen, meine Bekanntschaften, Freundschaften, Verwandtschaften, Seilschaften und sonstige Beziehungen in digitale Landkarten übertragen zu sehen. Und mal im Vertrauen gesagt: Die meisten Kindergarten- und Volksschulkollegen, die ich seit zwanzig Jahren nicht getroffen habe und die auf Facebook irgendwo auf mich warten, habe ich nicht aus Zufall sondern aus guten Gründen schon so lange nicht mehr gesehen. Facebook verkauft die Illusion der Dramatis Personae eines Lebens: Cast in Order of Appearance.

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Ist das Biedermeier? Meinetwegen. Jetzt, wo viele sich wieder abwenden von Facebook, wo Junge das von alten Säcken entdeckte Neuland wieder verweigern und so mancher FB-Süchtige sich angesichts Hunderter ins Nichts verschwundener Stunden Lebenszeit angewidert Abstinenz auferlegt, bleibt meine Verweigerung zu gleichen Teilen persönlich wie grundsätzlich. Nicht nur, dass ich die lückenlose Dokumentation meiner selbst nur ungern einem börsennotierten Unternehmen zur wirtschaftlichen Verwertung nachwerfen will - dies ist das trotz allem kaum zu entkräftende grundsätzliche Gegenargument - nein, ich verweigere die Veröffentlichung meiner Privatsphäre auch, weil ich persönlich dafür keinen Grund sehe. Gut, die hin und wieder stattfindenden Gespräche in den Kommentaren hinter Facebook-Mauern verpasse ich - doch meistens, mal ehrlich, spiegelt sich darin nur das Licht der Welt da draußen wider.

Vernetzt? You bet. Im am umständlichsten zu bedienenden milliardenschweren Datenkraken der Welt, dessen Benutzer natürlich nicht Kunden, sondern Ware sind? Muss nicht sein. Denn irgendwie verspüre ich auch nach zehn Jahren des Aufstiegs zur Weltmacht Facebook noch immer absolut keinen Drang dazu, eine virtuelle Botschaft meiner selbst im Netz einzurichten, die 24 Stunden offen hat.

Werden in zehn Jahren irgendwo "20 Jahre Facebook" gefeiert werden? Ich habe meine Zweifel. Bis dann bleibe ich hier draußen. Bis ihr alle hinter der Düne wieder aufgetaucht seid.