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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

3. 2. 2014 - 12:29

TTIP-Handelsabkommen beginnt zu wackeln

Barack Obamas eigene Partei tritt im Kongress gegen das Abkommen mit der EU auf. Der gebeutelten US-Autoindustrie droht eine Übernahme durch europäische Konzerne.

Erst war die für Mitte Februar geplante, vierte Runde der Verhandlungen zum transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP ohne Angaben von Gründen in den März verschoben worden. Die Erklärung dafür wurde am Mittwoch aus dem US-Kongress geliefert. Senator Harry Reid, der Fraktionsvorsitzende der Demokraten, sprach sich offen gegen ein "Fast Track"-Verfahren für das umstrittene Abkommen aus.

Dieser legistische Schnellsiedeprozess erlaubt den Abgeordneten beider Häuser im Kongress nur, nach Abschluss der Verhandlungen mit "ja" oder "nein" zu stimmen. Über "Fast Track" waren sämtliche US-Handelsabkommen der vergangenen zehn Jahre abgewickelt worden.

Bleibt es bei dieser Position, dann wird der zwischen Europa und den USA ausgehandelte TTIP-Vertragstext danach auf den Weg einer normalen Gesetzesinitiative durch beide Häuser des US-Kongresses gebracht. Damit ist eine Flut von Änderungsanträgen ebenso garantiert, wie auch Blockaden durch Dauerreden ("Filibuster") möglich sind. Vom "Wall Street Journal" angefangen wird TTIP in den US-Medien seit Donnerstag denn auch bereits als "schwer gefährdet" oder "eigentlich schon tot" erklärt.

Scrabble

http://www.flickr.com/photos/lendingmemo/

Simon Cunningham, CC BY 2.0

Wahlkampf und US-Autoindustrie

Der Grund für diesen Schwenk in Barack Obamas eigener Partei: Wahlkampf ist. Im November dieses Jahres stehen 350 der 435 Abgeordnetensitze des Repräsentantenhauses und ein Drittel der Senatoren zur Neuwahl an. Die Demokraten müssen befürchten, dass die Rückeroberung des republikanisch dominierten Repräsentantenhauses scheitern wird und auch die im Senat bis jetzt bestehende knappe Mehrheit ebenfalls verlorengeht.

Eine Kernschicht der demokratischen Wähler aber sind Beschäftigte in der Industrie und die haben allen Grund zur Sorge um ihre Arbeitsplätze.

Österreichische EU-Parlamentarier von EVP, SPE und Grünen haben bereits starke, großteils deckungsgleiche Vorbehalte gegenüber dem geplanten Freihandelsabkommen mit den USA gegenüber ORF.at geäußert.

Milliarden hier, Insolvenzen dort

Während die von der Bankenkrise 2008 schwer getroffene US-Autoindustrie erst 2013 wieder Licht am Ende des Tunnels sah, haben europäische Autokonzerne diese fünf Jahre nicht nur weitgehend unbeschadet überstanden. Der VW-Konzern etwa blieb während der gesamten Krise profitabel und fuhr ab 2010 (7,2 Mrd Euro) rasant steigende Reingewinne (16 Mrd. 2012) ein.

General Motors und Chrysler mussten hingegen mit milliardenschweren Geldspritzen gerettet werden. So wurde das Insolvenzverfahren von GM erst 2013 abgeschlossen. Fiat wiederum gab erst vor wenigen Tagen bekannt, dass der 2009 begonnene Übernahmeprozess von Chrysler bis zum Oktober 2014 abgeschlossen werde.

Investorschutz

Dieses innenpolitisch-wirtschaftliche Szenario steht einer völlig andersartigen, strategischen Gesamtausrichtung der US-Weltpolitik gegenüber, die sich an einzelnen Punkten des TTIP-Ansatzes unschwer ablesen lässt. Der wohl umstrittenste Punkt im Abkommen, das Investorschutz-Verfahren (ISDS) ist ganz klar auf die Interessen von US-Großkonzernen zugeschnitten.

Die dritte Verhandlungsrunde Mitte Dezember wurde von einem wahren "Shitstorm" im Netz begleitet. Auslöser waren abfällige Äußerungen der Kommission gegenüber Konsumentenschützern.

Die USA stellen denn auch von Pharma- und Energiekonzernen bis zur (agro)chemischen Industrie und dem IT- und Internetsektor die größten Player auf dem Weltmarkt. Das im Freihandelsabkommen vorgesehene Schlichtungsverfahren ist vollständig nach diesen Interessen ausgerichtet. Nur ein finanzstarker Konzern kann es sich beispielsweise leisten, ein Verfahren gegen die Regierung eines Drittstaats vor dieser neu einzurichtenden Schlichtungsstelle anzustrengen.

Wo da die Vorteile für die innovative, aber weitgehend kleinteilige europäische Industrie - etwa Anlagen- und Maschinenbau, Spezialstähle, Metallbeschichtungen usw. - liegen sollten, konnte bis jetzt niemand aus der EU-Kommission auch nur im Ansatz erklären.

Handelskommissar Karel de Gucht

Am Freitag versuchte sich EU-Handelskommissar Karel de Gucht im ARD-Interview darin und scheiterte nachhaltig. De Gucht beschränkte sich darauf, die sattsam bekannten Schätzungen von 120 Milliarden Mehrumsatz für Europas Industrien zu wiederholen und legte diese Summe in bekannter Manier erneut direkt auf Europas Haushalte um.

Wie das gescheiterte "Anti-Piraterieabkommen" ACTA fällt auch TTIP in das Ressort von US-Handelskommissar Karel de Gucht. Das ist bei weitem nicht die einzige Gemeinsamkeit.

Aus einem bestenfalls grob extrapolierten Mehr an Industrieumsätzen Veränderungen in der Einkommenstruktur privater Haushalte zu "errechnen" ist schlichtweg unseriös. Die permanent wiederholte Zahl von etwa 545 Euro pro Jahr für jeden der über 200 Millionen Haushalte in Europa ergibt insgesamt nämlich recht genau die ominöse Summe von 120 Milliarden. Dass gestiegene Industrieumsätze vollständig an Verbraucher weitergegeben werden, wäre ein absolutes Novum in der Gechichte neuzeitlicher Wirtschaftspolitik.

Das Interview gipfelte in einem hitzigen Wortwechsel und wurde von de Gucht schließlich abgebrochen, nachdem der ARD-Reporter darauf bestanden hatte, dass seine Fragen auch beantwortet werden.

Auch wenn, oder gerade weil Karel de Gucht die entscheidenden Fragen nicht beantwortet, ist das gesamte ARD/WDR- Interview absolut sehenswert

NSA, CIA, TTIP

Nicht nur im Senat, sondern auch im Repräsentantenhaus ist eine große Mehrheit der Demokraten - 151 Abgeordnete - gegen ein "Fast Track"-Verfahren für TTIP und das gleichgelagerte, an Asien adressierte TPP. Hier fährt also die US-Innenpolitik der US-Außenpolitik direkt in die Parade.

Zu den auffälligsten Unterstützern von TTIP gehört nämlich der NATO-Thinktank "Atlantic Council", dessen "Board of Directors" aus Altpolitikern, Ex-Militärs, Diplomaten und Wirtschaftsführern besteht. Dem mit ehemaligen Sicherheitsberatern verschiedener US-Regierungen dicht besetzten Board gehören zum Beispiel Henry Kissinger, Ex-NSA-Direktor William Hayden und der frühere CIA-Chef James Woolsey an.

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Simon Cunningham, CC BY 2.0

Geopolitik und Strategie

TTIP und TPP gehen nämlich über reine Handelsabkommen weit hinaus, zumal beide klar geopolitisch-strategischen Charakter haben. Die USA spielen hier ihre Verbündeten in Asien gegen die Europäer aus, um das Maximum für die eigenen Interessen herauszuholen.

Dafür sind sie bereit, auch bis dato abgeschirmte Sektoren wie etwa die Energiewirtschaft für den Meistbietenden zu öffnen. Im Fall der europäischen Autokonzerne ist die Schwäche der US-Konkurrenz zusammen mit billigem Fracking-Gas - der Preis in den USA liegt etwa bei der Hälfte von Nordseegas - der hauptsächliche Anreiz. Doch auch hier zeichnet sich bereits eine neue Entwicklung ab.

Condoleezza Rice, Madeleine Albright, Colin Powell und James Baker sind im Atlantic Council ebenso vertreten.

Künstliche Gaspreise

Der Gaspreise in den USA sind deswegen konstant so niedrig, weil Energieexporte aus den USA bis jetzt grundsätzlich genehmigungspflichtig sind. In Staaten zu exportieren, mit denen ein Freihandelsabkommen besteht, ist es zwar einfacher, aber auch dorthin steht der Export unter Kontrolle der US-Regierung. Sicherheit in Bezug auf mittelfristig niedrige Energiepriese im Gassektor gibt es also weder für Importeure aus Übersee, noch für energieintensive Sektoren aus Europa, wie etwa die Autoindustrie, die in den USA produzieren wollen.

Die Gespräche über das Freihandelsabkommen (TTIP) konnten im Juli nur deshalb starten, weil die USA zugesagt hatten, die EU-Delegationen diesmal nicht auszuspionieren.

Sobald die Exportkontrollen mit irgendeinem Land fallen - beispielsweise mit dem energiehungrigen Japan - werden die künstlich niedrig gehaltenen Preise in den USA unweigerlich anziehen und relativ bald danach das Niveau des Weltmarkts erreichen. In diese Bilanz nicht eingerechnet ist die spätere Sanierung von Umweltschäden durch Fracking. Weil dabei Gesteinsschichten mit einem Mix aus Wasser, Sand und teils toxischen Chemikalien aufgebrochen werden, ist eine nachhaltige Verseuchung der Grundwasservorräte wahrscheinlich.