Erstellt am: 2. 2. 2014 - 20:08 Uhr
Der Meister ist von uns gegangen
Philip Seymour Hoffman (1967 - 2014)
Der US-Schauspieler ist Sonntag Mittag tot in seinem New Yorker Apartment aufgefunden worden. Todesursache dürfte eine Drogen-Überdosis sein. Der Oscar-Preisträger hinterlässt drei Kinder.
Erst als die genaueren Umstände rund um den Tod von Philip Seymour Hoffman bekannt werden, setzt die Fassungslosigkeit ein. Und dann mischt sich mitten in die Erschütterung ein makabres Gefühl des Déjà-vu.
Auf fast schon gespenstische Weise erinnert vieles von dem, was gestern anscheinend in der Wohnung des Schauspielers in New York passiert ist, an einen seiner beklemmendsten und besten Filme. Im dunklen Thriller „Before The Devil Knows You're Dead“, dem finalen Meisterwerk des legendären Sidney Lumet, spielt Hoffman einen wohlsituierten Buchhalter, der im Gegensatz zu seinem strauchelndem Bruder eine Vorzeigeexistenz mit einer hübschen Ehefrau führt. Allerdings verbergen sich, wie fast immer bei den Rollen von Philip Seymour Hoffman, unter der durchschnittlich anmutenden Oberfläche tiefe Abgründe. In regelmäßigen Abständen fährt der bieder wirkende Andy in ein geheimes Apartment, legt sich aufs Bett, lässt sich von einem Dealer einen Gummischlauch um den Arm binden und beamt sich mit Heroin aus seinem zermürbenden Alltag.
Nie hätte ich vermutet, dass der in Interviews so kontrolliert und analytisch wirkende Ausnahmeakteur dieser Figur so nahe gestanden ist. Sicher, manchmal flackerte in gewissen Artikeln etwas über frühere exzessive Zeiten auf, aber das konnte man leicht überlesen. Weil sich Philip Seymour Hoffman prinzipiell aus der Schlangengrube der Klatschspalten und den hirntoten Inszenierungen der Celebrity-Gegenwart herausgehalten hat. Dieser Mann existierte scheinbar einzig für die Kunst, über die Kunst, ohne privat zu einer verzerrten Kunstfigur zu werden.
Koch Media
Menschliche Tristesse als Markenzeichen
Die unglaubliche Vielfalt seiner Charaktere, in die er seit Anfang der Neunziger in Filmen, Theateraufführungen und TV-Serien schlüpfte, lässt wohl jeden begeisterten Anhänger seines Schaffens auf einen anderen Philip Seymour Hoffman zurückblicken.
Mir persönlich begegnete der im Staat New York, in einem unauffälligen Vorort von Rochester geborene Schauspieler zum ersten Mal in der grandiosen Pornoindustrie-Studie „Boogie Nights“. Plötzlich drängte sich da ein linkischer junger Mann ins Bild, der seine teigige Statur ganz offen ausstellte und versuchte, sich an den vor Virilität strotzenden Mark Wahlberg heranzumachen. Die Vergeblichkeit und die Tristesse, die die Situation ausstrahlte, wurde zu einem Markenzeichen des damals dreißigjährigen Hoffman. Als Akteur, dem nichts peinlich zu sein schien, der für die wahrhaftige Darstellung einer Figur nahezu alles riskierte, brannte er sich dauerhaft in die Netzhaut ein.
Hoffman blamierte sich zu unser aller Amüsement in „The Big Lebowski“ als tollpatschiger Studioassistent, schockte im großartigen Fremdschäh-Epos „Happiness“ als einsamer, wichsender Stalker, der der eisigen Lara Flynn Boyle nachstellte. Auch in vernachlässigbaren Rührstücken wie „Flawless“ brillierte Philip Seymour Hoffman, in dem er sein Innerstes nach außen stülpte und jemanden wie Robert DeNiro an die Wand spielte. Er raste als besessener Musikkritiker Lester Bangs durch die eigentlich viel zu putzige Rock’n’Roll-Hommage „Almost Famous“ und veredelte mit seinen Auftritten mittelmäßige Thriller wie „Red Dragon“.
Atemberaubend wurde es stets, wenn Hoffman für seinen Freund, den Regieguru Paul Thomas Anderson, der mit dem erwähnten „Boogie Nights“ den Durchbruch schaffte, vor der Kamera agierte. In „Magnolia“, einem Film, der die Sprache des zeitgenössischen Kinos und vor allem gewisser TV-Serien veränderte, blitzten neben der Armseligkeit des Alltags, die er zu seinem Trademark machte, auch ganz andere, feinfühlige Facetten auf. Aber auch in einer der schönsten Liebesgeschichten aller Zeiten und Welten, Paul Thomas Andersons „Punch-Drunk Love“, reichte ein bissiger Hoffman-Kurzauftritt für das Prädikat „Unvergesslich“.
Kinowelt
Anwalt für die Einzelgänger
Spätestens zu Beginn der Nuller-Jahre und mit Rollen in Filmen von Todd Solondz, Anthony Minghella oder Spike Lee hatte sich Philip Seymour Hoffman als zentraler Charakterdarsteller in Hollywood etabliert und dem Begriff eine neue, rohe und oftmals herrlich räudige Bedeutung verliehen.
Um sich nicht endlos zu repetieren und in Klischees einsamer Masturbatoren zu erstarren, tauchte der Schauspieler dann in das gediegene Indie-Kino und den Mainstream ab. Seine Verkörperung - im wahrsten Sinn des Wortes - des Berufszynikers und Literaturdandys Truman Capote verschafft ihm seinen ersten und einzigen Oscar, im Megaspektakel „Mission: Impossible III“ kreiert er einen enigmatischen Bösewicht, der an Götter wie Gerd Fröbe und dessen Bond-Schurken Goldfinger denken lässt.
Wenn ihm manche Kritiker für solche Darbietungen Anzeichen der Anpassung vorwerfen, könnten sie nicht falscher liegen. Hoffman erweitert nicht nur sein Repertoire, er erfüllt auch schematische Blockbuster-Figuren mit einer beunruhigenden Tiefe. Die Freaks und Geeks seines Frühwerks scheinen wie Verwandte des abgeschirmt schreibenden Außenseiters „Capote“, der diabolische Gegenspieler von Superagent Tom Cruise passt auf perverse Weise zum möglicherweise pädophilen Priester in „Doubt“. Philip Seymour Hoffman ist der Anwalt für die Einzelgänger und Isolierten, für die autistischen Genies und verklemmten Loser gleichermaßen.
In der zweiten Hälfte der letzten Dekade hat er einen künstlerischen Run, der seinesgleichen sucht. Der eingangs beschriebene „Before The Devil Knows You're Dead“ sorgt für Gänsehaut, das bizarre Wunderwerk „Synecdoche, New York“ wirkt wie ein die Synapsen zerfetzendes Best-Of bisheriger Rollen, in dem sich die wichtigsten Charaktere von Hoffman zu einem melancholischen Stelldichein treffen. Kommerziell erfolgreich sind diese avanciertesten seiner Filme dabei nicht.
Sony
Meisterhafte Manipulatorenrollen
Philip Seymour Hoffman weicht immer wieder auf die Bühne aus, liefert ein solides Regiedebüt ab („Jack In Love“), spielt, schreibt, arbeitet. Von seinem Privatleben bekommt man nur eine anscheinend funktionierende Ehe mit der Kostümdesignerin Mimi O'Donnell mit, die Familie mit den drei Kindern sei sein essentieller Rückhalt, sagt er der Presse ohne überzogene Sentimentalität.
Wie schon gesagt, das Menscheln, mit dem viele Schauspieler hausieren gehen, scheint Hoffman fremd, seinen Figuren umso weniger. In den vielleicht etwas hausbackenen Polit-Dramen „Charlie Wilson's War“ und „The Ides Of March“ brilliert er erneut, sammelt dafür Nominierungen und Preise. Wir befinden uns am Ende des vergangenen Jahrzehnts und ich gestehe, dass ich damals Philip Seymour Hoffman etwas aus den Augen verloren habe. Bis der Schauspieler dann plötzlich wieder von Paul Thomas Anderson eingesetzt wird, im mysteriösen Meisterwerk „The Master“.
Als perfider Sektenführer, der die asozialen Energien von Joaquin Phoenix zu zähmen versucht, liefert er eine der Glanzleistungen seiner Karriere und ist als Charakterdarsteller an dem spannenden Punkt angelangt, wo er vom Lager der Verlierer in jenes der Fädenzieher wechselt. Den Manipulatoren und grinsenden Gewinnern hat Hoffman auch schon vorher immer wieder sein Antlitz verliehen, aber nie so subtil unheimlich wie als Lancaster Todd. Ein weiter Weg vom tollpatschigen Pornofilm-Assistenten, der ihn zuletzt direkt in die Megafranchise „The Hunger Games: Catching Fire“ führte.
Ich habe nach diesen Parts immer von großartigen Altersrollen des Mannes geträumt, imaginierte mir Orson-Welles-artige Auftritte in wahnwitzigen und burlesken Dimensionen wie auch die Rückkehr zum bewusst grindigen Indie-Außenseiter-Kino. All diese Träume sind gestern zerplatzt, an einem Vormittag, in einem Apartment in New York. Mit nur 46 Jahren ist Philip Seymour Hoffman von uns gegangen, wir Liebhaber des Kinos werden diesen Verlust schwer verkraften.
Annapurna