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Pia Reiser

Filmflimmern

5. 2. 2014 - 12:07

Meds & Feds

Ein Rodeo-Raubein, das in den 1980er Jahren mit der Diagnose HIV positiv konfrontiert wird: "Dallas Buyers Club" ist ein weiterer Triumph für Matthew McConaughey.

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Hätte man vor ein paar Jahren die Möglichkeit einer Oscarnominierung von Matthew McConaughey in den Raum gestellt, man hätte die Reaktionen wohl am besten mit einem nicht so bekannten Audrey Hepburn-Film beschreiben können: "Sie haben alle gelacht". Inzwischen aber hat sich McConaughey vom Rom-Com-Surferboy zum Charakterdarsteller gewandelt - und gerade so, als ob die kleinen Triumphe und Überraschungen in Filmen wie "The Lincoln Lawyer", "Bernie", "Killer Joe", "Mud" oder "Magic Mike" nicht genug wären, geht McConaughey einen Schritt weiter, legt nicht nur das Image des muskulösen Strahlemanns ab, sondern gleich auch den dazugehörigen Körper und führt einem drastisch den Körper als Werkzeug eines Schauspielers vor Augen.

Matthew McConaughey in "Fool's Gold"

Warner

Nur zur Erinnerung: McConaughey in "Ein Schatz zum Verlieben"

Für die Rolle in "Dallas Buyers Club" nimmt er über 20 Kilo ab. Für Männer ist der Gewichtsverlust für Rollen immer ein guter Aufmerksamkeitsvorsprung in der Award Season (bei Frauen funktioniert der gern zitierte "Mut zur Hässlichkeit" noch besser, weil schlank sind die Hollywood-Actricen ja ohnehin schon). McConaughey reiht sich also ein in die illustre Liste der erschreckenden Gewichtsverluste (u.a. Christian Bale und Michael Fassbender) und gibt mit eingefallenen Wangen, Augenringen und in neuer, hagerer Gestalt das texanische Raubein Ron Woodroof.

Matthew McConaughey in "Dalls Buyers Club"

Thimfilm

... und in "Dallas Buyers Club"

Noch 30 Tage

Dieser Woodroof ist ein Elektriker und Spieler; einer, der gerne große Sonnenbrillen und Cowboyhüte trägt, der schon mal Sex mit zwei Frauen in einem Rodeo-Kuhstall hat, bevor er versucht, sich mit den Wetteinsätzen seiner Cowboyfreunde vom Acker zu machen. Es ist 1985 und von Magazinen prangt die Schlagzeile, dass Rock Hudson an Aids erkrankt ist. Über Aids weiß die Rodeorunde noch weniger als über Rock Hudson (den sie als der aus "Der unsichtbare Dritte" beschreiben).

Ron Woodroof - dessen wahre Geschichte der Film erzählt - wird sich gezwungenermaßen mit der Krankheit auseinandersetzen müssen, ihm wird nach einem Arbeitsunfall die Diagnose "HIV positiv" unterbreitet, 30 Tage würde er noch ungefähr zu leben haben, schätzen die Ärzte, die über die Krankheit und deren Behandlungsmethoden ungefähr so viel wissen wie die Rodeorunde über Rock Hudson. Ain't nuthin out there that can kill Ron Woodroof in 30 days, schleudert der dünne Mann den überforderten Ärzten entgegen.

Matthew McConaughey in "Dallas Buyers Club"

Thimfilm

Als die Leinwand schwarz und "Day 1" eingeblendet wird, beschleicht mich kurz die Befürchtung, jetzt vielleicht doch in einem klassischen "Krankheitsfilm" gelandet zu sein, einem Leidenscountdown, der die Erkrankung als Katalysator nutzen wird, durch die Woodroof zum besseren Menschen wird/eine Bucket-List abarbeitet/ eine klassische Carpe-Diem-Lektion erteilt bekommt. Der Tendenz des aktuellen "Victimization Cinema", das Bret Easton Ellis so oft in seinem herrlichen Podcast anprangert, enzieht sich "Dallas Buyers Club". So eine Haltung sticht dann auch die Tatsache aus, dass das Drama rein filmhandwerklich für keinerlei Überraschungen sorgt. "Dallas Buyers Club" ist ein herrlich ungeschliffener 6-Millionen-Dollar-Rohdiamant, der sich von der Indie-Produktion, für die es so schwierig war, Produzenten zu finden, zum Oscar-Kandidaten gewandelt hat, der nicht mit pathosgeschwellter Brust einreitet und in keinem Moment erzieherische Töne anschlägt oder darauf pocht, dass man sich hier mit einem ernsten und wichtigen Thema auseinandersetzt. Erschrecken wird einen der Blick zurück trotzdem.

Matthew McConaughey in "Dallas Buyers Club"

thimfilm

The drugs don't work

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Um an das damals einzig zugelassene Medikament für die Behandlung einer HIV-Infektion zu kommen, müsste Ron an einer Studie teilnehmen, könnte dabei aber in der Placebo-Gruppe landen. Ron findet kurzfristig Wege und Mittel, um an AZT heranzukommen, landet aber schließlich bei einem Arzt in Mexiko, der erklärt, AZT würde die kranken undgesunden Zellen angreifen. Er selbst habe kleinere Erfolge mit einer Kombination aus Vitaminen, Mineralien und anderen Medikamenten.

Woodroof ist ein Mann der Tat und mit vielen Ideen und beginnt Dextransulfat und Prokain u.a. aus Japan und mittels abenteuerlicher Geschichten, Verkleidungen und Inszenierungen in die USA zu schmuggeln. Nach dem Vorbild eines ähnlichen Modells in Florida gründet er den "Dallas Buyers Club", die Mitgliedsgebühr beträgt 400 Dollar, dafür hat man eine alternative Behandlungsmethode zu AZT. Nur die Kundenacquise fällt als Rodeoraubein eher schwer, dafür braucht Woodroof Hilfe - und findet in dem transsexuellen Rayon einen Geschäftspartner.

Jared Leto

thimfilm

Ron und Rayon

Als Gegenpol zum ruppigen, teilweise aggressiven und homophoben Woodroof positioniert "Dallas Buyers Club" Jared Leto als Rayon an dessen Seite. Jeans und Flanellhemden treffen auf Polyesterkleider und Kunstpelz, Schnurrbart auf extravagantes Augenmakeup. Das Außergewöhnliche an dem Film ist nicht nur die Verweigerungshaltung, eine Opfer-/Leidensgeschichte zu erzählen, sondern auch der Mut zu einer Hauptfigur, die nicht von Krankheit und Läuterung zu einem edelmütigen Helden feingeschliffen wird. In den teilweise schon sehr müden Augen Woodroofs leuchten nämlich schon kurz auch Dollarzeichen, als er erkennt, dass mit dem Verkauf der alternativen Medikamente auch Geld zu machen ist. Im Gegensatz zu anderen Filmen, die sich um Krankheitsgeschichten drehen, lässt "Dallas Buyers Club" bei seiner Hauptfigur noch andere Zuschreibungen als "Patient" zu. Und Ron ist vor allem ein Geschäfsmann.

Rayon verbreitet die Kunde vom "Dallas Buyers Club" und schon stehen Interessierte Schlange vor dem Appartmentkomplex, in dem er und Ron ihre Geschäfte betreiben. Und während es den Patienten der AZT-Studie immer schlechter geht, lindert der Medikamentencocktail den man über den "Dallas Buyers Club" erhält, zumindest die Symptome, verlangsamt das Voranschreiten der Krankheit.

Keine Sentimentalitäten

Die Annäherung zwischen Ron und Rayon verweigert sich Hollywood-üblichen Sentimentalitäten oder großen, symbolträchtigen Inszenierungen. Für Woodroof symbolisiert der Cowboy das Mann-Sein, das zwingend mit Heterosexualität verbunden ist. Als er mit Rayon in einen Nachtclub geht, sieht er die Ledergilets, Cowboyhüte und Schnurrbärte an jungen, muskulösen Männern in völlig anderem Kontext. Es ist nur eine kleine Beobachtung des Films und nur ein kurzer, eingefangener Blick McConaugheys und man spürt einen winzigen Riss in Woodroofs Einstellung.

Doch er wird im Lauf der Zeit nicht zum Harvey Milk von Dallas; die Änderungen in seinem Charakter zeichnet das Drehbuch dann auch so, wie Woodroof üblicherweise agiert: eher brachial. Als er im Supermarkt einen früheren Kompagnon durchzechter Nächte trifft und dieser sich weigert, Rayon die Hand zu schütteln, zwingt ihn Woodroof dazu und nimmt ihn dazu in den Schwitzkasten.

Matthew McConaughey in "Dallas Buyers Club"

Thimfilm

Woodroof ist allerdings bald selbst im Schwitzkasten der FDA, der Food and Drug Administration, die immer wieder versucht, seinen Tätigkeiten einen Riegel vorzuschieben. Themen wie wo man den sogenannten mündigen Patienten in einem System verortet, in dem Regierung und Pharmaindustrie einander in die Hände spielen, werden angerissen, ebenso ist "Dallas Buyers Club" ein erschreckender Blick (gar nicht so weit) zurück, als man Aids mehr oder weniger ahnungslos und achselzuckend gegenüberstand.

"Dallas Buyers Club" läuft ab 7. Februar 2014 in den österreichischen Kinos

Harrelson, Gosling, Pitt

Den Zeigefinger oder gar die Moralkeule lässt der herrlich ungeschliffene Film unausgepackt. Bloß zu einem Augenzwinkern rafft sich der Film einmal auf, da sieht man Woodroof mit dem Kopf auf den gefaltenen Händen, im Vordergrund flackern Kerzen. Was aussieht wie eine Szene, in der Woodroof göttlichen Beistand sucht, entpuppt sich als Besuch in einem Stripclub. Reingefallen, scheint der Film zu sagen, genau so ein Film bin ich nicht. Seit 20 Jahren gab es Pläne, diese Geschichte zu verfilmen; in den 1990er Jahren war Woody Harrelson als Woodroof im Gespräch, später dann Brad Pitt oder auch Ryan Gosling. Hat man "Dallas Buyers Club" gesehen, erscheinen all diese Casting-Varianten wie ein Witz.

Jared Leto und Matthew McConaughey in "Dallas Buyers Club"

Thimfilm

Tinkerbell und Lone Star, so nennen einander Ron und Rayon

Jared Leto kann schon mal am Kaminsockel ein paar Zentimenter für den Oscar freischaufeln und ich hoffe ja auch, dass Matthew McConaughey Leonardo di Caprio in der Kategorie "Bester Schauspieler" aussticht. Dann würde ich zufrieden und in alter Wooderson-Manier Alright, alright, alright murmeln.