Erstellt am: 3. 2. 2014 - 06:00 Uhr
No country for journalists
"Whatever happens, my soul remains strong." Mit diesen Worten endet der Brief des Journalisten Abdullah El Shamy. Abdullah sitzt seit 14. August im Gefängnis. Seit 21. Januar befindet sich der 25-Jährige Journalist im Hungerstreik. Es ist sein zweiter Brief aus dem Gefängnis. Angesichts der Lage des Al-Jazeera-Reporters sind es hoffnungslose Worte. El Shamy wurde an jenem Tag festgenommen, als ägyptische Sicherheitskräfte zwei Sit-ins der Muslimbruderschaft mit extremer Gewalt räumten. Al Shamy ist einer von fünf Al-Jazeera-Mitarbeitern, die derzeit in Gefängnissen in Kairo festgehalten werden.
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Die Umstände, unter denen Mohamed Fahmy und Mohamed Baher von Al-Jazeera international ab Ende Dezember einsaßen, müsste man eher Zustände nennen. Die Zelle der australischen Journalisten Peter Greste sind bis heute etwas Besser. Baher und Fahmy waren weggesperrt im Hochsicherheitsbereich des Tora-Gefängnisses vor den Toren Kairos. Dort hatten sie weder Betten noch Tageslicht. Ihnen wurden Zeitungen und Bücher vorenthalten.
Mittlerweile haben sich die Haftbedingungen verbessert. Die Drei Mitarbeiter von Al Jazeera English teilen sich mittlerweile eine Zelle. Der ägyptische Kamermann Mohamed Badr ist von seinen Vorwürfen freigesprochen, und am 6. Februar früh morgens entlassen worden.
Zugleich hat die ägyptische Staatsanwaltschaft die Namen der 20 angeblichen Al Jazeera Journalisten verlesen, denen auf Anstiftung zur Gewalt, sowie Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein. Elf der 20 aufgelisteten Reporter haben nie für Al Jazeera gearbeitet.
Der Twitter Hashtag #freeAJstaff wurde in den letzten Tagen zum Twitter-Trend. Weltweit posten Menschen Selfies mit einem Zettel auf dem bspw. steht: Journalismus ist kein Terrorismus - und FreeAJStaff.
privat
Nach den Bombenanschlägen vom 24. Januar haben Wachleute Decken und Essen der beiden konfisziert. Sharif Abdel Kouddous spricht deshalb vom "War on journalists" in Ägypten. Einem Nebenkriegsschauplatz – um im Bild zu bleiben – des "War on Terror", den die ägyptische Übergangsregierung seit August 2013 führt. Ziel ist, die Muslimbruderschaft und ihre Unterstützer. Al Jazeera gehört dazu – zumindest nach Lesart der ägyptischen Regierung. Das Resultat: Alleine am 25. Januar 2014, dem dritten Jahrestag der Revolution gegen Husni Mubarak, wurden zwölf Journalisten verhaftet.
"Wir müssen sie verhaften!"
Nadine Marroushi ging an diesem Tag zum Tahrir-Platz, um für den Blog der "London Review of Books" zu berichten. Sie war gerade dabei, die Braut des Armeegenerals Abdel Fattah a-Sisi zu interviewen, "als ein Mann auf mich zukam und sagte: Wir müssen die Frau festnehmen!" Die Worte des Mannes dröhnten wie Anklagen in den Ohren Marroushis: "Du wirst die Bilder, die Du hier machst in einem ganz anderen Kontext verwenden, um Ägypten in einem schlechten Licht dastehen zu lassen." Marroushi hatte keine Kamera dabei. "Der Mann fing an zu schreien: Du arbeitest für Al-Jazeera! Da sammelte sich eine aufgebrachte Menge um mich. In dem Moment war mir klar: Ich werde von einem Mob verhaftet." In Ägypten ist es nicht nur die Polizei, die es auf Journalisten abgesehen hat, sondern es sind vor allem aufgebrachte Bürger auf der Straße. "Dutzende Leute umschlossen mich und riefen: Al-Jazeera, Al-Jazeera. Du Schwein! Du Verräter! Sie waren bereit mich anzugreifen, that's for sure."
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Namen der festgehaltenen Al-Jazeera-Journalisten:
- Abdullah al Shamy
- Peter Greste
- Mohamed Fahmy
- Baher Mohamed
- Mohamed Badr
Die Feierlichkeiten zum Jahrestag der Revolution am 25. Januar waren eine große Parade zu Ehren des Militärs und des wahrscheinlichen Präsidentschaftskandidaten Abdel Fattah a-Sisi. Zumindest am Tahrir-Platz. Überall war sein Gesicht zu sehen. Auf Postern, auf Masken, auf Bannern, die von angrenzenden Gebäuden herabgelassen wurden. Abdel Fattah a-Sisi ist der neue starke Mann am Nil. Er war es, der Mohamed Mursi, den Präsidenten der Muslimbruderschaft, gestürzt hat. Er war es, der die verhasste Vereinigung wieder in die Gefängnisse verdammt, oder gleich auf offener Straße erschossen hat. Abseits des Tahrir-Platzes starben am 25. Januar 79 Menschen in Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften. Das unabhängige Wiki Thwara spricht sogar von 103 Toten, 1300 Festnahmen und 247 Verletzten..
"Eine Frau aus der Menge griff sich meinen Schal und fing an, mich damit zu würgen", berichtet die britisch-palästinensische Journalistin Nadine Marroushi weiter. "Sie riss an meinen Haaren. Schrie weiter Al-Jazeera Al-Jazeera! Das alles in einer Atmosphäre, als die restlichen Leute in ihren Slogans die Hinrichtung der Muslimbrüder verlangten."
Nadine Marroushi und ein befreundeter Journalist, Basil el Dabh, wurden von der Polizei in einen angrenzenden Hauseingang gestoßen. "Der Mob schlug mit aller Gewalt auf die Eingangstüre ein, und verlangte, dass man uns herausließ." Nachdem die Polizei alle Unterlagen, Aufzeichnungen, Handys und Taschen der Journalisten untersucht hatte – um sicherzugehen, dass sie wirklich nicht für Al-Jazeera arbeiteten – wurden die beiden mit einem Taxi vom Tahrir abgeholt.
2013 war Ägypten nach dem Irak und Syrien das gefährlichste Land für Journalisten.. In Ägypten starben sechs Journalisten durch Kugeln der Sicherheitskräfte. Dazu kommen die zahllosen Verhaftungen und Übergriffe auf Berichterstatter.
Attacken auf Journalisten gehören zum Alltag in Kairo
Im Sommer 2013 wurde der Guardian-Korrespondent Patrick Kingsely von einem Mob festgenommen und auf die Polizeiwache geführt. Matt Bradley vom Wall Street Journal und Alaistar Beach vom Independent mussten vom Militär vor einem aufgebrachten Mob geschützt werden. Am 24. Januar wurde ein Kamerateam der ARD angegriffen und ein italienischer Journalist von einem Mob verprügelt. Immer wieder bekommen ausländische Journalisten hier in Ägypten den Satz zu hören: "Du arbeitest für Al-Jazeera."
Al-Jazeera, der Nachrichtensender aus Quatar, hatte während Mursis Sturz einseitig über die Muslimbruderschaft berichtet, den Sturz als Putsch bezeichnet und fortan ausschließlich die Demonstrationen der Muslimbrüder gezeigt. Der ägyptische Ableger von Al-Jazeera wurde auf behördliche Anordnung geschlossen. Seither gilt Al-Jazeera als Hassobjekt vieler Ägypter.
Sherine Tadros war jahrelang Moderatorin bei Al-Jazeera. Im Dezember hat sie ihren Job in Doha aufgegeben, um wieder als freie Journalistin zu arbeiten. Als sie noch für Al-Jazeera vor der Kamera stand und in Ägypten drehte, hat sich das Team vorher abgesprochen: "Heute sind wir BBC, CNN, ONTV, was auch immer, aber die Leute auf der Straße sollten nicht wissen, dass wir von Al-Jazeera sind." Schon lange vor der Revolution 2011 war Al-Jazeera, der Staatssender des konservativen Königreichs Quatar, der damaligen Regierung Husni Mubaraks gegenüber sehr kritisch. Ein Vorteil, als der Aufstand gegen Mubarak anfing. "Während der Revolution erlebte Al-Jazeera eine ungekannte Begeisterung in Ägypten. Sie wurden als Motor des Wandels angesehen", so Sherine Tadros. "Durch die Berichterstattung nach dem Aufstand gegen Mohamed Mursi hat die quatarsche Regierung Druck ausgeübt." Druck gegen das ägyptische Militär, das den Sturz der Muslimbruderschaft mit Gewalt vollendete.
"In dieser Zelle gibt es kein Leben."
Die ägyptische Staatsanwaltschaft wirft den festgehaltenen Al-Jazeera Journalisten vor, zum Terror anzustiften und Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein.
"Ich gehöre keiner Gruppe an, ich gehorche nur meiner Menschlichkeit", schrieb Abdullah el Shamy in seinem ersten Brief.
Die Zeitung al Wafd wirft ausländischen Medien vor, drei Milliarden Dollar aus dubiosen Quellen zu beziehen, um die Revolution in Ägypten schlecht darzustellen. Quellen werden keine genannt.
"Ich bin gerade mal 25 Jahre alt. Der Verlust meiner Freiheit ist nichts im Vergleich zu dem, was meinen Kollegen widerfahren ist. Sie haben ihre Arbeit mit Verletzungen, einige auch mit ihrem Leben bezahlt. Ich werde meinen Hungerstreik fortsetzen. Auch wenn es nichts ändert: Ich muss es machen, um Leute aufmerksam zu machen. Darauf aufmerksam machen, wie wichtig Pressefreiheit und Meinungsfreiheit sind.
Whatever happens, my soul remains strong."