Erstellt am: 31. 1. 2014 - 15:09 Uhr
Bücher zum Wegschmeißen
Jede/r kennt das Problem: Man braucht Platz und sortiert seine Bücher neu. Die Hälfte bleibt, ein paar kann man verräumen, weitere kommen in den Keller und ein paar möchte man eigentlich gar nicht mehr sehen. Also schenkt man sie entweder her, steht mit ihnen frustriert am Flohmarkt herum (weil sich niemand dafür interessiert), gibt sie bei einer karitativen Einrichtung ab oder versucht sein Glück am Online-Marktplatz. Aber wegwerfen? Das macht man doch nicht.
Mach deinen Fernseher kaputt - aber doch nicht das Buch!
Wir hätten ein neurotisches Verhältnis zu Büchern, sagt der Medienwissenschafter Mathias Mertens, der sich in Literatur- und Filmwissenschaften ebenso heimisch fühlt wie in Poptheorie und Neuen Medien. Er hat vor ein paar Wochen sein Tumblr "Bücher, die ich heute wegschmeiße" gestartet.
Wir würden von einem Buch nicht lassen können, weil wir dann glauben, das Wissen darin gleichzeitig aufzugeben. Oder wir schätzen das zukünftige Wissen nicht wert, das sich uns erschließen würde, wenn wir das Buch später lesen. Drittens signalisiert das Buchwegschmeißen einen Antiintellektualismus und ruft schreckliche Kapitel der Geschichte auf den Plan. "Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen", hat Heinrich Heine geschrieben - und leider Recht behalten. "Das Buch ist für uns gesellschaftlich weiterhin die größe Verkörperung von Wissen, Nachdenken und Intellektualität", so Mertens.
Mathias Mertens
Es sind doch nur Papierblöcke
Das Buch als Gegenstand hätte nur einen Wert, wenn es neu gekauft wird. Aber wenn schon mal jemand anderer drin rumgekritzelt hat und es völlig zerlesen ist, werden auch die größten Bücherfreund/innen skeptisch. Die Aneignung des Wissens durch die Fetischisierung des haptischen Gegenstandes Buch fällt dann weitgehend weg.
Mathias Mertens' Problem beim Bücherentsorgen: Er hatte und hat nicht nur viele, sondern sehr, sehr viele - im FM4-Interview spricht er von rund 15 Regalen, die schon einige Umsiedlungen mitgemacht haben. Seine Bücher sind auch keine Romane oder Bildbände, die gerne mal jemand mitnimmt, sondern größtenteils Theoriewerke. Beispiele? "Texte zur Poetik des Films" von Rudolf Denk, oder: "Dekonstruktion. Derrida und die poststrukturalistische Literaturtheorie" von Jonathan Culler. Aber gerade bei solchen (Lern-)Büchern müsste doch die Maxime gelten: Das wirft man doch nicht weg. Aber wenn sie niemand will?
Mathias Mertens
Auch Kant kann gehen
"This is a text": Hier noch ein kleiner, dazu passender Exkurs zu Games-Kultur.
Dabei wird - trotz Satire - gut ersichtlich, dass Inhalte aus Computerspielen ebenso Texte sind wie jene in Büchern.
Wir scheuen uns, ein Buch so zu behandeln wie jeden anderen Gegenstand auch. Dabei hat das niedergeschriebene Wissen nicht zwingend etwas mit gebundenen Papierblättern eines Buchs zu tun. Auch einen Kant kann man als Buch mal wegschmeißen, denn:
"Ich könnte jederzeit, wenn ich wieder ein Kant-Bedürfnis habe, ohne Probleme an diesen Text ran. Ich könnte ihn mir bei Projekt Gutenberg im Netz anschauen. Ich könnte ihn für 1 Cent bei einem Marktplatz nochmal bestellen und mir schicken lassen. Ich finde ihn in 1.000 Zitierungen im Netz und in Artikeln wieder. Ich schmeiße keine Texte weg, sondern ich schmeiße nur Papierblöcke weg, auf denen dieser Text steht."
Wissen sei dynamischer, flüssiger geworden. Der Umgang damit und die Übertragung findet längst nicht mehr nur über Bücher statt. Die Schaffung und partizipartive Verarbeitung von Wissen auf Wikipedia, YouTube und Co. ist eine wesentliche Bereicherung der traditionellen Lernkultur, die Texte vorrangig über Bücher transportiert. Doch unsere weiterhin bestehende Skepsis neuen Medien gegenüber und das Festhalten an wissenschaftlicher Gebahrung, die das Buch als einzige wirklich seriöse Quelle betrachtet, hinkt der zeitgenössischen kulturellen Praxis hinterher.