Erstellt am: 1. 2. 2014 - 11:39 Uhr
O Keanu, Where Art Thou?
Wenn man über jemanden kritische Worte verlieren will, der einem grundsätzlich total sympathisch ist, dann tut man sich schwer. Ich formuliere also ganz vorsichtig: Bester Keanu Reeves, was ist nur mit dir los? Du hattest doch einmal eine wirklich lässige Karriere am Laufen.
Einerseits mit ikonischen Blockbustern und durchgeknallten Komödien, die Generationen prägten, auf der anderen Seite beeindruckte dein regelmäßiger Rückzug in die Indie-Szene, aus der du ja auch kommst. Gegen die Nörgler, die dich in sämtlichen Rollen als hölzern und ausdruckslos abstempelten, gab es immer gute Argumente.
Perfektes Keanu-Kino:
"River's Edge" (Das Messer am Ufer, 1986)
Bevor er zu einem der führenden TV-Regisseure wurde, drehte Tim Hunter dieses eisiges Prä-Grunge-Teenage-Drama über Mord aus Langeweile. Neben dem durchgeknallten Crispin Clover mitten im trüben Bild: Keanu Reeves als verträumter Milchbart und Teilzeit-Rebell.
"Point Break" (Gefährliche Brandung, 1991)
Kathryn Bigelows großartiges Frühwerk soll demnächst wiederverfilmt werden. Völlig unnötig, denn wie Keanu als Undercover-Bulle hier in eine Gang von kriminellen Surfern hineingerät, ist schwer zu toppen. Bonuspunkte für Patrick Swayzes Frisur!
"My Own Private Idaho" (Das Ende der Unschuld, 1991)
Der vielleicht ultimative Keanu-Streifen zeigt ihn an der Seite seines besten Kumpels, des verstorbenen River Phoenix. Gemeinsam ziehen die beiden als Strichbuben durch die Gegend um Portland, Oregon. Ein Film, der an die besten Songs von Nirvana erinnert und zu den Schlüsselwerken von Gus van Sant gehört.
„The Matrix“ (1999)
Fast aus dem Nichts kam damals dieses dystopische Epos der Geschwister Wachowski und veränderte die Welt des Sci-Fi-Kinos für immer. Verschwörungstheoretiker verehrten den Hacker Neo (aka Keanu) als Vorbild. Bis die dämlich überkandidelten Sequels die tolle Idee komplett ruinierten.
„Thumbsucker“ (2005)
Ein bedächtiger, bittersüßer und witziger Indie-Streifen über einen ewigen Daumenlutscher, der allen verkorksten Existenzen Hoffnung macht. Mike Mills holte sich Keanu Reeves als Hippie-Zahnarzt und der zeigt, was für ein lässiger Komödiant in ihm schlummert.
Warner
Passte deine ständig eingeraucht wirkende Gelassenheit doch perfekt zu subkulturellen Feldforschungen von Gus van Sant, Richard Linklater oder Mike Mills. Und bombastische Sci-Fi-Epen wie „The Matrix“ wurden erst durch deine seltsam androgyne Präsenz zu etwas wirklich Besonderem. Überhaupt, deine Ausstrahlung: Nachdem in den achtziger Jahren das Actionkino fest im eisernen Griff der aufgepumpten Übermänner war, hast du mit deiner Hauptrolle in „Speed“ 1994 eine radikale Neuausrichtung angedeutet.
Plötzlich konnte ein fescher Jüngling, der seit seinem Durchbruch auch für Gender-Verwirrung sorgt, ein Anti-Stallone sozusagen, im Zentrum der Explosionen und Schussgefechte stehen. Spätestens seit damals warst du unser hübscher Stoner-Dude in Hollywood und wir haben über viele schlechte Filme einfach konsequent hinweggesehen.
Warner
Durchwurschteln auf höherem Niveau
Aber irgendwann, geschätzter Keanu, bist du von deinem Pfad tiefer abgerutscht. Wenn man Boulevardmedien einen Moment lang vertraut, dann könnte das persönliche Drama in deinem Leben wohl daran beteiligt gewesen sein. So viele Enttäuschungen und Katastrophen, so viel Tod häufte sich da an, dass andere wohl komplett kapituliert hätten oder durchgeknallt wären. Mit Hilfe einer durch fernöstliche Philosophien geprägten Einstellung bist du aber durch den Wahnsinn hindurch geschritten, stets milde lächelnd.
Sony
Vielleicht war auch die schlichte Tatsache an deinem Abstieg schuld, dass nach dem künstlerisch äußerst unglückseligem Ende der „Matrix“-Trilogie kein vergleichbarer Kassenknaller mehr folgte. Zwar hast du gerade danach in Slacker-Studien wie „Thumbsucker“ oder „A Scanner Darkly“ besonders geglänzt. Aber so einen radikalen Rückzug aus der A-Kategorie verzeiht Hollywood ungern und irgendwann trudelten wohl kaum mehr brauchbare Drehbücher ein.
Keanu Reeves, der Superstar, musste sich also auf höherem Niveau durchwurschteln, bis nach dem relativem Sci-Fi-Flop „The Day The Earth Stood Still“ 2008 dann endgültig die Angebote stagnierten. Ich kann mir vorstellen, dass du damals viele Meetings mit deinem Agenten gehabt hast, Keanu, erst recht nach dem patscherten Hedonismus-Drama „Generation Um“, dass wohl nur mehr Hardcore-Fans von dir gesehen haben.
Und nun hast du dich, wie du es in Interviews immer wieder ankündigst, also komplett neu erfunden. Das ist prinzipiell etwas Großartiges, wenn man sich etwa den um eine Spur jüngeren Matthew McConaughey ansieht, der den Sprung vom RomCom-Posterboy zu einem der intensivsten Darsteller Amerikas schaffte. Oder sieh dir nur deinen Altersgenossen Brad Pitt an, der eine avancierte Rolle an die nächste reiht. Was machst du stattdessen, Keanu? Du entscheidest dich knapp vor dem Fünfziger für einen zweiten Bildungsweg in Sachen Kampfsport-Kino.
UPI
Artifizielle Apathie
Katastrophales Keanu-Kino:
"Dracula" (Bram Stokers Dracula, 1992)
Francis Ford Coppolas schwülstige Annäherung an den Ober-Vampir hat viele Qualitäten. Der deplaziert wirkende Keanu als Jonathan Harker gehört definitiv nicht dazu. Oder wie Jude Law sagte: „They should never let an american play such a quintessential british part!“
„Little Buddha“ (1993)
Der filmische Beweis, dass auch eine Regielegende wie Bernardo Bertolucci nicht vor Peinlichkeiten gefeit ist. Am besten, man verdrängt dieses putzige Stück Pseudospiritualität mit Keanu in der Titelrolle ganz schnell.
„Matrix Reloaded“ (2003)
Die immense Vorfreude auf dieses Spektakel reichte leider nur bis zur ausgedehnten Raveszene mit anschließender Liebessequenz.
„Man Of Tai Chi“ (2013)
Wenn man Making-Of-Berichte über diesen Film ansieht, dann hatten Keanu und die vollständig chinesische Crew jede Menge Spaß bei diesem Kung-Fu-Kracher. Leider überträgt sich der nur sehr bedingt auf den Zuseher.
„47 Ronin“ (2013)
Sechs Mal wurde die Legende der herrenlosen Samurai bereits in Japan verfilmt, unter anderem auch von Cineastengott Kenji Mizoguchi und Regieoutlaw Kinji Fukasaku. Dabei hätte man es bitte belassen sollen.
Da ist zunächst „Man of Tai Chi“, ein Martial-Arts-Spektakel, bei dem du erstmals auch Regie geführt hast. Herausgekommen ist ein Kung-Fu-Abenteuer, wie es in Hongkong seit Jahrzehnten am Fließband produziert wird und früher in der Videotheken-Wühlkiste gelandet wäre. Neben dem lokalen Shootingstar Tiger Hu Chen, der dich in den „Matrix“-Filmen trainiert hat, gibst du den Oberbösewicht, der einen naiven Kämpfer in diverse Verbrechen verstrickt.
Zugegeben, einige der Fights sind durchaus gelungen, aber letztlich säuft „Man of Tai Chi“ in einem Meer von quälenden Klischees ab, die man bereits in den neunziger Jahren nicht mehr sehen konnte. Vor allem aber sind es deine Auftritte, die ein wenig erschüttern, werter Keanu: Du siehst starrer und artifizieller als in der gesamten „Matrix“-Saga aus, dein Gesicht wirkt fast wie mit dem Computer bearbeitet. Denn an Botox wollen wir bei dir einfach nicht denken.
UPI
Während „Man Of Tai Chi“ wohl direkt für den Video-On-Demand-Markt gedreht wurde, startet „47 Ronin“, der weitaus aufwändigere neue Keanu-Film, jetzt bei uns im Kino. 180 Millionen Dollar kostete das 3D-Spektakel, dass auf bereits mehrfach verfilmten japanischen Legenden beruht. Der Film spielte bislang nur einen Bruchteil seiner Kosten ein, was wiederum kein Wunder ist. Die Geschichte der 47 gesetzlosen Samurai wirkt in jedem Sinn extrem blutleer inszeniert. Gegen die lähmende Langeweile helfen auch tolle Kostüme und japanische Lieblingsstars wie Asano Tadanobu und Rinko Kikuchi wenig.
Ach, armer Keanu. Auch wenn du wenigstens wieder gesünder ausschaust, spielst du so apathisch in „47 Ronin“, dass man deinen Kritikern diesmal wirklich nichts entgegnen kann. Bleibt zu hoffen, dass du auch diesen Flop wegsteckst und nicht aufgibst. Wir würden dich nämlich sehr gerne wieder in einem richtig guten Film sehen. Es wird langsam Zeit.
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