Erstellt am: 29. 1. 2014 - 12:44 Uhr
Die Party des Jahrhunderts
Kiepenheuer & Witsch
Von Partys, bei denen man nicht dabei war, erzählt zu bekommen, ist ziemlich lähmend. Außer natürlich unter den Gästen waren Madonna, Michael Jackson, Andy Warhol, Truman Capote und Adolf Hitler. Geht nicht, meint ihr? Irgendwie dann aber doch, zumindest in Craig Browns Anekdoten-Buch Die Party des Jahrhunderts. Der Umschlag verspricht 101 wahre Begegnungen: einige davon haben durchaus Weltgeschichte geschrieben, andere sind kaum bekannt. Alle eignen sich jedoch hervorragend als Small Talk-Kickstarter. Und eines ist sicher: die nächste Party kommt bestimmt.
„Ich nehme an, Sie wissen nicht, wer das war?“ sagt Hauptmann Pappenheim, als sie weiterfahren.
„Natürlich nicht. Wer denn?“
„Er ist Politiker, Vorsitzender einer Partei, und er redet viel. Er heißt Adolf Hitler.“
Im Sommer des Jahres 1931 wäre Adolf Hitler in München fast von einem Auto überfahren worden. Am Steuer saß der adelige Jungspund John Scott-Ellis, der zu dem Zeitpunkt noch nicht wissen konnte, dass er den Lauf der Welt beinahe grundlegend verändert hätte. Mit dieser zeitgeschichtlichen Anekdote eröffnet Craig Brown seine Party des Jahrhunderts. Wie bei einem Staffellauf wandert dann jeweils eine Persönlichkeit ins nächste Kapitel weiter. Zuerst erfährt man, wie die Grande Dame des US-Tanztheaters, Martha Graham, eine ihrer Schülerinnen, eine gewisse Madonna Ciccone, kritisch beäugt hat. Und im nächsten Kapitel dann, wie diese Madonna Anfang der Neunziger mit einem verschüchterten Michael Jackson zu Abend gegessen hat.
Im Verlauf des Dinners meint Madonna, Michael Jackson dabei zu ertappen, wie er ihr heimlich auf die Brüste schielt. Grinsend packt sie seine Hand und legt sie auf ihren Busen. Jackson zuckt zurück. Das ist nur wirklich nicht sein Stil. Aber Madonna ist eben sehr hartnäckig. Beim Essen lässt sie keck ein Stück Brot in ihr Dekolleté fallen, fischt es wieder raus und schiebt es sich in den Mund. Jackson wird auf der Stelle mulmig.
101 101
Craig Brown ist in Großbritannien bekannt wie ein bunter Hund: seit gut 25 Jahren schreibt er ein Fake-Promi-Tagebuch für das satirische Kult-Magazin Private Eye. Legendär sind etwa seine Einträge "als" Harold Pinter, den er bei diesem Auftritt auch ganz hervorragend nachspielt. In Die Party des Jahrhunderts ist sein Humor allerdings weniger drastisch als dialektisch: wer im Buch hin und herblättert, weiß etwa auch, dass Madonna nur Six Degrees of Seperation von Adolf Hitler entfernt gewesen wäre, hätten sie zur selben Zeit gelebt.
Alle im Buch beschriebenen Begegnungen sind belegt und häufig sogar dokumentiert: die Bibliografie weist jedenfalls zu jedem Kapitel Quellenangaben aus. Eine intelligente und sehr wirkungsvolle Strategie des Autors: die nüchternen Nacherzählungen von oft recht wenig nüchternen Zusammentreffen ermöglichen einen unverstellten Blick auf eine Zeitgeschichte des Zufalls. Die satirische Zuspitzung hat der spitzzüngige Craig Brown bei Die Party des Jahrhunderts vor allem ins Formale verschoben. In einer Anmerkung am Ende des Buchs schreibt er:
Um einem Buch, in dem der Zufall die Hauptrolle spielt, eine Ordnung zu geben, habe ich jede der 101 Begegnungen mit exakt 1001 Wörter beschrieben, womit sich die Wortzahl für alle zusammen auf 101 101 beläuft. Die Danksagung, die Anfangszitate sowie diese Anmerkung bestehen aus 101 Wörtern.
Special Agent Elvis
Häufig ergibt sich der Humor aus dem Zusammentreffen von Selbstdarstellern aus Politik und Show-Business: ausgerechnet Elvis Presley etwa erhält vom damaligen US-Präsident Nixon einen offiziellen Ausweis der dem FBI unterstellten Drogenbehörde.
Als Elvis mit dem Dienstausweis in der Tasche nach Hause kommt, ist er so überschwänglicher Stimmung, dass er gleich vier weitere Mercedes als Weihnachtsgeschenke kauft. Seine Frau behauptet später, er wollte den Dienstausweis nur, damit er seine verschreibungspflichtigen Medikamente und seine Waffen dabeihaben konnte, ohne verhaftet zu werden. Aber er wird ihn auch für andere Zwecke nutzen: Als echter Special Agent des FBI lässt er manchmal das Blaulicht an seinem Wagen aufblitzen, um Autofahrer wegen überhöhter Geschwindigkeit anzuhalten oder um seine Hilfe bei Autounfällen anzubieten.
Weitere Literaturrezensionen unter fm4.orf.at/buch
Die Party des Jahrhunderts ist trotz 500 Seiten zu schnell vorbei. Am Ende hat man den Kopf voller heimlicher Geschichten der letzten zwei Jahrhunderte. Und die meisten von ihnen eigenen sich hervorragend zum Weitererzählen. Etwa wenn die nächste Party langweilig zu werden droht.