Erstellt am: 28. 1. 2014 - 17:35 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 28-01-14.
Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.
Vorbedingung zum Verständnis des ersten Teils ist diese kurze spannende Lektüre.
Dier Ära des Roll-Outs, der Anlauf zum Leitkultur-Gipfel
#musik
Gut, dass Christian Lehner die Grammys gesehen hat; bzw mehr erkannt hat, als auf den ersten Blick zu erhaschen war.
Das, was er als die aktuelle Ära des Roll-Outs beschreibt, in der Musik nur mehr ein Teilbereich der Gesamtperformance ist, wo nur die Kreativsten und Aktionistischsten eine Chance auf echten Popstar-Status haben, hat sich in dieser Sonntag-Nacht tatsächlich in fast jeder Sekunde manifestiert.
Und das nicht ankündigungslos.
Schon die Grammy-Nights der letzten Jahre waren von einer sehnsüchtigen Vorahnung durchzogen über das Gesamtkunstwerk, das Konzept wieder an die Schalthebel der Leitkultur zu gelangen - etwas, was früher mit Musik allein gelang, heute aber eben nur noch durch den Einsatz der gesamten Medien-Orgel möglich ist.
Daft Punk samt Pharrell oder das Powerduo JayZ/Beyonce sind da exzellente Beispiele der richtigen Handhabung. Auch wenn die Grammy-Performances beider dann erstaunlich flach ausfielen.
Die Kombinierwut der Veranstaltung erwischt dann aber auch experimentierfreudige Kollaborateure wie die Queens of the Stone Age auf dem falschen Fuß: mit Dave Grohl, Trent Reznor und Lindsay Buckingham waren dann vielleicht doch zu viele Mitstreiter auf der Bühne - der Funke wollte nicht überspringen. Vielleicht ist es bei diesen - nach alten Rock'n'Roll-Slacker-Klischees organisierten - Acts aber dann doch eher das in ein paar Stunden hingeschissene Ding, das eine vergleichbare Wirkung erzeugen kann. Zumindest hatte man den Eindruck als Dave Grohl von einem bepreisten Stück, dass er, der alte Novoselic, der noch ältere Smear (also Nirvana) und Altbeatle McCartney solcherart improvisiert hatten, erzählte.
Anderes konnte und wollte nicht klappen: die alten Country-Klappergestelle Nelson/Kristofferson mit einem anstrengend fitten Neo-Country-Wastl zusammenzuspannen erzeugt ebensowenig Effekt wie die gemeinsame Arbeit von alten und neuen Schleimbatzen (Chicago vs Robin Thicke). Und das pampige Geklimper von Lang Lang brachte 'One' von Metallica nur die schon bekannte Erkenntnis dass ein "klassischer" Zugang zu ausdifferenzierten Pop-Meisterwerken außer Verschlimmbesserung nichts beitragen kann.
Der erwähnte Roll-Out, die Erweiterung der Kampfzone Popmusik, der neue Umgang mit Bewegtbild, Veröffentlichungs-Strategien, die bewusst bis zur Unkenntlichkeit vorangetriebene Vermengung von Marketing, Werbung und Produkt, die Ausweitung des Pop-Artists zu seinem eigenen Art Director ist in erster Linie für die 1. Pop-Liga relevant.
In den unteren Klassen zählen weiter gut gesetzte Szene-Code-Hashtags oder auch die musikalische Substanz. Und nur wenige schaffen es allein über ihre performative Kraft.
Aber nur die Premier League des Pop verfügt überhaupt über die Produktionsmittel und Medienzugänge, um sich so einer Generation, die nur das als lässig wahrnimmt, was sich selber anpreist und von anderen angewiesen, also beworben wird, überhaupt annähern zu können.
Dort wiederum wirst du nur dann als Gesicht, als Name wahrgenommen, wenn du den Roll-Out schaffst.
Weshalb auch die Archetypisierung voranschreitet: aktuell wären da das wild-brave Mädchengesicht und der RnB-Anzug am höchsten im Kurs.
Das sind die bislang härtesten Kriterien, die schwierigsten Bedingungen in der Pop-Geschichte. In die oberste Klasse aufzusteigen ist nur mehr unter besonderen Umständen möglich - die Liga ist geschlossen wie das amerikanische Sport-Franchise-System.
Deshalb auch die zunehmend unerträgliche Abfeierung von mumienhaften Gestalten - die wiederum zur Versendung unendlich verlogener Bilder führt. Ein Saal, der feuchtäugig zu windschief performten Sounds der Ü60-Nomenklatura tanzt - wer soll das denn glauben?
Wie ich mir Pete Seeger behalten möchte
Die umfassende Würdigung von Pete Seeger und ein Abriss seiner wichtigsten Lebensstationen finden sich sich hier im Nachruf von Robert Rotifer
#music #politics
Es soll nicht die Axt sein, die letztlich überbleibt.
Die Axt, die Pete Seeger in der Hand hatte, um die Kabel zu durchtrennen, die Bob Dylan elektrisch machten, beim Newport Festival anno 65 (hier die fiktive Nacherzählung aus 'I'm not there', ab etwa 1:00.
Er soll nicht als anachronistischer Purist in Erinnerung bleiben, aber auch nicht als Lehrer und Förderer, und auch nicht nur als unbeugsamer Protestierer und Nicht-Dulder, als Aktivist im Amerika der Nachkriegszeit, als Kämpfer für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit.
Das ist mir zu wenig.
Mein erstes Bild zu Pete Seeger ist das Banjo.
Daran ist meine erste Begegnung schuld, die auf Ballads of Sacco and Vanzetti stattfand, dem 1960 erschienenen Folkways-Album, einem Song-Zyklus, den Woody Guthrie in den 40ern einspielte um an den berüchtigten Justizmord zu erinnern. Da war auch Pete Seeger drauf, mit einem nachträglich eingefügten "Sacco's Letters to His Son". Und da gab es keine zornige Gitarre mehr, da war plötzlich dieses Banjo.
Vorher hab' ich es als reines Hillbilly-Ding wahrgenommen, Seeger hat mir gezeigt, dass es ein Instrument der Ernsthaftigkeit und des Pathos sein kann.
Das hat sich dann mit dem omnipräsenten 'We Shall Overcome' oder seinen gern tragend vorgebrachten Stücken wie 'Turn Turn Turn'.
Ich habe dann wiederum ein wenig gebraucht um ihn auch von diesen Zuschreibungen wieder zu befreien. Das gelang, weil er in meiner Vorstellung Teil der Gruppe rund um Woody Guthrie war (mit Leuten wie Leadbelly, Cisco Houston oder Sonny Terry), die - wie ein paar Jahre später die Beat-Poeten - Amerika kreuz und quer als Tramps bereisten um ihre Botschaften, ihre im besten Sinn populären neuen und alten Folksongs darzubieten. Ich habe heute in einem Nachruf gelesen dass Seeger in diesen Tagen gelernt habe "wie man auf einen fahrenden Zug aufspringt und wie man sich in einer lauten Bar Gehör verschafft". Das deckt sich exakt mit meiner Vorstellung dieser Ära.
Und so will ich Pete Seeger behalten.
Als jungenhaften Hitzkopf, dem seine Stimme und sein Instrument genügen um das dumpfe Gebrumme rundherum immer wieder zum Verstummen zu bringen, um Trauer, Wut, Hoffnung und Spaß zu säen und um Verständnis zu ringen.