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Christian Lehner Berlin

Pop, Politik und das olle Leben

27. 1. 2014 - 21:07

Grammys 2014

Warum Pop zunehmend größer wird als seine Musik und wie die Sieger Daft Punk den US-Markt erobert haben.

Die Ausweitung der Kreativzone

2014 wählte die National Academy of Recording Arts and Sciences mit Sitz in Kalifornien Gewinner aus insgesamt 82 Musikkatergorien. Die vollständige Liste findet ihr hier.

Der diesjährige Bewertungszeitraum reichte vom 1. Oktober 2012 bis zum 30 September 2013.

Wer einen Eindruck davon bekommen möchte, wie breit aufgestellter Pop dieser Tage zustande kommt, braucht bloß einen Blick auf das Autorenregister des 2014 neunfach nominierten Hip-Hop-Zampanos Jay-Z und sein aktuelles Album „Magna Carta ...Holy Grail“ werfen. Allein die Single „Holy Grail“, nominiert für „Best Rap Song“, weist sechs Songwriter auf plus die drei Herren von Nirvana, von denen sich Jay-Z ein bisschen Text und Melodie ausgeborgt hat. Dazu kommt ein Produzententeam hoch vier, angeführt von Edelbeatschneider Timbaland.

Beyonce und Jay-Z Grammys 2014

APA/AP/Invision/Matt Sayles

Beyoncé als Rihanna. Daneben Ehemann Jay-Z, der trotz neun Nominierungen bloß zwei goldene Gramofone als sippy cup für Töchterchen Blue Ivy nach Hause mitnehmen konnte.

Pop mit Blick auf Reichweitenwirkung und halbwegs gut gefüllter Kriegskasse ist längst zu einem gemeinschaftlichen Produkt jenseits von Gitarre, Schlagzeug und Bass geworden. Musik ist dabei im kreativen Schaffensprozess nur mehr ein Teilbereich der Gesamtperformance. Das ist jetzt weder eine kulturpessimistische Feststellung, noch macht diese Entwicklung halt vor jenen Produktionen, die sich eher an den Rändern des Massengeschmacks aufhalten.

The Year of the Roll-Out

So haben auch Acts wie Daft Punk, Arcade Fire oder Vampire Weekend im (vergangenen) Jahr der crazy Album-Roll-Outs mitgespielt, ihre kreative Zone ausgeweitet, mit Leuten außerhalb des Bandkerns an der Musik gearbeitet, virale Späßchen getrieben, Marketing Saltos vollzogen, an ungewöhnlichen Orten ungewöhnliche Dinge gemacht und alles in allem der sonst eher drögen und ritualisierten Bewerbung einer neuen Platte einen performativen Charakter verliehen. Pompöse Kampagnen und cleveres Marketing gibt es zwar so lange wie Pop, doch die außermusikalischen Aktivitäten werden immer weniger häufig an reine Dienstleister delegiert.

„We have to do this anyhow, so why not make it fun and keep control.“ Das hat mir Jermey Gara von Arcade Fire bei unserem Interview zu den ausschweifenden PR-Aktionen der Band rund um den Release von “Reflektor” erzählt. Das Album der kanadischen Himmelsstürmer ist aufgrund des späten Veröffentlichungsdatums zwar erst für das kommende Jahr nominierungsberechtigt (ebenso wie Beyoncé, Lady Gaga, Miley Cyrus - falls die jemand vermisst haben sollte - und viele andere auch), doch der korporative Charakter von „Reflektor“ weist in eine Zukunft, die auch in Fragen der Vermarktung, Produktion und Autorenautonomie immer weniger zwischen Underground-Ethos und Mainstream-Praxis unterscheidet.

Den namensleihenden KünstlerInnen fällt dabei nicht notwendigerweise die untergeordnete Angestelltenrolle zu, wie einer der häufigsten (und übrigens auch stumpfsten) Einsprüche gegen den sogenannten Mainstream lautet. Vielmehr werden starke Künstlerpersönlichkeiten spätestens seit Kanye West und Lady Gaga zunehmend auch zu Regisseuren, visuellen Gestaltern und Art Direktoren ihres Popmixes.

Random Excess Memories

Darf Punk bei der Grammy Awards

APA/EPA/MICHAEL NELSON

So waren Daft Punk neben Lorde und Macklemore & Ryan die großen Gewinner der diesjährigen Grammy Awards. Der fünffache Erfolg - darunter mit „Best Album“ und „Best Record“ zwei der wichtigsten Preise - mag auf den ersten Blick überraschen. Doch auch bei Daft Punk machte sich die Ausweitung der Kreativzone bezahlt.

Der Roll-Out von „Random Access Memories“ erstreckte sich über mehrere Monate und glich in seiner Dimension einer Wahlkampfkampagne. Und er fokussierte trotz globaler Präsenz eindeutig den US-Markt.

Davor waren Daft Punk in den Staaten eine Randerscheinung. Erst mit der EDM-Welle und ihren Referenzen an die knarzenden Basslines der frühen Christo/Bangalter-Produktionen spielten sich die französischen Elektro-Chivaliers mit einigen wenigen, aber umso spektakuläreren Shows in die Herzen des US-Publikums. Anstatt nun aber generationenübergreifend den EDM-Ball anzunehmen und damit herumzutribbeln, haben die Daft Punks das Leder ins Out geschossen und lieber mit Kalkül an der Discokugel gedreht.

Als im Netz die ersten Trailers mit Auszügen aus der Single „Get Lucky“ kursierten, dachten viele zunächst an einen Scherz. Doch Daft Punk meinten es ernst mit ihrer Retro-Orgie zwischen Disco-Stu und Schlaghosen-Funk. Der wiedererstarkte Pharrell Williams (Grammy für den besten Produzenten, non classical) gab auf „Get Lucky“ den Michael Jackson; das geht in den USA immer (außer man heißt Haim, keine Nominierung ergo keine goldenen Gramofone). Mit Kapazundern aus der Hohezeit des schnellen Tanzpulvers wie Giorgio Moroder und Nile Gregory Rodgers von Chic hatte man auch eine credible Brücke in die glorreiche Vergangenheit geschlagen. Relativ frisches Gemüse wie Julian Cassablancas und Panda Bear durfte ein paar Kabel halten und etwas mitgurren, fiel aber sonst kaum ins Gewicht.

Retromania und Kalkül

„Random Access Memories“ ist das bisher kollaborativste Daft Punk Album und auch das rückwärtsgewandteste. Das wäre an und für sich kein Problem - wir haben uns schließlich ganz gut mit der Retromania als eine der prägensten kulturellen Ströumungen unserer Zeit arrangiert - aber wenn in Interviews quasi als Beipackzettel Kampfbegriffe wie „echte Musik“, „echte Instrumente“ und „echte Studiosessions“ auftauchen, die es gegen die Preset-Mentalität des zeitgenössischen Pop (gemeint ist v.a. EDM) in Stellung zu bringen gälte, ist mir das persönlich beim heiligen Roboter schon etwas zu viel der Bedienungsanleitung.

Diese ideologisch unterfütterten und – ja – reaktionären Punches saßen insofern, als sich bei EDM-hassenden Kritikern und Fans, oder Leuten, die sich für zeitgenössischen Pop nicht mehr ganz so brennend interessieren (sonst wären sie bereits davor bei The Phenomenal Handclap Band, Escort und Dutzenden anderen Retro-Clubbern längst fündig geworden) Herzen und Geldbörsen gleichermaßen öffneten – die Tochter geht in den Madison Square Garden raven, der Papa kauft das neue Daft Punk Album.

Pharrell Williams bei den Grammy Awards

APA/EPA/MIKE NELSON

"Produzent des Jahres", Pharrell Williams, verkleidet als Wes Anderson Cast

Und wie das bei Nostalgie nun mal so ist, haben sich Daft Punk die Vergangenheit aus der sentimenalen Perspektive der Jetztzeit zurechtgelegt, denn musikhistorisch betrachtet wurden in den scheinbar glorreichen siebziger Jahren dieselben Argumente gegen Disco vorgebracht wie heute gegen EDM.

Dabei zeichnet sich unsere Zeit doch gerade dadurch aus, dass im Pop künstlerische Ansätze zunehmend ohne Old-Skool-Antagonismen áuskommen. „Echt“ vs. „unecht“; „virtuos“ vs. „dilletantisch“ – who the fuck cares?

Daft Punk haben den Grammy für ein Album gewonnen, das funky am Angstpotential des verunsicherten Musikkonsumenten andockt und mit einer großen Michael-Jackson-Gedächtnisnummer v.a. den Nerv des US-Publikums getroffen hat. Wesentlich interessanter als die Musik selbst war ihre gelungene Vermarktung, ein echter Coup und Gratulation dazu, yo mighty robots! Aber hätte das nicht auch ohne Ressentiments und Vergangenheitsbeweihräucherung funktioniert?

Und sonst?

Das Wichtigste über die Verleihung und Show wisst ihr jetzt wahrscheinlich eh schon aus der heimischen Presse - samt Massenverehelichung und Trent Reznor-Shortcut-Diss. Hier noch eine Beobachtung. Der Show-Cast (CBS) und die Werbeunterbrechungen verschwimmen zunehmend zu einem amorphen Entertainmentblock. Stars, die eben noch auf der Bühne goldene Gramofone in die Luft streckten, tauchen Sekunden später in einem Werbespot auf und zwar mit ähnlichem Styling und den gleichen Songs. Ein Softdrink-Hersteller ging sogar so weit und tarnte seinen Clip zur Bewerbung des nächstwöchigen Super Bowls zunächst als Fortführung der Grammy-Show. Karen O. hingegen stellte gemeinsam mit M.A.R.S. via Werbung ihre Coverversion von Bob Marleys "I Shot the Sheriff" vor. Und zum Schluss die Styling-KurzkritiK; Top: Pharrell als Wes Anderson Cast. Flop: Beyoncé als Rihanna.