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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

26. 1. 2014 - 16:46

Wo bist du?

Der Song zum Sonntag: East India Youth - "Looking For Someone"

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  • Auch der geschätzte Wissenschafts- und Popjournalist Thomas Kramar macht sich in der Presse am Sonntag zum jeweils selben Song seine Gedanken.

Der Geist ist empfindlich, die ganze Welt aus Glas. Der englische Musiker und Produzent William Doyle ist die elektronische Alleinunterhalter-Kapelle für die besonders Sensiblen und die Geschundenen, die aller Pein zum Trotz immer noch blauäugig in die Zukunft schauen wollen. Mit seinem Projekt East India Youth entwirft Doyle von seinem Schlafzimmer aus – man kann das hören – ein digitales Wasteland, eine weite Eiswüste, in deren gottverlassenstem Winkel nur er selbst, ganz allein, allein auf schwachen Beinchen zu stehen scheint. Er blickt dort in den Sternenhimmel und malt sich im Kopf schöne Dinge aus.

East India Youth

East India Youth

William Doyle, East India Youth

Das gerade erschienene Debütalbum von East India Youth nennt sich "Total Strife Forever" und spielt so im Titel wohl auf den Plattentitel "Total Life Forever" der eh sehr guten und maßlos überschätzten Band Foals an. "Strife", so wie in "Zank", "Unfrieden" oder "Wettstreit". Es ist ohnehin auch dasselbe: Ohne Zwist, Unruhe und Zweifel mit sich selbst in der eigenen Brust ist das ganze Leben nichts. Das Album ist auf vornehme Art und Weise komisch durchwachsen. Süßlich dröhnende, weitgehend rein instrumental gehaltene Stücke, oft durchsetzt und in den ewigen Himmel gehoben durch vokabellos summende synthetische Chöre, bilden das Fundament von "Total Strife Forever". Hier kann man den zerbrechlichen Minimalismus von Philip Glass, die Ambient-Platten von Brian Eno und kosmischen Krautrock heraushören. Und sich da und dort an die Drones der Liebe der Fuck Buttons erinnert fühlen.

Dazwischen gibt es Popsongs. Errichtet zwar auf denselben Materialen, dann aber doch von der betonten Kargheit weg Richtung noble Extravaganz gedreht. Man spürt die Herzen blasser Männer schmerzvoll schlagen. Es sprechen, in Gedanken und im Gefühle: Bowie aus Berlin, die überkandidelte Grandezza der Sparks, Patrick Wolf und seine Salon-Kapriziosen. Dabei gelingt William Doyle in der Intonation an den Emotionen, den eigenen und derer der Menschen, die doch irgendwo da draußen sein müssen, zu rütteln, und gleichsam im Vortrag scheinbar ungerührt zu bleiben.

"Looking For Someone" nennt sich der vielleicht konventionellste Popsong auf diesem wunderbaren Album. Nicht deswegen – dennoch ist es möglicherweise auch das beste Stück auf "Total Strife Forever". Hier bündeln sich die traurige Magie und all das träumerische Experiment von East India Youth am ergreifendsten, was hier zu hören ist - darum geht es diesem jungen schwelgenden Mann. Ja, das Stück heißt "Looking For Someone".

William Boyle singt zunächst a cappella, alleine mit sich selbst und sucht also nach jemandem. Im Ungewissen, im Trüben. Wer soll es sein? Bloß ein undefinierter irgendjemand, der einem mit den Fingerkuppen über die Innenfläche der Hand streicht? Zum Glück ist Boyle auch zuvorderst auf sein eigenes Wohl bedacht: "Now I need something, now I need something“ singt er, und „Just for me and no one else/ I want something for myself/ I want something for myself." So und so ähnlich fühlt der Verlassene, oder mag es sich vorgaukeln.

Der Song schwingt sich auf und fährt auf goldenem Synthesizer-Pomp in glorreichem Licht hinauf in die Wolken: Ja, da ist jemand! Am Ende jedoch, als hätte man es nicht geahnt, ist die herbeigesehnte Person wieder verschwunden, der Glanz verpufft. Man wird sich weiter umsehen müssen.