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Chrissi WilkensAthen

Journalistin in Griechenland

26. 1. 2014 - 11:59

Festung Europa kostet Menschenleben

Illegale Push-Backs bringen Flüchtlinge an der griechisch-türkischen Landgrenze in Todesgefahr. Die griechische Regierung die die Bekämpfung der "illegalen Migration" als eine der Prioritäten der EU-Ratspräsidentschaft definiert hat, sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert.

Nahe der griechischen Insel Farmakonisi kamen in der Nacht von Sonntag auf Montag drei Frauen und neun Kinder - darunter Babys - ums Leben, als ein Boot mit afghanischen und syrischen Flüchtlingen kenterte. Überlebende berichteten dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR), das Unglück habe sich ereignet, als die griechische Küstenwache das Boot mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Türkei zurückschleppte.

Die Zeugenberichte der Überlebenden über die Abwehrpraktiken der griechischen Küstenwache sind schockierend. Die Regierung weist jedoch alle Vorwürfe zurück und behauptet Seerettung geleistet zu haben. Internationale Organisationen wie Amnesty International, UNHCR und Pro Asyl sowie die Innenkommissarin Cecilia Malmström und der Menschenrechtskommissar des Europarats Nils Muižnieks, haben eine unabhängige Untersuchung des Falles angefordert. Das Seegericht in Piräus hat inzwischen eine dringende Vorprüfung eingeordnet, um die Ursache des Ereignisses in Farmakonisi zu untersuchen.

Afghan Fadi Mohamed

APA/EPA/SIMELA PANTZARTZI

Proteste gegen Abschiebungspolitik

Donnerstagmorgen im Hafen von Piräus. Aus der Fähre, die von der Insel Leros aus der Ostägäis kommt, steigen erschöpft 16 Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien. Aktivisten und Bürger rufen in Solidarität mit den Überlebenden, die soeben angekommen sind, Parolen gegen die tödliche Abschottungspolitik. Weinend und schockiert erzählen einige afghanische Flüchtlinge von der Nacht, in der sie ihre Familienangehörigen und Mitreisenden vor ihren eigenen Augen ertrinken sahen. “Wir waren ca. 100 Meter von der griechischen Küste entfernt, als uns die griechische Küstenwache gefunden hat. Sie haben ihr Boot an unseres festgebunden und haben uns zurück [in Richtung Türkei] gebracht. Irgendwann ist das Tau gerissen. Wir haben geschrien, das Boot fuhr sehr schnell, es kenterte und Menschen sind ins Meer gefallen.“ Die Vorwürfe gegen die Küstenwache wiegen sehr schwer. Die Flüchtlinge betonen, die Beamten hätten ihnen nicht geholfen und sie gar daran gehindert, ihre Kinder, Babys und Frauen zu retten. Neben den Männern haben nur eine Frau und ein Baby das Unglück überlebt.

“Ich sah das Kind im Meer, ein Syrer warf ein Holz, um es zu retten, aber der Beamte hinderte ihn mit einem Fußtritt daran. Jemand, der im Wasser war, schrie "help me! und der Beamte schimpfte fuck you! Manche versuchten, in das Küstenboot zu klettern, um sich zu retten, aber die Beamten traten sie mit ihren Stiefeln, damit sie wieder ins Wasser fallen. “
In den letzten Monaten wiesen Amnesty International und Pro Asyl
mit ausführlichen Berichten mehrmals auf illegale Abwehrpraktiken an der türkisch-griechischen Grenze hin, darunter auch Fälle im Einsatzgebiet um Farmakonisi.

griechische küstenwache

Diese Karte die die griechische Küstenwache veröffentlich hat, zeigt die Position wo die von ihr als ‘Rettung’ beschriebene Aktion stattgefunden hat. Das Boot das die Küstenwache in Schlepptau genommen hat, wurde Richtung griechische Küsten und nicht Richtung Türkei, behauptet die Küstenwache. Quelle: www.hcg.gr/node/6778

Dichte Grenzen

Die Beschreibungen der Überlebenden ähneln den Aussagen der Flüchtlinge in diesen Berichten. Bis jetzt gab es keine Reaktion von anderen europäischen Regierungen zu all diesen Vorwürfen. Die griechische Regierung hat schon seit langem klar gemacht, dass sie eine viel härtere Abwehrpolitik anwenden wird. Damit reagiert sie auf den Druck von Mittel- und Nordeuropa, die Grenzen mit Asien und Afrika so dicht wie möglich zu machen, mit Hilfe der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Während seiner Rede im Dezember, über das Budget 2014 sagte der konservative Premierminister Antonis Samaras stolz, dass seine Regierung Abwehrtaktiken, die bisher verboten waren, auf die Tagesordung gebracht hat.

Der griechische Polizeipräsident Nikos Papagiannopoulos sagte kürzlich auf einem Polizeitreffen, Migranten ohne Papiere sollten so lange wie möglich festgehalten werden, um ihnen ‘das Leben unerträglich’ zu machen. Dies ist auf einer Aufnahme zu hören, die das Wochenmagazin "Hot Dog" im Dezember veröffentlichte. Für den Polizeichef blieb dies bislang folgenlos. Vor ein paar Monaten fragte der jetzige Gesundheitsminister und Mitglied von Nea Demokratia Adonis Georgiadis im Parlament zynisch an, wie viel die Rettung von ‘illegalen Einwanderern’ auf hoher See koste.

Ein anderes Mitglied der konservativen Partei und Berater von Gesundheitsminister Thanos Plevris argumentierte im Jahr 2011 in einer Rede auf einer Veranstaltung der nationalistischen Zeitschrift Patria, dass die Grenzen nicht effektiv beschützt werden können, wenn es keine Toten gibt. „Ist das Ereignis in Farmakonisi vielleicht eine Bestätigung dafür, dass solch eine Art von Abschottungspolitik auch von den übrigen EU-Partnern legitimiert wird?”, fragt Katerina eine 30-jährige Aktivistin. Die Abgeordnete des oppositionellen Linkbündnis Syriza, Vasiliki Katrivanou, weist auf die Verantwortung der Europäer hin. “Natürlich ist Europa auch verantwortlich dafür, denn es forciert die Festung Europa. Im Wesentlichen unterstützt Europa diese Politik der illegalen Abschiebungen der griechischen Regierung”.

Am Samstag fand vor dem griechischen Parlament eine Demonstration gegen diese tödliche Abschottungspolitik statt. Die Überlebenden des Farmakonisi Unglücks beschrieben in einer Pressekonferenz vor Beginn der Demonstration das tragische Ereignis erneut. Unter anderem erzählten sie, wie die griechische Küstenwache in die Luft schoss und Gewehre auf sie richtete, und ein Beamter drohte, sie umzubringen, falls sie etwas über das Ereignis erzählen. Auf die Frage, warum fast nur Männer das Ereignis überlebt haben, antworteten die Flüchtlinge: "Gott hat uns gerettet. Die griechischen Küstenwachebeamten haben die Boote der türkischen Küstenwache gesehen und sind in Panik geraten. Wenn sie Zeit gehabt hätten, hätten sie uns alle umgebracht. … Als ich begriff, dass meine Familie ertrinken würde, flehte ich die Beamten an, mich auch umzubringen”

APA/EPA/SIMELA PANTZARTZI

Laut Angaben von Aktivisten von der Insel Leros, wohin die Flüchtlinge nach dem Vorfall gebracht wurden, sind sie 30 Stunden in der lokalen Polizeistation festgehalten worden. Dort wurden sie aufgefordert, eine Reihe von Papieren zu unterschreiben, von denen sie nicht verstanden, was drauf stand, betonten sie. Die persisch-sprachigen Dolmetscher, die die Küstenwache später zu ihnen brachte um sie zu befragen, konnten die Afghanen nicht richtig verstehen, so die Überlebenden. In Athen, wo sie am Donnerstag mit der Fähre angekommen sind, wurden sie in eine Unterkunft für Obdachlose gebracht. Wie der Repräsentant der Bewegung "Schiebt den Rassismus ab" klagt, überwachen starke Polizeieinheiten diesen Ort. Vier der Überlebenden wurden bis jetzt von der Polizei in Gewahrsam genommen zur Überprüfung der Personalien, obwohl sie ihre Papiere bei sich hatten. Sie wurden später freigelassen.

Das verantwortliche Ministerium für Seefahrt hat derweilen vermeintliche Aussagen der Überlebenden an die Öffentlichkeit getragen, die den Einsatz der Küstenwache als Seenotrettung beschreiben und somit den später erhobenen Vorwürfen einer illegalen Rückschiebung mit Todesfolgen widersprechen. Menschenrechtler bezeichnen diese Aussagen als gefälscht und reden von Verleumdung.“Jetzt behaupten sie wir hätten ihnen für unsere Rettung gedankt, diejenigen, die unsere Kinder und Frauen töteten”, berichtet einer der Afghanen, der seine Familie verlor mit Tränen in den Augen während der Protestkundgebung am Samstag. “Dabei haben wir uns nie bedankt, sondern wir haben geweint und sie angefleht uns die toten Körper unserer Familienmitglieder zu bringen.”

In den letzten 18 Monaten haben nach offiziellen Angaben 107 Migranten und Flüchtlinge ihr Leben in der Ägäis verloren. Inoffiziell rechnet man mit mehr als 168 Toten.