Erstellt am: 26. 1. 2014 - 05:29 Uhr
Die Ausweitung der PAAARTYzone
"So wenig hatte ich noch nie bei einem FM4 Geburtstagsfest an", grinst meine Begleitung und es steht ihr ausgezeichnet. Auch ich habe die schirche, schön warme Ski-Unterwäsche zu Hause gelassen und vermisse sie nicht. Nach einer gefühlten Ewigkeit in der Beinahe-Arktis beim Arena-Open-Air bin ich froh, dass FM4 heuer was Neues ausprobiert hat: eine überdimensionale WG-Party in der Ottakinger-Brauerei. Der Gersten-, Hopfen- und Hefeboden und die alte Technik wurden in ein Wohnzimmer, Badezimmer, Spielzimmer, Küche und Keller verwandelt. 1000 Stufen, es riecht nach Hopfen. Es ist riesig und verwinkelt und es spielen jede Menge Bands.
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Es macht auch total Sinn am Ursprungsort des Bieres zu feiern, denn bei WG-Festln geht der Gerstensaft oft eh viel zu schnell aus. Es gibt allerdings auch einen Minuspunkt: Drängerei olé! Floors wurden temporär geschlossen. Ein Loslassen der Partyagenda war angesagt, auch wenn es schwer fällt. Damn it! Ich bin dann einfach dort geblieben, wo noch Platz und meine Freunde waren. Und das war voll ok.
21.30 Uhr - Ja, Panik (Wohnzimmer)
Die Band, die uns von fast allen deutschsprachigen Indie-Magazinen mit ernster Miene entgegenblickt, eröffnet den Abend. Ja, Panik stellen ihr fünftes, laut Sänger Andreas Spechtel "zweites erstes" Album "Libertatia" vor. "Zweites erstes" Album meint die bandinterne Umgestaltung vom Quintett zum Trio und die musikalische Veränderung, die verglichen mit dem allmächtigen und bahnbrechend schwarzen Vorgängeralbum viel tanzbarer ausfällt. DMD KIU LIDT war eine Platte, die man macht, bevor man aufhört. Aber jetzt geht die Reise weiter. "Libertatia" sagt ja zum Kampf und zum Leben. Eine Synthie-lastige Leichtigkeit mit Achtziger Jahre-Flair fließt durch die neuen Nummern.
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Ja, Panik haben "Libertatia" erstmals vor zwei Wochen beim Showcase-Festival Eurosonic im niederländischen Groeningen präsentiert, beim FM4-Fest ist es ihr erstes reguläres Konzert mit neuer Live-Bandbesetzung: Laura Landergott von Die Eternias an den Keyboards und Jonas Poppe spielt die Gitarre.
Nachdem "Libertatia" erst am 31. Jänner erscheint, kennt das Publikum die neuen Songs noch nicht wirklich. Bei den alten Hadern "Trouble", "Alles hin hin hin" und der aktuellen Single "Liberation" blüht das Publikum auf und singt mit. "Dance the ECB" zwingt die Menge zum tata-tanzen und bevor sie "ACAB" anstimmen, fragt Andreas Spechtl wer gestern bei der Anti-Akademiker-Ball-Demo war und quittiert die Publikumsreaktion mit: "Was, nur so wenige?".
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Das Album klingt zutiefst versöhnlich, Andreas Spechtl wirkt auf der Bühne ausgeglichen und gelöst. "Libertatia" ist anglophiler und poppiger Wandervogel-Existentialismus, der jetzt, statt in hymnischer Verzweiflung sein Heil im Phantasma der subjektiven Selbstbefreiung - wovon auch immer - sucht.
22.40 - Hidden Cameras (Wohnzimmer)
Das Wohnzimmer gleicht einer Sardinendose, vom Hidden-Cameras-Frontman Joel Gibb sehe ich gar nichts, ein Stahlträger blockiert meine Sicht und die Bewegungsfreiheit geht gegen Null. Da geh ich lieber meine Freunde suchen, die nicht mehr ins Wohnzimmer reinkommen.
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Auch wenn ich also vom Konzert nicht viel mitbekommen habe, muss doch festgehalten werden, dass eine Band wie die Hidden Cameras keine Selbstverständlichkeit darstellen. Ein Blick ins homophobe Ausland - sei es Russland, Frankreich oder Ungarn - reicht, um die Notwendigkeit politisch anspruchsvoller Popmusik zu unterstreichen.
23.50 – Sohn / Koenigleopold (Keller)
Zweiteilen möchte ich mich um 23.50, denn da spielen der Electronica-Ästhet Sohn und die Brachial-Linguisten Koenigleopold gleichzeitig. Aber nicht nur wegen der Publikumsdichte im Wohnzimmer gebe ich dem Wahnsinn von Koenigleopold den Vorzug. Ich mag die Mir-nix-dir-nix, Scheiß-drauf-Einstellung der Band, die zwischen Avantgarde und Lautmalerei pendelt. Ernst Jandl und HC Artmann wären stolz auf sie. Das ursprünglich im tief steirischen Gebell gehaltene "Kohlhauser" haben sie zwecks der Völkerverständigung ins Japanische und auf Holländisch übersetzt, denn auch sie waren wie Ja, Panik vor zwei Wochen beim Eurosonic-Festival in Holland.
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Koenigleopold, klassisch im türkischen Anzug und Bademantel gewandet, der dann dem Rotwein zum Opfer gefallen ist, begeistern und verstören. Das Publikum hat ein fasziniertes Grinsen im Gesicht. Die Leute sind sich nicht ganz sicher, wohin sie das Ganze tun sollen. Baumgartner-Höhe oder Kunst-Uni? Koenigleopold ist eine der spannendsten Bands des Landes und ganz sicher die mit den dicksten Lutsch-Meine-Eier.
1.00 – Überraschung:
Die Torte hat FM4 heuer wegen der logistischen Unmöglichkeit einer demokratischen Fütterung ausgelassen. Dafür gab es jede Menge Überraschungen:
Im Wohnzimmer haben Herr Hermes und Stefan Elsbacher als Charles und Camilla das Publikum performativ zugetextet. Die Aktion hat Hannes Duscher, der zuvor die Gäste im Hof, flankiert von Stephan Stanzl, Roli Gratzer und Robert Zikmund mit Austropop willkommen geheißen hat, mit einem adäquaten "Bei mir sads olle im Oasch daham" quittiert.
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Im Keller hat nach Koenigleopold das Fettes-Brot-Schwule-Mädchen-Soundsystem die Regler übernommen. Gestern hat das Hamburger Hip-Hop-Trio im Gasometer gespielt und nachdem ihr aktuelles Albums "3 ne Party" heißt, waren sie prädestiniert bei der FM4-PAAARTY eine Zeitreise mit Oldschool-Klassikern zu zünden, während im Badezimmer das Youtube-Phänomen Kurt Razelli ins das trübe Auge der heimischen TV-Reality geblickt hat.
Kurt Razelli war mit seinen brachialen Beats am Audiolith-Floor bestens aufgehoben. Ich finde er sollte ja von ihnen unter Vertrag genommen werden! Er ist der Sigmund Freud der österreichischen Produzenten, bei ihm liegen die kaputten Seelen der Sozial-Pornos und der Politik auf der Couch, die er dann fein seziert und freistellt.
1.40 - The Notwist (Wohnzimmer)
"Das Rezept für ne gute Party, ist, dass es einen guten Grund gibt für die Party", meint Martin Gretschmann alias Acid Pauli. Damit sind The Notwist die richtige Mannschaft für das Ende des Konzert-Reigens im Wohnzimmer. The Notwist sind die best-eingespielte Band des Abends. Es war mehr Jam-Session als Konzert. Ein andächtiges Reinkippen in die Weilheimer Melancholie.
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Es war der ideale Abschluss für alle, die dann heimgehen wollten. Der Rest hat bei Audiolith oder am Hip-Hop-Floor mit DJ Phekt und Trishes weiter gefeiert. In Liebe gemeinsam einsam durch die Nacht. Gut' Nacht!