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Christian Fuchs

Twilight Zone: Film- und Musiknotizen aus den eher schummrigen Gebieten des
Pop.

27. 1. 2014 - 09:15

Redest du mir mir?

Zehn gloriose Momente aus dem Werk von Martin Scorsese – von „Taxi Driver“ bis „The Wolf Of Wall Street“.

Ja, von mir aus, man kann über „The Wolf Of Wall Street“ durchaus geteiler Meinung sein, auch wenn mir die schroffe Kritik nicht einleuchtet. Wo ich aber keinerlei Spaß verstehe: Wenn inmitten negativer Berichterstattung grundsätzliche Kritik am Regiegroßmeister dahinter durchschimmert. Beflegelt doch von mir aus Pedro Almodóvar, Michael Haneke oder Jean Luc Godard mit Worten. Aber Martin Scorsese, um die Band King Missile zu zitieren, „he makes the best fuckin' films.“ Punkt, Ende der Ansage.

Nein, natürlich folgt da noch was, verzeiht mir bitte die Aufgebrachtheit bei diesem Thema. Ich versuche ab jetzt Patzigkeit gegen Euphorie zu tauschen und stelle fest: Der mittlerweile 71-jährige Regisseur, Produzent, Autor und Archivar denkt, atmet, lebt Film. Und dabei agiert Scorsese, trotz minutiösem Wissen und unglaublicher Leidenschaft, was die Historie betrifft, nie hausbacken nostalgisch. Sondern stets modernistisch, den unruhig klopfenden Puls der Zeit fühlend, aber immer seinem eigenen Universum verhaftet.

Was mich persönlich am meisten an den Werken des Italo-Amerikaners fasziniert, ist genau das, was das Raubtier aus der Wall Street so kontrovers macht: Martin Scorsese erzählt seine Filme großteils aus der Perspektive der verdammten Seelen. Unnachgiebig taucht er in die Abgründe von Mobstern und Massenmördern, gewalttätigen Gangmitgliedern und soziopathischen Kapitalisten, Amokläufern und Stalkern. Auf Objektivität verzichtet sein Blickwinkel dabei, auch Moral und Ethik muss man sich selbst dazudenken, wir sind im dunklen Kinosaal dunklen Charakteren ausgeliefert, die Marty oft direkt zu uns sprechen lässt.

Wolf Of Wall Street

UPI

Martin Scorsese am Set von "The Wolf Of Wall Street"

Verherrlicht und glorifiziert der Filmemacher dabei diese kaputten Charaktere? Auch wenn die Cosa Nostra „Good Fellas“ liebt und etliche Börsenmakler sich Scorseses aktuellsten Streifen in Spezialvorführungen ansehen, würde ich das bestreiten. Dem Kinogott, der in New Yorks Little Italy-Viertel unter Kleinganoven, Hochstaplern und Mafiosi aufgewachsen ist, gelingt stattdessen etwas Rares: Er bringt uns das Böse näher, ohne es mit den billigen Werkzeugen von Psychologie und Soziologie zu bändigen. Oder es als Genreklischee monströs zu stilisieren und an den Rand, weit weg von einem selbst, zu verbannen.

Martin Scorseses durchgeknalltes und dysfunktionales Personal spricht uns deswegen so oft persönlich an – manchmal ganz wortwörtlich - weil wir uns selber dort oben auf der Leinwand erkennen sollen. Unsere eigenen Beschädigungen, Neurosen, Ausbrüche. Etwas von dem Bösen schlummert auch in uns. Und selbst wenn es glücklicherweise bei den meisten nie in der Intensität ausbricht, mit der Scorseses Figuren durch ihre Erzählungen toben: Die Gier, den Hass, den Betrug kennen wir auch. Der Regisseur selbst ist der Erste, der sich hier schuldig bekennt.

Und weil der Schrecken im Kino manchmal zur puren formalen Schönheit transformiert wird und der einzigartige Marty besonders auch in dieser Disziplin ein Großmeister ist und weil ich jetzt einfach Lust darauf habe und hoffe, euch ein wenig anzustecken mit Begeisterung: Hier sind zehn persönliche Lieblingsmomente aus dem Schaffen von Mr. Martin Scorsese. „Because“, um nochmal King Missile zu zitieren, „I fuckin' love him“.

Platz 10: „The King Of Comedy“ und die Audition der Armseligkeit

The King Of Comedy

Paramount

The King Of Comedy, 1982

Selten täuscht ein Titel mehr als bei diesem unterschätzten und selten gezeigten Film. Nichts ist lustig an der Story des Möchtegern-Komödianten Rupert Pupkin (Robert De Niro), der einen alternden Blödelstar (Jerry Lewis) als Stalker verfolgt. Der schrecklichste Fremdschäm-Moment: Der Protagonist übt seine Standup-Routine alleine im Keller, vor einem Publikum aus Pappkarton, macht schlechte Witze und spielt dazu Applaus aus der Konserve ab. Rupert, der armselige Vorläufer aller gescheiterten Castingshow-Kandidaten, ist nur einen Hauch vom Amokläufer Travis Bickle entfernt.

Platz 9: „Hugo Cabret“ und die Erzählung des Georges Méliès

Hugo Cabret

Paramount

Hugo Cabret, 2011

Es ist extrem schwer, sich für mitreißende Schlüsselszenen aus Scorsese-Streifen zu entscheiden. Es gibt delirierende filmische Momente in „Casino“ (1995) oder „The Departed“(2006), wo die Kamera ekstatisch tanzt, hymnnische Gesangseinlagen in „New York, New York“ (1977) oder den hautnahen Hüftschung von Mick Jagger in „Shine a Light“ (2008). Aber ich muss jetzt trotzdem eine andere Szene nennen, weil sie mich schlicht zu Tränen rührte. Wenn in dem wunderschönen Kinderfilm „Hugo Cabret“ plötzlich, nach zwei Drittel voller Fantasy-Choreografie, der von Ben Kingsley gespielte Buchhändler sich als Stummfilmmagier Méliès entpuppt, müssen Cineastenherzen laut zu pochen beginnen. Martin Scorsese stellt die Frühzeiten des Kinos in leuchtenden Farben und 3D nach, es fliegen Funken der Leidenschaft, Träume werden greifbar.

Platz 8: Die „Gangs of New York“ treffen im Schnee aufeinander

The Gangs Of New York

CentFox

The Gangs Of New York, 2002

Ich erinnere mich noch sehr gut, dass ich ausgerechnet die morgendliche Pressevorführung zu diesem Banden-Spektakel beinahe verschlafen hätte. Als ich verkatert den schlimmsten aller Frevel beging, nämlich zu spät in den Saal zu stürzen, stürzten sie gerade aufeinander los. Und ich war sofort mitten drin, in der Schlacht der Gangs, die um das Elendsviertel Five Points fochten. Mit Fäusten, Messern, Keulen, Äxten. Kino als Kampfzone, in der man jeden Hieb – auch das eine ganz besondere Qualität von Scorsese – zu spüren vermag und sich wegducken will.

Platz 7: Rotkäppchen trifft in „Cape Fear“ auf den Wolf

Cape Fear

UIP

Cape Fear/Kap der Angst, 1991

Natürlich ist das Original, der legendäre Film Noir mit dem entfesselten Robert Mitchum, ein Monolith. Aber was Martin Scorsese aus der oft unerträglichen Remake-Masche herausholt, ist eine psychotische Coverversion, die es in sich hat. Und wenn der brandgefährliche Vergewaltiger Max Cady auf die junge Tochter der von ihm bedrohten Anwalts-Familie trifft, bleibt die Zeit kurz stehen. Juliette Lewis lässt sich in ihrer Durchbruchsrolle vom zärtlichen bösen Unhold den Finger in den Mund stecken, errötet geschmeichelt und erregt und Grimms Märchen erfahren ein Gänsehaut-Update.

Platz 6: Leonardo DiCaprio sperrt sich als „The Aviator“ alleine im Privatkino ein

The Aviator

Warner

The Aviator, 2004

Die Biografie des größenwahnsinnigen Milliardärs, Frauenhelden, Fliegers und nicht zuletzt Filmemachers Howard Hughes in der Umsetzung von Martin Scorsese: Kenner der Materie erhofften sich da im Vorfeld einen Jahrhundertfilm. Weil sich der Regisseur mit einem chicen Leo in der Hauptrolle aber auf die glamouröse erste Lebenshälfte des autistisch anmutenden Loners beschränkt, jammerten viele Kritiker. Dabei steckt „The Aviator“ hinter der Glitzer-Oberfläche voller unendlicher Tristesse. Und die kulminiert in der Ausnahmeszene, in der sich Hughes alleine im privaten Vorführsaal einsperrt, verwahrlost, vereinsamt, verrückt werdend. Vielleicht, munkelte ich mal zu einem filmbesessenen Freund, enden wir genauso.

Platz 5: Der Rotlichtrausch in „Mean Streets“

Mean Streets

Warner

Mean Streets/Hexenkessel, 1974

„I’m jumpin jack flash, it’s a gas, gas, gas!“ singt Mick Jagger auf der Tonspur und die Kamera gleitet dazu in Zeitlupe durch eine Bar, in der Nachwuchsgangster Johnny Boy (der ganz junge Bobby De Niro) Hof hält. Rock’n’Roll und Rotlicht verschmelzen. Martin Scorsese und die Musik, ein essentielles Kapitel für sich, eine Liebesgeschichte, die bis zum grandiosen Soundtrack des „Wolf Of Wall Street“ anhält. Fast alle Regisseure, die den musikalischen Kick, die Ekstase des Pop, den Rausch des Moments perfekt festhielten, von Paul Thomas Anderson über Jaques Audiard bis Nicolas Winding Refn, sie haben bei Scorsese und „Mean Streets“ gelernt.

Platz 4: Leonardo DiCaprio verliert in „The Wolf of Wall Street“ die Sprache

The Wolf Of Wall Street

UPI

The Wolf Of Wall Street, 2013

Es ist schwer, sich bei Scorseses neuestem Meisterwerk zu entscheiden, welcher Moment sich mehr in die Netzhaut einbrennt: Ist es das indianische Kriegsgetrommel, in das Börsenhai Hanna (Matthew McConaughey) einstimmt, als er dem Wall-Street-Novizen Belfort (Leonardo DiCaprio) beim Dinner das Business erklärt? Oder die unfassbare Szene, in der letzterer, zusammen mit seinem Partner Azoff (Jonah Hill), eine Uralt-Packung Quaaludes schluckt? Ich entscheide mich für diese Sequenz, die eine gefühlte Ewigkeit dauert und als Film-im-Film wohl durch nichts zu toppen sein wird heuer.

Platz 3: Robert De Niro lässt sich in „Raging Bull“ halbtot prügeln

Raging Bull

United Artists

Raging Bull/Wie ein wilder Stier, 1980

„Wie ein wilder Stier“ ist kein Sportfilm, keine Saga vom Underdog zum Star, keine rohe Schwarzweiß-Version von „Rocky“. Es ist die Geschichte eines Mannes, der von seinen Dämonen verfolgt wird, Erlösung exklusive. Es ist ein quälender, stellenweise schwer zu ertragender und meisterlicher Film. Die letzte große Kampfszene, wenn Jake La Motta (De Niro an der Atemlosigkeitsgrenze) erneut gegen Sugar Ray Robinson antritt, tut so weh, dass man sich danach zur Entspannung eskapistische Boxerfilme anschauen will. Robinson drischt La Motta besinnungslos, aber er weigert sich, zu fallen. Blut- und Schweißfontänen spritzen. Knochen knacken. Irgendwann bricht der Ringrichter ab. “You never got me down, Ray” murmelt DeNiro aus dem zermatschten Mund und uns fröstelt gewaltig.

Platz 2: Joe Pesci zuckt in „Good Fellas“ völlig aus

Good Fellas

Warner

Good Fellas, 1990

Was zur Hölle wurde aus Joe Pesci? Der Schauspieler, den Millionen Kinder als patscherte Nemesis von Macaulay Culkin aus den „Kevin“-Filmen kennen, hatte seine Glanzmomente in den Werken von Martin Scorsese. Und nie glänzte der abgründige kleine Mann mehr als im Mafia-Meisterwerk „Good Fellas“, auch wenn Gehirnpartikel und Blutsuppe die Sicht verschmieren. Scheinbar harmloser Smalltalk in einer Bar eskaliert zu einem Mord, der in seiner Kaltblütigkeit Filmgeschichte schrieb. Untermalt von Donovans Sixtiesballade „Atlantis“ richtet Tony DeVito alias Pesci sein Gegenüber hin, der lässige Erzählton mancher Szenen davor kippt endgültig in blanken Horror.

Platz 1: Der „Taxi Driver“ stellt uns die Frage der Fragen

Taxi Driver

Warner

Taxi Driver, 1976

You’re talkin me?" Langweilig, werden einige sagen, berechenbare Auswahl, zu naheliegend. Aber hey, ich besaß nach der VHS die DVD und dann war „Taxi Driver“ auch mein erster BluRay-Kauf. Vom Drehbuch, dem Buch über den Film, dem Riesenbildband und dem Poster, das schon ewig in meinen Klo hängt, den eigenen Büchern, Seminararbeiten und Diplomarbeiten, in denen ich das Werk analysierte, ganz zu schweigen. Das alles wegen einem verklemmten Vietnamveteranen, dessen Sicherungen durchbrennen, einem verstockten Outcast, der zum Amokläufer mutiert? Ganz genau. Travis Bickle lässt sich auf vielen Ebenen lesen, neben politischen und psychologischen auch als existentialistische Figur. „You’re talkin me?" Wenn der personifizierte Außenseiter, der alles repräsentiert was an Männlichkeit schiefläuft, mit sich selbst und uns im Spiegel spricht, ist und bleibt das einer der gespenstischsten Kinomomente aller Zeiten.