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24. 1. 2014 - 15:56

"Nicht hilflos, nicht schutzbedürftig"

Florian Wibmer studiert Geschichte an der Uni Wien und ist fast gehörlos. Im heutigen Jugendzimmer (19-20:15) erzählt er von seinem Alltag, wie es um die Barrierefreiheit der Uni steht und sozialen Barrieren.

von Florian Wibmer

Wenn mich Studienkollegen nach einer Lehrveranstaltung fragen, ob es denn eine Internationale Gebärdensprache gibt, freue ich mich über ihr Interesse, wundere mich aber dass man solches Wissen nicht in der Schule gelernt bekommt.
Die Themen Gehörlosigkeit, Schwerhörigkeit oder Gebärdensprachen sind, wie viele andere Bereiche von Menschen mit Behinderungen, nicht im allgemeinen Bewusstsein - etwas woran schlicht gearbeitet werden muss.

Vor wenigen Jahren noch, am Beginn des Studiums, konnte ich selbst noch nicht die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS). Froh bin ich darüber, dass nunmehrige Freunde mich regelrecht herausgefischt haben und mir zeigten, dass ich eben nicht unbedingt über die Hörgeräte alles schwer verstehen musste.

Florian Wibmer

Florian Wibmer

Die ÖGS ist eine vollwertige, eigenständige und auch in der Bundesverfassung anerkannte Sprache, doch fehlt sie in weiten Teilen im Bildungssystem. In Österreich habe ich Hörenden-Schulen besucht – Unterstützung gab es im Gymnasium etwa durch vier zusätzliche Stunden. Einerseits war ich froh darum, andererseits empfinde ich es als Mehrbelastug: warum muss jemand, der eine Behinderung hat, mehr leisten? Wäre es nicht möglich, Strukturen zu schaffen, damit ein gleichberechtigtes Dasein vollkommen möglich ist, wie es die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorsieht?

Nicht hilflos

An der Universität begegnete ich LehrveranstaltungsleiterInnen die mit der Thematik offen und perfekt umgingen, bei anderen jedoch stieß ich auf Unverständnis. Diese Unverständnis ist es aber, wogegen wir im Verein Österreichischer Gehörloser Studierender (VÖGS) oft ankämpfen müssen, etwa um zu manifestieren, dass die Gebärdensprache(n) die Muttersprache der Gehörlosen ist. Die sozialen Barrieren in den Köpfen der Menschen ist es, die die Beseitigung von baulichen oder infrastrukturellen Barrieren erschweren. Es ist wichtig zu wissen, dass Menschen mit Behinderungen keine schutzbedürftigen oder hilflose Menschen sind, sondern sehr wohl ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Jugendzimmer (19-20:15) Claus Pirschner diskutiert mit Florian, auch Vorsitzender des Vereines österreichischer gehörloser Studierende, sowie mit anrufenden HörerInnen über Erfahrungen mit Barriere(un)freiheit in Österreich.

Diese Selbstbestimmung hat man als gebärdensprachiger Student in Wien, wenn man Unterstützung durch GESTU (Gehörlos Erfolgreich Studieren) erhält. Doch bevor man überhaupt studieren kann, muss man durch die Schule, dessen System alles andere als barrierefrei ist. In Österreich sind über 13.000 Kinder in Sonderschulen, Tendenz steigend. Dabei ist es so wichtig, eine Inklusive Schule zu gestalten, etwa nach dem Vorbild Südtirols, damit jeder lernt mit dem anderen umzugehen. Und es nützt auch nichts, Gehörlosenschulen zu führen, wo der Unterricht kaum in Gebärdensprache durchgeführt wird.

Anm.: Behinderung im Sinne der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bedeutet, von der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft ausgeschlossen zu sein.

Transkript der Sendung

Ein Transkript dieser Sendung gibt es als hier als .pdf-Datei zum Runterladen.