Erstellt am: 23. 1. 2014 - 18:42 Uhr
Brüderlichkeit, Macht, Einigkeit
fm4.ORF.at/film
Kinorezensionen, Schauspielerporträts und Filmpreise
Farbpsychologen sind sich einig: Schwarz steht für Tod, Trauer und Finsternis, für schwarze Magie und das Böse. Aber auch, so lese ich, können "Brüderlichkeit, Macht und Einigkeit" damit symbolisiert werden. "Erinnert mich an ein Begräbnis", flüstert mir mein Freund ins Ohr, als wir gestern am frühen Abend beim Schloss Grafenegg eintreffen. In wenigen Stunden würden wir wissen, welche heimischen Filme von den über 300 Juroren, den Mitgliedern der Akademie des Österreichischen Films, zu den besten des Jahrgangs gewählt worden sind.
Dass man hier nicht Hollywood sein kann und will, ist jedenfalls den Organisatoren klar. Bis auf die Einspieler zu den nominierten Filmen, die einem die knapp einstündige Shuttlebus-Fahrt vom Burgtheater ins tiefste Waldviertel vergnüglicher machen und wohl auch für Stimmung (und Spannung) sorgen sollten, gibt sich der Österreichische Filmpreis charmant niederschwellig und pathosfrei.
Die meisten Besucher haben trotz der dazu passenden, legeren Kleiderordnung dann doch zu den Klassikern gegriffen und stehen im kleinen Schwarzen oder schicken Dreireiher um die im freien lodernden Lagerfeuer herum, die zwar wärmen, die Atmosphäre allerdings auch nicht wirklich heimeliger machen. Die wenigen Menschen, darunter wir, die dann doch zu bunteren Leiberln oder Pullovern gegriffen haben, fühlen sich schnell beobachtet: "Brüderlichkeit, Macht und Einigkeit" eben. Nach Niederösterreich eingeladen hat im Übrigen Landeshauptmann Erwin Pröll.
APA / Herbert Pfarrhofer
Es war ein Abend der Gottväter. Und die mussten noch nicht einmal sichtbar sein. Michael Haneke wurde gleich mehrfach erwähnt, darunter auch in Franz Schuhs Kommentar zum Verhältnis zwischen Politik und Kultur, das überhaupt einen wilden Galoppritt von philosophischen Zitaten hin zu OTS-Aussendungen des Freiheitlichen Parlamentsklubs darbot. Vor allem schwebte er über dem großen Gewinner des Abends. Hüseyin Tabak, in Nordrheinwestfalen als Sohn von Gastarbeitereltern geboren und dort auch aufgewachsen, wurde, wie Produzent Danny Krausz mit unangebrachter Väterlichkeit betonte, ja immerhin von Michael Haneke an die Filmakademie geholt - und siehe da, jetzt bekommt sein zweiter Langfilm Deine Schönheit ist nichts wert gleich vier Preise: das Drama wird als bester Film ausgezeichnet, hatte für die Juroren dann auch noch die beste Musik, das beste Drehbuch und die beste Regie.
APA / Herbert Pfarrhofer
Tabaks Film erzählt von einem 12-jährigen Buben, dessen kurdische Familie aus der Türkei geflohen ist und seit einigen Monaten in Wien lebt. Der Außenseiter flüchtet vor den Problemen in eine Traumwelt, in der die Klassenkameradin, in die er sich verliebt hat, die Hauptrolle spielt. Für die kleine Produktion ist die vierfache Auszeichnung eine Sensation, für die meisten Anwesenden war sie zumindest überraschend. Viel getuschelt und gemauschelt wurde in der anschließenden Rauschnacht darüber, ob nicht die gesellschaftspolitische Relevanz des Stoffs und eine oberflächliche Benevolenz gegenüber "migrantischem Kino" (was immer das auch sein soll) viele Juroren beeinflusst hätten.
Gedanken, die gültig sind und durchaus geäußert werden dürfen. Ich selbst interpretiere die Wahl der Preisträger allerdings weniger verschwörungstheoretisch als genau so profan, wie solche Entscheidungen nun mal fallen. Der ebenfalls nominierte Soldate Jeannette von Daniel Hoesl ist etwa weitaus weniger Konsens-tauglich und insgesamt radikaler als "Deine Schönheit ist nichts wert". Ausgezeichnetes Kino ist immer mehrheitsfähig. Und mehrheitsfähiges Kino nur in seltenen Fällen wirklich interessant.
Und damit kommen wir zum springenden Punkt: der heimische Film und die Industrie dahinter weiß zwar, wovon sie sich abgrenzen will, weiß, wofür sie nicht steht, nämlich Kommerzkino. Gleich mehrfach wurde gestern die Übermacht des US-Films in den österreichischen Kinos kritisiert und als ein Grund dafür genannt, dass es der heimische Film zwar nicht bei Preisverleihungen, wohl aber beim Publikum schwer habe. Wege aus dieser durchaus ernst zu nehmenden Situation scheint es vorerst nicht zu geben. Vor wenigen Wochen hat eine vom Filmfonds Wien in Auftrag gegebene Studie ergeben, dass insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene keine Beziehung zum österreichischen Film haben, zum Großteil noch keinen einzigen im Kino gesehen haben. Angesichts dieser ernüchternden Erkenntnisse wiederholt auf einer Kino-Definition zu beharren, die auf dem imaginierten Antagonismus zwischen Kunst und Kommerz beruht, der spätestens seit den Achtzigern keine Gültigkeit mehr hat, erscheint regressiv, jedenfalls aber konservativ.
Allegro Film
Immerhin wurde beim Filmpreis auch eine Produktion gewürdigt, und das gleich mehrfach, die für heimische Verhältnisse auffällig ist wie ein bunter Hund: Marvin Krens Blutgletscher war zwar kein großer Erfolg in den Kinos, wurde aber für die beste Tongestaltung und die beste Maske ausgezeichnet. Der großartige Gerhard Liebmann, der im Film einen Glaziologen spielt, der gegen mutierte Tiere kämpfen muss, wurde sehr verdient als bester Darsteller ausgezeichnet. Und auch bei den Schauspielerinnen hat es die Richtige getroffen: Maria Hofstätter, die in Ulrich Seidls Paradies: Glaube eine streng gläubige Katholikin spielt.
Ulrich Seidl Film / StadtkinoFilmverleih
Nicht unerwähnt bleiben soll auch der 27-jährige Florian Pochlatko: dessen angenehm entspannter und authentischer Jugendfilm Erdbeerland wurde zum besten Kurzfilm gewählt. Ansonsten hatte die Jugend(lichkeit) keine Chance in Grafenegg. Unvorhergesehen war nichts, unbequem gab sich niemand, frech wollte auch keiner sein: ein paar Querschüsse in Richtung ORF, der angekündigt hatte, die Filmförderung aufgrund von Sparmaßnahmen möglicherweise kürzen zu müssen, wurden durch die anschließenden Dankesworte an denselben ORF, der die meisten der ausgezeichneten Filme mitfinanziert hatte, durchaus vergnüglich ad absurdum geführt.
Gleichzeitig illustriert diese paradoxe Gemengelage auch die Crux des Kinos in einem Filmförderland. Man arbeitet am Gängelband der (nicht nur) politischen Macht-Elite, die bei Veranstaltungen wie dem Filmpreis auch zahlreich aufkreuzt und sich gern mit den bekannteren Gesichtern unterhält und ablichten lässt. Als irgendwie Außenstehender ist man gleichermaßen amüsiert und alarmiert: vielleicht ist so eine Verleihung aber auch nicht der richtige Ort, um nach Bewegung zu suchen. Hier wird festgeschrieben und abgefeiert, und das ist vermutlich auch gut so. Brüderlichkeit, Macht und Einigkeit eben.