Erstellt am: 23. 1. 2014 - 15:49 Uhr
Abtreibung als Propagandathema
Parolen und Fürbitten: Demonstrationen und Kundgebungen umrahmten die Feier zum 30jährige Bestehen von der Wiener Abtreibungsklinik pro:woman.
Am 23. Jänner 1974 wurde das Gesetz zur Fristenlösung im österreichischen Parlament beschlossen. Fristenlösung heißt, dass das Abtreibungsverbot zwar weiterhin besteht und im Strafgesetzbuch verankert ist, Schwangerschaftsabbrüche aber bis zur 12. Woche straffrei gestellt sind.
Noch heute, 40 Jahre später, ist Abtreibung ein gesellschaftlich umstrittenes Thema. In Europa wird auf verschiedensten Ebenen gegen die Fristenlösung bzw. Abtreibungen mobil gemacht. Warum, habe ich Sarah Diehl gefragt, die sich in Büchern und Dokumentarfilmen mit Abtreibung beschäftigt.
Hochemotionalisiertes Propagandathema
"Abtreibung eignet sich einfach sehr gut als Propagandathema, weil es so hochemotionalisiert ist und sehr leicht mit Bildern von Babys und so weiter aufgeladen werden kann, was Leute immer packt. Womit man Leute aber auch packen will, um Werbung für die jeweils eigene Institution und Ideologie zu machen", sagt Sarah Diehl.
EPA
In den Siebziger Jahren haben die meisten westeuropäischen Länder die Fristenlösung eingeführt. Jetzt, vierzig Jahre später, scheint sie wieder hinterfragt zu werden: Letztes Jahr hat die Pro Life-Initiative "One of Us" in ganz Europa über eine Million Unterschriften gegen Abtreibung gesammelt. Im Europa-Parlament wurde daraufhin der Estrela-Bericht (Bericht für "Rechte auf dem Gebiet der sexuellen und reproduktiven Gesundheit"), der eine Art Recht auf Abtreibung in Europa festgeschrieben hätte, nach starkem Campaigning von rechten und christlichen Gruppen abgelehnt.
"In dem Zusammenhang muss man die Entwicklungen rund um One Of Us oder den Estrela Report sehen: Konservative benutzen das Thema, um generell die Selbstbestimmung der Frau in Frage zu stellen und sie immer als etwas Negatives, ja sogar Dekadentes darzustellen."
Fokus auf den Embryo
AbtreibungsgegnerInnen besetzen das Thema mit dem Wort "Kindsmord" und verschieben so den Fokus des Themas weg von den Bedürfnissen der Frau hin zu den imaginierten Bedürfnissen des Embryos. "Das finde ich sehr verrückt an der ganzen Diskussion, dass nicht die Frau im Hauptfokus steht, sondern ein Embryo, der noch kein Schmerzempfinden und kein Bewusstsein hat", sagt Sarah Diehl.
Dazu kommt noch, dass Frauen unterstellt wird, sie würden Abtreibungen aus Spaß an der Freude durchführen: "Es wird behauptet, dass wenn Abtreibung zugänglich ist, dann würden Frauen das nachlässig handhaben. Das ist auch so ein widerliches Frauenbild, dass damit hochgehalten wird. Die Realität ist ganz anders."
Diese Argumente werden schon seit Jahren gegen Abtreibung vorgebracht. Mittlerweile ist aber noch ein neuer Aspekt hinzugekommen: eine gewisse Fremdenfeindlichkeit zusammen mit Angst vor zu vielen nichtweißen, nichteuropäischen Kindern: "Da geht es darum, dass wieder deutsche bzw. weiße Babys geboren werden sollen anstatt Babys von Migrantinnen. Das ist eine Diskussion, die ganz stark am Stammtisch geführt wird."
Backlash in Europa
Erste Ergebnisse des Backlashs gegen Abtreibung sind schon zu sehen: z.B. in Osteuropa, wo christliche Werte nach dem Fall des Kommunismus ganz stark zur Identifikation ganzer Nationen herhalten müssen und damit Stimmung gegen Abtreibung gemacht wird. Oder auch in Spanien, wo die konservative Regierung als eine ihrer ersten Taten die Fristenlösung wieder abschaffen und Abtreibung unter Strafe stellen will.
"Illegalisierung baden die armen Frauen aus"
"Den Leuten ist es nicht klar, was es bedeutet, wenn Abtreibung wieder illegal ist. Wie brutal es sich auf die Leben der betroffenen Frauen, aber auch auf ihre Familien auswirkt", sagt Sarah Diehl. Sie dreht gerade einen Dokumentarfilm über Aktivistinnen, die in Ländern, wo Abtreibungen verboten sind, Frauen zu sicheren Abbrüchen verhelfen. Das sind viele Länder in Afrika und Lateinamerika, aber auch in Europa, z.B. Irland und Polen.
Der Trailer zu Sarah Diehls Film "Abortion Democracy" (2009)
Wikipedia sagt: "Als Schwangerschafts-abbruchrate wird die Anzahl der Abbrüche pro 1000 Frauen im gebärfähigen Alter (in der Regel 15- bis 44-Jährige) in einer territorialen Einheit pro Jahr bezeichnet. Diese Rate betrug nach Schätzungen 2008 weltweit 28, in Europa 27 (Westeuropa 12, Osteuropa 43), in Nordamerika 19, in Lateinamerika 32, in Asien 28 und in Afrika 29."
Dass Abtreibungen verboten sind, heißt nämlich nicht, dass sie nicht stattfinden. Die Statistik zeigt: In den Ländern, wo Abtreibung verboten ist, finden die meisten Abtreibungen statt. Das sind auch die Länder, in denen Themen wie Frauengesundheit, Zugang zu Verhütung oder Informationen über Sexualität oder generell Selbstbestimmungsrechte der Frau auch nicht besonders gut verankert sind. Die Frauen führen dann zum Teil selbst Abtreibungen durch - oft unter katastrophalen hygienischen Bedingungen und nicht selten mit schweren gesundheitlichen Folgen. Jährlich sterben fast 50.000 Frauen an den Folgen so einer nicht fachgerecht durchgeführten Abtreibung.
Gerade beim Abtreibungsverbot spielt auch die soziale Klasse eine Rolle, sagt Sarah Diehl: „Illegalisierung müssen immer die armen Frauen ausbaden. Die Frauen, die Geld haben, finden immer irgendeinen Arzt, der das macht. Die armen Frauen sind am schlimmsten dran, weil die haben überhaupt keinen Zugang."