Erstellt am: 21. 1. 2014 - 17:25 Uhr
The daily Blumenau. Tuesday Edition, 21-01-14.
Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.
#medien #gesellschaft
Im Normalfall ist es so, dass ich bei neuen Casting-Formaten oder Reality-Shows einmal kurz reintune, aus professioneller Neugier, um - ganz basisch - Dynamiken, Umfelder und Ausrichtung dieser der Medien-Branche so zusetzenden Gestaltungsform zu kapieren. Je österreichischer, desto mehr.
Zuletzt, bei 'Herz von Österreich', hat schon die erste Folge (mit den Musikteilen im Schnellvorspulmodus) genügt. Bei Taxi Orange, Starmania, Austrias Next Topmodel, Großer Chance wars mehr, manchmal sogar eine ganze Staffel. Ich bilde mir halt ein, dass mir das beim tieferen Verstehen von Österreich hilft.
Die deutschen Shows sind seit der ersten Staffel von Big Brother (mit der ja vieles, wenn nicht alles begann, im deutschsprachigen Raum) in meinem persönlichen Hintertreffen. Bis sich dann vor einem Jahr um diese Zeit (die Frau war hochschwanger, die Bewegungs-/Ausgehfreiheit eingeschränkt) das RTL-Dschungelcamp erstmals wirklich ergab. Und für - zugegeben - echte Unterhaltung sorgte: Helmut Berger, die Flames um Georgina und die Kür des reinen Tors Joey Heindle - Perlen des niveaulosen Trashs, grelle überzuckerte Flashes aus dem Zwischenreich, großes Spießer-Kino.
Konsequenz: die diesjährige Teilnehmer-Liste kannte ich schon vorher. Und musste feststellen dass Jochen Bendel, früher als Dr. Ben fieser Spaß-Terrorist und Tanja Schumann, Teil der stilprägenden Samstag Nacht-Truppe, unter anderen in der legendären Kentucky schreit Ficken-Reihe, derartig abgestürzt sind, um sich in die Hölle der C-Promis zu begeben.
Und dann gab es noch einen rings-a-bell-Namen: Larissa Marolt. Die (und auch das) einzige, was von Austrias Next Top Model übrig geblieben war. Larissa, damals noch keine 17, bestach durch widerständige Borniertheit, ständiges Infragestellen und motzigen Trotz, hob sich durchaus angenehm ab von der Meute weichgespülter Stromlinienmädels, die sich der zynischen Arbeitsmarkt-Simulation mit Generation-Praktikums-Eselsgeduld unterwarfen, als wäre die Aussicht auf ein paar Karotten die komplette Selbstaushöhlung wert.
APA/EPA/FRANK RUMPENHORST
Beste Voraussetzungen für das Dschungelcamp, wo wenig Verstellung wie möglich das beste Rezept für hohe mediale Wirkungstreffer ist - schließlich lässt eine Rundum-Überwachung bei partiellem Nahrungsentzug, Gruppen-Terror und Ekelprüfungsängsten nach schon wenigen Stunden kaum noch Platz für Aufgesetztes oder Eingelerntes.
Bloß: alles, was die Kandidatin in Show 1 ausgezeichnet und hervorgehoben hatte, sorgte bei Show 2 für völlig nachvollziehbare Shitstorms.
Indem Larissa ihre Tugenden (Motz-Trotz, borniertes Dagegensein und Infragestellen) mit ein paar neuen Konstanten (vor allem fahrige Höchstkonzentrationslosigkeit) anreicherte, brach sie in wenigen Sekunden alle Dämme; zuerst innerhalb der gnadenlos aneinandergeketteten Chain Gang, dann die der Produktion und schließlich jene der Publikums-Schamgrenzen.
Das Dschungelcamp, in seiner Geschichte nicht arm an Zicken-Legenden (ich habe die von Sarah Dingens noch aus Dirk Bach-Zeiten nachgelesen, Georgina und The Helmut Berger aus dem Vorjahr kannte ich schon) hob bereits am ersten Wochenende ab zu einem ungeahnten Höhenflug, was mediale Erregung und hysterisches Bassena-Gekreische betrifft.
Alles, was die blonde Kärnterin sagt oder tut, unterläuft nämlich jede bereits internalisierte Grundregel der Show und auch unserer Gesellschaft. Konformität, Anpassung, Höflichkeit, Zurückstellen des Egos, Akzeptanz von Grenzen und Gehorsam gegenüber Autoritäten - das sind die Parameter, mit denen man gut durch die Casting/Reality-Show-Welt kommt. Alles Zutaten, die mittlerweile auch in der nichtvirtuellen Welt verlangt werden.
Larissa hat das alles nicht drauf.
Gar nicht.
Wie auch.
Tochter eines Hotelier-Stars aus St. Kanzian am Klopeinersee, dem seine politische Karriere (zuerst FPÖ, später Lugner...) zu millionenschwerem Schuldenerlass (Stichworte: Hypo, Kulterer) verhalf - da stehen Tugenden wie Bescheidenheit oder Demut nicht am elterlichen Vermittlungsplan. Sondern offensive Großkotzigkeit zwischen Charme und Übertreibung und stetes Beharren auf Belohnung fürs simple Sein durch die Gnade von Geburt und Herkunft.
Im übrigen birgt das Wikipedia-Wissen der Generation Larissa auch überraschende Erkenntnisse: wenn die Kandidatin die Aborigines als "Ureinwanderer" bezeichnet, dann ist das im ersten Reflex natürlich ein toller Gag - auf den zweiten Blick ist das aber die perfekte Beschreibung wie es wirklich war. Denn auch die vermeintlichen Ureinwohner haben den Klein-Kontinent erst durch Einwanderung für sich erorbert.
Und so taumelt Larissa wie die Tochter, die Grasser und Meischberger nie hatten, durch ihren medial ausgeschlachteten Dschungelalltag; und treibt deren Attitüde noch einen NextGen-Zacken weiter: sie fragt nicht erst nach, was ihre Leistung war, sie stilisiert einfach ihre Normalität dazu hoch. Eine Pfanne tragen oder schlicht anwesend sein, das sollte doch bitte genügen. Ein Bruchteil des Erwartbaren ist schon eine Zumutung.
Larissa Marolt ist das Resultat der Unverfrorenheit der Haider-Buberl-Partie, die nächste Generation des Forderns ohne Gegenleistung, des Tuns ohne Können, des Aktivismus ohne Wissen, des Anpackens ohne jegliche Vorbereitung. Kommunikation läuft nicht dialogisch, im Call-Response-Modus, oder gar über Zuhören: Informationsweitergabe hat auf Zuruf und sofort zu erfolgen, alles andere geht im Filter-System des antisozialen Egoismus sofort verloren.
Eine anarchischeres Unterlaufen der Generation-Praktikum-Biederkeit unserer Tage ist mir nicht bekannt.
Interessanterweise läuft der aktuelle Medien-Diskurs derzeit über die "Spielt die das oder ist das echt?"-Frage, die sich meiner Ansicht nach nur auf Bildzeitungs-Level stellt. Höhepunkt: der verpeilte offene Brief des Vater, der zuerst bestätigt, dass eine Tochter im Fernsehen eh auch so sei wie privat, dann aber insinuiert, sie würde wie Tom Hanks den Forrest Gump nur spielen.
Wo die Rolle anfängt, die wir gesellschaftlich spielen, ab wann wir die Maske aufsetzen, beim einen am Arbeitsplatz, beim anderen bei Familienfesten, beim Profi vielleicht in der TV-Casting-Show, ist doch recht egal. Viel interessanter ist die Tatsache, dass Larissa Marolt die Vorstellung einer neuen Generation gibt, die ihr Selbstbewusstsein aus ihrer simplen Existenz bezieht und Forderungen stellt, die auf den ersten Blick völlig absurd sind; auf den zweiten Blick aber einen interessanten Kreis schließen.
Denn genauso wie die Kinder der Hippies gerne zu Gordon Gekko wurden, erinnert die Herangehensweise dieser Tochter von Grasser und Meischberger stark an die durchgedrehte Hippie-Kommunen-Insassin aus den 60er/70er-Jahren. Vielleicht ist das, was Larissa da - höchst unfreiwillig, in aller Natürlichkeit - ausstellt, nur die völlig logische Gegenreaktion auf die neoliberale Selbstbedienungs-Generation der blauschwarzen Wende-Regierung (deren Proponenten vor allem in der Ökonomie immer noch an zu vielen Schalthebeln sitzen), der nötige Backlash zur raffgierig-zielgerichteten Unverschämtheit, ein absurder Trip in durch die direkten Vorbilder zerstörten Innenwelten eines Teils dieser Generation.