Erstellt am: 21. 1. 2014 - 16:21 Uhr
London NW
Kiepenheuer&Witsch Verlag
London NW. In der Gegend findet man nicht gerade die typischen Postkartenmotive. Vielmehr ist sie geprägt von Gentrifizierung und ethnischen Gruppen in verschiedenen Gesellschaftsschichten und deren Weltanschauungen. In diesem Spannungsfeld hat Zadie Smith jeden ihrer Romane angesiedelt. Die Gegend kennt sie gut - ist sie doch im Nordwesten, im Arbeiterbezirk Willesden, aufgewachsen.
Bei ihrem aktuellen Roman klärt sie den Handlungsraum schon im Titel: "London NW".
In diesem bunten, mitunter rauen und gewalttätigen Umfeld leben die vier Protagonisten Leah, Keisha, Felix und Nathan. Sie kennen sich aus Kindheitstagen, haben alle in derselben abgefuckten Hochhaussiedlung gewohnt und sind gemeinsam zur Schule gegangen. Aber während sie früher in eine Klasse gegangen sind, trennen sie jetzt Gesellschaftsklassen.
"Es kann eben nicht jeder vorne mit dabei sein. Nicht in der heutigen Zeit." meint Leahs Mann trocken. Und auch wenn Leah diese Ansicht nicht teilt, stellen sich die Protagonisten immer wieder die Frage, warum sie dort sind, wo sie eben sind.
Ganz oben als erfolgreiche Rechtsanwältin, wie Keisha oder unten als Dealer, Junkie und Zuhälter, wie Nathan. Wer bestimmt das eigene Glück? Das Umfeld? Die Familie? Die Ausbildung? Wie viel hat man selbst zu verantworten? Gibt es Gerechtigkeit?
"Tja, nun, man kriegt nicht immer was man will."
Dominique Nabokov
Zadie Smith wollte nach ihrem Roman "Von der Schönheit" über das Dunkle schreiben, über Leute, die ihr Leben verbockt haben und darüber, wie schnell viele Dinge kompliziert werden können.
Das erzählt sie in schnellen, harten Schnitten mit wechselnden Erzählpositionen. Im großartigen dritten der fünf Teile schildert sie in 185 kurzen Episoden das Leben der ehrgeizigen Keisha, die sich als Abgrenzung zu ihrer Herkunft plötzlich Nathalie nennt. "Nathalie Blake hatte ganz vergessen, wie es war, arm zu sein. Das war eine Sprache, die sie nicht mehr beherrschte, nicht einmal mehr verstand."
Kleine Anmerkung am Rande - auch Zadie Smith hat sich umbenannt - von Sadie auf Zadie.
In ihrer Gegenwartsanalyse zeigt sich Zadie Smith einmal mehr als Meisterin im Beschreiben von Beziehungen - ob in Familien, Freundschaften Paaren oder in der Arbeit. Sie lotet die Höhen und Tiefen aus. Und ganz nebenbei wird auch die Frage abgehandelt, ob und warum man Kinder haben sollte.
Die Handlung des Romans spitzt sich um die Tage des Karnevals zu. Auf dem sind sie dann alle. Dort wird getanzt, gefeiert, getrunken. Musik verbindet die verschiedenen Gesellschaftsschichten. Herkunft, Lebensanschauung oder Religion spielen keine Rolle und Drogen tun das Übrige.
Zugegeben, der Beginn des Romans liest sich etwas sperrig. Aber dranbleiben lohnt sich – denn Zadie Smith hat die Handlungsfäden so geschickt und raffiniert gelegt, dass die erst zum Schluss ganz miteinander verknüpft sind. Da möchte man kurz vor Begeisterung in die Hände klatschen um dann den Roman gleich nochmal zu lesen.