Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "Reise nach Antananarivo"

Katharina Seidler

Raschelnde Buchseiten und ratternde Beats, von Glitzerkugeln und Laserlichtern: Geschichten aus der Discommunity.

20. 1. 2014 - 19:05

Reise nach Antananarivo

Funk und Saxophon, Dilledandyismus im Nimmerland: Ja, Panik mit ihrem fünften Album "Libertatia" und als unsere Artists of the Week.

Das Nimmerland ist vieles, aber kein Paradies. Auch die Insel ohne Erwachsene kommt, wie man weiß, nicht ohne Streit und Zweifel aus, der Abschied von den Eltern stellt für die zumindest zeitweise ewigen Kinder nicht die Lösung irdischer Zwistigkeiten dar. Nimmerland funktioniert für sie als Idee und später dann als Erinnerung an eine Idee, als Traumland und gesellschaftlicher Gegenentwurf, und das weiß auch die Gruppe Ja, Panik, wenn sie auf ihrem fünften Album Libertatia als Utopieland, nicht aber als Idealzustand, beschwört: "Du weißt ja wie es ist in Neverland."

Ja, Panik stellen "Libertatia" erstmals live in Österreich beim FM4 Geburtstagsfest am kommenden Samstag vor.

Weitere Österreich-Termine:
21.04.2014 Wels/Alter Schlachthof
22.04.2014 Graz/Bang Bang Club
23.04.2014 Salzburg/ARGEkultur
24.04.2014 Innsbruck/Weekender

Alle weiteren Termine hier.

Ob es diesen anarchistischen Piratenstaat "Libertatia", der angeblich im 17. Jahrhundert in Madagaskar gegründet wurde, wirklich gegeben hat, ist für seine Idee nicht wichtig. Die antikapitalistischen Slogans, das Alles Hin Hin Hin und der Trouble der früheren Ja, Panik sind einem Umdenkprozess in einem Land jenseits von europäischen Zentralbanken und Wirtschaftsliberalismus gewichen. Die Zeichen stehen auf Veränderung, und die findet bekanntermaßen nicht in gedanklichen und auch sehr realen Dystopien statt, sondern im Aufbrechen und Überwinden dieser. "LIBERTATIA ist die Zärtlichkeit im Herbst Europas", heißt der letzte der sechzehn Punkte, die auf der Bandwebsite als Manifest zum Album dazugeliefert werden. Europas Mauern müssen fallen, das hat auch eine andere deutschsprachige Band erkannt, und auch "wenn wir von LIBERTATIA sprechen, sprechen wir von Europa. Alles andere wäre lächerlich." Libertatia ist aber auch "eine neue Politik jenseits der erfundenen Gemeinschaften."

Ja, Panik

Gabriele Summen/Ja, Panik

Auf dem fünften Album nur mehr zu dritt: Andreas Spechtl, Sebastian Janata, Stefan Pabst.

Ein Manifest zu einer Platte, diese altmodisch-romantische Idee, ist natürlich Öl ins Feuer der Ja, Panik-Kritiker, die der Band seit jeher zu große Ernsthaftigkeit unterstellen. Die Ironie muss aber doch nicht immer mit der Keule in der Hand um die Ecke biegen, und wer einen Satz im Manifest als "LIBERTATIA ist der Look of Love wenn die Nacht am tiefsten" formuliert, weiß um die Wirkung seiner Ausdrucksweise sehr wohl Bescheid.

Die Staatsfinanzen werden nicht mehr mit Steinen beworfen, sondern im Song "Dance the ECB" gemäß einem Zitat von Karl Marx, laut dem "man diese versteinerten Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen muss, dass man ihnen ihre eigene Melodie vorsingt", zum Tanzen gebracht. Die neuen Songs versprühen eine entspannte Luftigkeit, man findet Anleihen an Prince und Paul Weller, als sich seine Band The Jam in einer neuen Phase in Style Council und somit mehr in Richtung swingender, elektronischerer Musiken verwandelt hat. Ja, Panik gibt es neuerdings auch, das wurde und wird in Zusammenhang mit "Libertatia" noch oft genannt werden, - früher undenkbar! - mit Saxophon.

Libertatia Albumcover

Ja, Panik/Staatsakt

"Libertatia" von Ja, Panik erscheint am 31.01.2014 bei Staatsakt.

Neben der Grundstimmung ist also auch in der Musik der neuen Ja, Panik-Platte, aufgenommen in ebenso neuer, weil nur mehr Trio-Bandkonstellation, ein positiverer Grundton zu spüren. Die Spuren wurden nicht mehr alle auf einmal, sondern mitunter aus logistischen Gründen nacheinander eingespielt, was "Libertatia" zum produziertesten Album der Gruppe macht.

FM4 Artist of the Week

  • Alle auf einen Blick hier.

Das Unterwegssein, seit jeher wichtiges Thema in der Welt von Ja, Panik, nimmt diesmal eine noch zentralere Rolle ein, ob das lyrische Ich in "Au Revoir" sein eigenes Verschwinden vorbereitet oder nach Antananarivo, die Hauptstadt Madagaskars und somit Brücke nach Libertatia, reist. "Es geht aber immer auch um die Enttäuschung beim tatsächlichen Ankommen", sagt Andreas Spechtl im Interview, und wenn der ewige Slogan ACAB in der gleichnamigen Ballade zu "All cats are beautiful" wird, meint er trotzdem immer noch, dass alle Cops Arschlöcher sind. Libertatia ist, wie gesagt, kein Paradies; dies nicht misszuverstehen, ist essentiell. Die Liberalismuskritik wird immer im Bewusstsein der eigenen weißen, männlichen, europäisch-privilegierten Position heraus geübt, auch wenn die Disco-Referenzen und Zeilen wie "I'm one of the he, she, its between the thunder and blitz. You're one of the in-between ladies and gentlemen" Libertatia zur bisher campy-sten Ja, Panik-Platte machen.

Ja, Panik

Gabriele Summen/Ja, Panik

"All die anderen großen Kinder waren schon lange mehr Anarcho noch als du": Herrscher über Nimmerland-Utopia, arme Dandys, Liebkinder der Feuilletons.

Ein Album wie ein Befreiungsschlag nach dem Monument, das vor zwei Jahren DMD KIU LIDT hieß, als vielleicht einzige Möglichkeit, mit diesem eigenen Erbe umzugehen. Libertatia ist Musik für das letzte aller Feste, die "Party nach der Party nach der Party" und für die Traurigkeit hinter und nach dem Hedonismus: "Post Shakeytime Sadness".

FM4 Modern Talking

Ja, Panik im Gespräch mit Natalie Brunner. Die Sendung wurde im Rahmen der FM4 Homebase am Donnerstag, den 23. Jänner 2014 ausgestrahlt und ist 7 Tage on Demand abrufbar.

FM4 Modern Talking