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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

19. 1. 2014 - 20:14

The daily Blumenau. Weekend Edition, 19-01-14.

Drei Denkfehler. Heute: das Jugendkultur-Paradox.

Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.

Morgen an dieser Stelle: die Denkfehler 2 und 3, die sich im Bereich Social Media und früher-war-alles-besser befinden, um da ein wenig zu teasen...

#medien #bias

Diesmal wurde der Denkfehler in einem ehrenvollen, sich sorgenden Zusammenhang geäußert. Denn natürlich steht es einem journalistischen Produkt, das sich auf Pop- und Jugendkultur fokussiert, gut zu Gesicht, sich immer wieder neu zu erfinden und auch personell zu verjüngen.
Im Tonfall des spöttischen Vorwurfs geäußert (was selten, aber immer wieder vorkommt) offenbart sich der Denkfehler viel deutlicher.

Denn: Davon auszugehen, dass es für Berichterstattung im Bereich Pop/Jugendkultur zwingend nötig wäre, sich im (angenommenen) Alter der Protagonisten zu bewegen, bedeutet eine höchst solitäre Position einzunehmen.

Es gibt nämlich keinen einzigen anderen Bereich, in dem Vergleichbares passiert oder gefordert wird. Und das weit über den Journalismus hinausgehend.

Die Jugendpsychologie oder auch die Jugendgerichtsbarkeit wird ebensowenig von Jugendlichen oder bewusst jüngeren Menschen bestritten wie etwa Pensions-Experten Pensionisten sind.
Politik-Journalismus wird nicht von Politikern, Sport-Journalismus nicht von Sportlern, Kultur-Journalismus im Regelfall nicht von Kulturschaffenden, Wirtschafts-Journalismus nie von Wirtschaftstreibenden bestritten.

In bestimmten Randbereichen zur Unterhaltung sind Ehemalige als Experten tätig - die Zahl der in den Journalismus gewechselten Quereinsteiger ist minimal. Ich kann die ehemaligen Fußballer, die jetzt medial tätig sind, an einer Hand abzählen; einzig im Bereich Literatur/Feuilleton gibt es logische Überschneidungen - das Essay ist ein diesbezüglicher Grenzbereich.

Ansonsten macht sich kein Ressort mit dem zu analysierenden Objekt so gemein, dass es die Berichterstatter nach äußerlichen und angepassten Kriterien selektiert. Im Gegenteil: Sofern man kein rücksichtslos die ethischen Grenzen überschreitender Seitenwechsler ist, gilt Distanz zum Objekt der Berichterstattung als hohes Gut. Klar sollte der Gaming-Experte mit der entsprechenden Kultur vertraut sein, damit er nicht als weltfremder Außenstehender daherkommt - die Zugehörigkeit zur aktiven Szene ist aber keine Grundbedingung whatsoever.

Es ist nicht nötig, Filmemacherin, Musiker, Spieleentwicklerin, Produzent oder politische Aktivistin zu sein, um in den entsprechenden Feldern journalistisch gute Arbeit zu liefern.
Und weder (biologische) Jugend noch (an Äußerlichkeiten geschulte) Jugendlichkeit sind unbedingte Voraussetzungen für Tätigkeit in irgendeinem Bereich, der mit jungen Menschen zu tun hat.
Überspitzt gesagt: Sebastian Kurz etwa wäre zwar im idealen Alter, aber wohl die schlechtestmögliche Wahl als FM4-Moderator.

Noch überspitzter: Der Kinderpsychologe ist nicht nur kein Kind, sondern bis ins hohe Alter Kinderpsychologe, und zwar umso geachteter, je höher sein Erfahrungsschatz und seine Vergleichs-Kapazitäten sind.

Im Fall von Pop- und Jugendkultur ist das ähnlich: einem Fritz Ostermayer, der vier Jahrzehnte an eigenem popkulturellem Erleben auf dem Buckel hat, zugleich immer noch über den direkten Draht in die Szene verfügt und außerdem in seiner Rolle als Dichterlehrer und blendender Erzähler den bestmöglichen Kontakt zur aktuellen jungen Generation hat, kann keiner was erzählen oder vormachen.

Die müssen mit ihrer Neugier, ihrem Hinterfragen und ihrer Neuentdeckung von den Älteren vielleicht bereits völlig falsch Archiviertem/Festgelegtem den entsprechenden Druck machen, der zum notwendigen Dialog aus bereits Existierendem und den neu darauf Aufbauendem führt.

Denn erst diese Mischung macht Jugend/Popkultur aus: die entwickelt sich ja immer aus Bestehendem.

Darum geht es: um die Balance aus Expertise und Ungestümtheit. Wer die findet, wird die aktuellen Phänomene so verfolgen, verstehen, einordnen und vermitteln können, wie es ihnen gebührt.

Wer sich nur auf den (teilweise geschichtslosen) Blick der jungen Neuentdecker verlässt, ist ebenso verlassen wie der, der sich über das Neue ausschließlich von den (teilweise arrogant-zynischen) alten Experten-Säcken berichten lässt.

Mir ist auch klar woher der Denkfehler, woher die Blödmann-Sprüche kommen, die Jugendkultur automatisiert mit ausschließlich jungen Journalisten verknüpft sehen. Zumindest in Österreich (und ehrlich gesagt: von anderswo kenne ich diesen Denkfehler gar nicht; Stichwort: John Peel...).

Es stammt vor allem von jener Generation von Medienmachern, die Popkultur als lächerliche Zeiterscheinung oder als dummen Kinder-Trash sehen (oder gesehen haben) und den Jugendkultur/Popredakteur bestenfalls als Versorgungs-Posten für ihren eigenen Nachwuchs im Auge hatten. Und aus einer Generation von Nicht-Medienmachern, die in diesem Bereich (einen über den sie nichts wissen) ihren privaten Nachwuchs als Schein-Experten für Nachfragen daheimsitzen haben und deshalb davon ausgehen, dass das a) eh jeder kann und vor allem b) jeder junge Mensch kann.

All diese Fehlzündungen führen dazu, dass der Pop/Jugendkultur-Bereich der einzige innerhalb der Medien-Branche ist, bei dem dumpfbackenmäßig immer wieder eine Alters-Selektion eingefordert wird. Die aufgrund ihrer einfachen Botschaft und ihrer scheinbaren Logik dann von anderen Nicht-Nachdenkern gern nachgeplappert wird.

Immerhin hat dieser Denkfehler einen Vorteil: Er trennt die Spreu der deutlich zu kurz Greifenden, deren Rat oder Expertise man auch in anderen Fällen nicht braucht, vom Weizen jener, die zu diffenzierten Gedanken fähig sind. Eine höchst wertvolle Arbeitsgrundlage.