Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Thursday Edition, 16-01-14."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

16. 1. 2014 - 18:20

The daily Blumenau. Thursday Edition, 16-01-14.

Was alte Stimmen verraten; und warum man sich vor der mächtigen Mobilfunkindustrie gerne duckt.

Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.

Die archäologische Stimm-Ausgrabung seiner selbst

#musik #stimme #medien

Vergangenes Wochenende habe ich Unterlagen aus einem alten Koffer gesichtet: Briefe, Sendungsnotizen, Besucherpässe, Fotos und anderen Krimskrams. Ich neige nicht zur nachweinenden Nostalgie, mich bringt der Anblick der Vergangenheit eher zum Lachen. Und manches, gar nicht so weniges, hält dem test of time auch erstaunlich faltenlos statt.

So konnte ich es nicht als Zufall abtun, dass ich über einen indirekten Hinweis, der auf dieser Auffindung fußt auf einen winzig kleinen Youtube-Kanal gestoßen wurde, der weiteres Alt-Material bereithielt: patina-bezogene Sendungen aus der zweiten Hälfte der 80er, flüchtig versendete Ätherwellen von vor über 25 Jahren. festgehalten durch antike Aufnahmetechniken, und im völlig artfremden optischen Medium abgespeichert.

Dort, im Revier des eichkatzerlvomgrund finden sich 29 Mitschnitte von Die MusicBox ORF OE3, dem hardlinigen musikalischen Befehlsausgeber der 70er, 80er und auch noch 90er Jahre, der lange Zeit lang einzigen Medien-Quelle für neue und gewagte Musik, der ebenso einzigen Diskurs-Plattform zur populären Kultur, der legendären Radiosendung. Die MusicBox ähnelte in ihrer Herangehensweise zwar eher der Prawda als der Village Voice - diese Strenge war aber angesichts der umgebenden Wüstenlandschaft wohl nötig.
Und ja, ich war ab 1983 Teil dieser Bande.

Die 29 Mitschnitte umfassen Material aus den Jahren 85 bis 88, ein Nick Cave-Mitschnitt wurde (wohl Rechte-Gründe) bereits entfernt, und konzentriert sich auf die Hohe-Zeit des lauten weißen Underground-Rock-Widerstands dieser Tage. Bands wie The Jesus And Mary Chain, Hüsker Dü, Crime & the City Solution oder die Meat Puppets, der Gun Club oder Henry Rollins, aber auch heute als Giganten akzeptierte damalige Außenseiter wie The Smiths oder The Cure waren die musikalischen Speerspitzen einer widerständigen Grundhaltung, die Repräsentanten von Aufmüpfigkeit, eine sichere Garantie für völliges Unverständnis einer Mehrheitsgesellschaft, die derlei als völlig entarteten Trash ansehen musste.

Heute, im Anything Goes-Modus, ist das ja nicht mehr vorstellbar: aber im letzten Jahrtausend war man als jemand, der Abseitiges, jenseits der industriellen Pfade Gefertigtes als kulturell wertvolles Gut mit gesellschaftsveränderndem Potential präsentierte, als aussätzig, als hirnverbrannter Depp, der sich damit jede mediale Karriere-Chance verbaut hatte.

Die MusicBox stellte nun jeden Werktag eine Stunde lang ein kulturelles Grundnahrungsmittel für eine vergleichsweise kleine Gemeinde bereit, aus der sich aber praktisch alle Kulturschaffenden der nächsten Generation entwickelten.

Reinzuhören mit welchem teilweise unverschämten Wahrhaftigkeits-Anspruch die Kollegen Geier, Ostermayer, Gröbchen, Mießgang oder Duller (andere hab ich beim erstmaligen Durchhören nicht entdeckt) dieses Unterfangen angingen, lässt mich über die nachträglich natürlich von der Zeit und den Produktionsbedingungen überholten Amateurhaftigkeiten hinweghören.

Und dann sind da die Stimmen.
Teilweise klingen sie recht heutig, teilweise haben sie in diesen 25 Jahre Lichtjahre an Erfahrungsaufnahme zurückgelegt. Und dann ist da vor allem der Hör-Blick auf die eigene Stimme: ja, ich kenne und erkenne mich, aber ich kann wenn ich die Tonlage, den Druck, die Verve des Martin Blumenau von 1987 mit denen des heutigen vergleiche (und weil ich mir gerade wegen einer Beschwerde einen Mitschnitt anhören musste, bin ich da auf dem absoluten Letztstand) die Zeit wie in Jahresringen fließen und vergehen sehen.

Ich höre die Brüche, die teilweise stärker geworden sind, sich teilweise aber auch verflüchtigt haben, ich höre das mittlerweile recht gesicherte Wissen um damals nur Geahntes, ich höre die damals tief drin versteckte Unsicherheit der Anmaßung, die sich wohl in Sicherheit gewandelt hat, aber immer noch mit ihrer Vergänglichkeit flirtet. Es ist als ob ich einer archäologischen Ausgrabung meiner selbst (und meiner engsten Arbeitsumgebung) beiwohne und mit Schaufel und Pinsel Artefakte und Knochen freilege, aus deren Beschaffenheit sich die diversesten Rückschlüsse ziehen lassen. Es ist, auf die eine oder andere Art, ein Gänsehautgefühl.

Die alten Aufnahmen zeigen auch eine Facette dieser längst versunkenen Welt: dass man den eigenen Text einer professionellen Stimme übergibt, die ihn aus der egogetriebenen Subjektivität in eine scheinobjektive Größe hebt. Franz Katzinger, der die allermeisten Sendungen der Box-Reihe "Die komplette LP" sprach, war der Meister dieses Fachs.
Diese Texte erfahren dadurch eine Entrückung, wie sie heute - wo wir das Autorenprinzip so gewohnt sind, dass alles andere komplett entpersonalisiert daherkommt - gar nicht mehr rezipierbar ist.
Und das nur durch die Kraft/Macht der Stimme.

Am Ende der Sendung zum ersten Album der Mary Chain, Psychocandy , sagt Katzinger die beiden Gestalter (Werner Geier und mich) textgetreu als Reid-Brüder ab, und bombt mich damit zurück in einen Erinnerungsbogen der emotionalen Art.

Dieses Wochenende kommt übrigens der nächste alte Koffer dran. Mal sehen, was ich dort finde.

Troubles im Mobiltelefoniebereich werden nicht kommuniziert

#medien #machtpolitik #telekommunikation

Es ist mehr als üblich, dass unsere Medien, und nicht nur die boulevardesken, sondern auch die selbsternannt qualitätsvollen brav über diversen Inszenierungs-Blödsinn reportierten, anstatt das wirklich Bedeutsame zu illustrieren. Kollege Robert Zikmund hatte dazu gestern ein Lied zu singen: in diesem prototypischen Beispiel ist der bedeutsame Fakt nur als gecopypastete und schwach erläuterte APA-Meldung angekommen. Ist ja nur ein EU-Thema, sowas will eh keiner lesen.

Diese Vorgangsweise ist Medien-Standard, gründet sich auf einer falschen Lesart der journalistischen Verantwortung, einer journalistischen Fehlentscheidung. Die erfolgt nicht absichtlich oder böswillig, sondern aus Dummheit.

Es kommt aber auch vor, dass ein durchaus interessant-berichtenswertes Thema die privaten Gespräche aller oder vieler beherrscht - und medial so gut wie gar nicht vorkommt.
Das war rund um den Jahreswechsel der Fall.
Egal mit wem man da ins Gespräch kam: Überall fand sich Gejammer über unerklärliche Schwierigkeiten mit einem bestimmten Handy-Anbieter, die nicht nur das Übliche (kein Netz) betrafen, sondern die volle Bandbreite umfassten: unterbrochene Gespräche, Ausfall sämtlicher Funktionen.

Ende letzten Jahres wurde nämlich der Großteil der Umstellungsarbeit erledigt, den ein großer Merger im Bereich der Mobil-Telefonie verursacht hatte, der bereits Anfang 2013 über die Bühne gegangen war. Hutchinson (Drei) hatte sich Orange einverleibt und geplant die Umstellung in Etappen zu bewältigen. Geplanter Endpunkt: Oktober.
Im Herbst gab es leichte Probleme, aber (zurecht) kein großes Aufsehen.

Als dann im November, also deutlich nach Plan, immer noch keine Besserung in Sicht war, begannen die genervten Kunden sich via Social Media zu beschweren, was immerhin zu Beschwichtigungs-Berichten führte, in denen Besserung gelobt wurde.
Die nicht passierte. Im Gegenteil: vor und zu Weihnachten erreichten die Aussetzer und Umfaller aller Drei/Orange-Handy-Besitzer unselige Höhepunkte.

Um das klarzustellen: Es geht da nicht um den Ausfall von Extras, sondern um Basics, sondern um plötzliche Unerreichbarkeit, unvorhersehbare Unterbrechung von Anrufen, allesamt Dinge, die in Notsituationen zu Katastrophen führen können, und in den USA zu einer Klageflut sondergleichen geführt hätte.

Wie gesagt: Im Privatbereich war dieses Thema mehr als präsent. Medial praktisch gar nicht.
Nur die Konsumenten-Redaktionen, wie hier Help oder Konsument berichteten, die einschlägigen Foren kochten über.

Medien-Coverage?
So gut wie keine.
Dass ist insofern bemerkenswert, weil bei einem vergleichbaren Fall, den 2013er Aussetzern bei Umstellungen der Bank Austria die Berichterstattung eine massive und umfassende war.

Nun ist es natürlich schwer Unternehmen zu kritisieren, die einen mit fetten Inseraten versorgen und die Zeitung jedes Monat mit teuren Doppelseiten einpacken.
Möglich sollte es, sofern man über Rückgrat verfügt, die Probleme existent sind und eine (neutrale) Berichterstattung ihre Berechtigung hat.

Nur: soweit geht die Qualität der Qualitäts-Presse dann doch nicht.
Vor der finanziellen Macht der Mobilfunk-Industrie duckt man sich lieber weg - journalistisches Ethos hin oder her.