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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

16. 1. 2014 - 10:00

Große Skepsis gegenüber TTIP

Österreichische EU-Parlamentarier von EVP, SPE und Grünen äußern starke Vorbehalte gegenüber dem geplanten Freihandelsabkommen mit den USA.

Am Dienstag fand in Brüssel ein öffentliches Hearing zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP mit den USA statt. Der von EU-Chefverhandler Damien Levie dort zur Schau getragene Optimismus wird von österreichischen Abgeordneten nicht geteilt. Sowohl Elisabeth Köstinger (EVP) wie auch Jörg Leichtfried (SPE) und Eva Lichtenberger (Grüne) zeigten sich gegenüber ORF.at danach durchwegs skeptisch.

Da das Vertragswerk für Österreich zahlreiche Unsicherheiten beinhalte, müsse man "ein genaues Auge darauf werfen" sagte Köstinger und warnte vor unscharfen Formulierungen im Vertragstext. Die Verhandler der EU-Kommission dürften hier keinesfalls Fragen offen lassen, wenn es etwa um Landwirtschaft oder Gesundheit gehe.

An erster Stelle der Unsicherheiten reihte Köstinger jedoch den Komplex "NSA und Datenschutz". Die überbordende Spionage sei besonders auch für Österreichs Unternehmen eine Gefahr. Für den Abgeordneten Jörg Leichtfried ist das Rahmendatenschutzabkommen mit den USA überhaupt Bedingung, dass dieses Abkommen unterzeichnet werden könne. Ein solches Rahmenabkommen war von US-Justizminister Eric Holder im November zugesagt worden, verhandelt wurde bis jetzt nicht.

Österreichs Firmen als Ziele

Zum Verdacht der Wirtschaftsspionage hatten die USA gegenüber der EU-Delegation auch offen zugegeben, dass die Ausspähung der "makroökonomischen Situation bestimmter Staaten" wie auch "disruptive Technologien" generell zu den Aufgaben der NSA gehörten.

Aus einem anfänglichen Verdacht wurde mittlerweile Gewissheit, dass die USA ihr Überwachungssystem auch zur Erlangung wirtschaftlicher Vorteile nutzen. Strategische Spionage im Industriebereich, besonders was neue Technologien ("disruptive technologies") betrifft, gehören offiziell zur Mission der NSA. Darunter fallen alle Technologien, die von der NSA als "disruptiv" eingestuft werden. Damit ist von Spezialstählen bis zu chemischen Prozessen, Härtungs- und Beschichtungsverfahren jeder der vielen innovativen kleinen und mittleren Betriebe in Österreich potentielles Ziel.

Die grüne Abgeordnete Eva Lichtenberger findet den Enthusiasmus der Kommission nicht nur aus diesen Gründen deplaziert, zumal man ja nicht einmal wisse, welche Sektoren von TTIP überhaupt erfasst würden. Vom Verhandlungsteam gebe es nur sehr allgemeine Auskünfte: "Hier droht sich ACTA zu wiederholen. Wir fordern eine Offenlegung des Verhandlungstexts."

Eine US-amerikanische und eine EU-Flagge, angeschnitten, nebeneinander.

CC BY-SA 2.0 - openDemocracy - http://www.flickr.com/photos/opendemocracy

Gentechnik und Lebenmittelsicherheit

EU-Kommissarin Viviane Reding hatte zu Verhandlungsbeginn kategorisch gefordert, Datenschutz aus den Verhandlungen auszunehmen, da Menschenrechte nicht zur Disposition stehen könnten.
Für Elisabeth Köstenberger sind Verhandlungen über gentechnisch manipulierte Lebensmittel absolut tabu, ebenso wie für die anderen beiden Fraktionen. Die bestehenden Zulassungsregeln zur Lebensmittelsicherheit und im Gesundheitswesen dürften nicht angetastet werden, hieß es unisono, das müsse aus dem Vertragstext klar hervorgehen.

Die Gespräche über das Freihandelsabkommen (TTIP) konnten im Juli nur deshalb starten, weil die USA zugesagt hatten, die EU-Delegationen diesmal nicht auszuspionieren.

Ebenso sind sich die drei Fraktionen in der Ablehnung des im TTIP bereits als fix geltenden Regeln zum Investorschutz einig. Damit werden Großkonzerne de facto mit Staaten gleichgestellt und können etwa Schadensersatz für entgangene Gewinne verlangen. Geklagt wird dabei nicht einmal vor einem ordentlichen Gericht, sondern vor der neuen TTIP-Schlichtungsstelle, das Verfahren ist nicht öffentlich. Genau diese Maßnahme war auch im "Anti-Piraterieabkommen" ACTA vorgesehen gewesen und einer der Hauptgründe, warum ACTA letztlich gescheitert war.

Konzerne sprechen bei Gesetzen mit

Ausnahmeregeln für Großkonzerne sind für Leichtfried überhaupt nicht angebracht, da in den entwickelten Judikaturen der USA wie auch Europas genug Rechtsinstrumente für Firmen vorhanden seien, um sich zu wehren. Nationale Umwelt- oder Sozialgesetze würden ausgehebelt, wenn finanzstarke Konzerne durch diese erweiterten Klagerechte indirekt schon bei der Gesetzgebung mitwirkten, sagte Leichtfried und verwies auf die Klage des Konzerns Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland.

Wie das "Anti-Piraterieabkommen" ACTA fällt auch TTIP ins Ressort von US-Handelskommissar Karel de Gucht. Das ist bei weitem nicht die einzige Gemeinsamkeit.

Wie RWE und Eon hatte auch dieser Energiekonzern wegen Verdienstentgangs geklagt, weil die deutsche Regierung im Zuge des Atomausstiegs auch die Schließung zweier Uraltmeiler von Vattenfall angeordnet hatte. Der schwedische Energiekonzern hatte jedoch nicht nur vor deutschen Gerichten geklagt, sondern die bereits bestehende Schlichtungsstelle ICSID der Weltbank angerufen. Der Streitwert beträgt 3,7 Milliarden Euro, das Verfahren ist nicht öffentlich. "Dem wird die sozialdemokratische Fraktion nicht zustimmen", sagte Jörg Leichtfried zu ORF.at, auch Köstinger ѕieht den Investorschutz als eines der Hauptprobleme.

Fragliche Zahlen

Was die von den TTIP-Verhandlern laufend wiederholten Zusatzeinnahmen für Europa von jährlich mehr als 100 Milliarden betreffe, so wage sie nicht zu beurteilen, ob diese Zahlen richtig seien, so Köstinger weiter, zumal sie ja aus Statistiken hochgerechnet seien. Eva Lichtenberger schätzt diese Summe als viel zu optimistisch ein.
Die Europäer müssten eine Senkung der Lebensmittel- und Gesundheitsnormen befürchten, weil niedrigere Standards wie in den USA einfach billiger seien.

Im Juli 2012 hatte sich das das europäische Parlaments mit 478 gegen 39 Stimmen bei 165 Enthaltungen klar gegen ACTA ausgesprochen. Bis auf die EVP-Abgeordneten, die sich enthielten, hatten die österreichischen EU-Abgeordeten geschlossen gegen ACTA gestimmt.

Die USA wiederum müssten befürchten, dass ihre Autoindustrie unter die Räder komme, sagte Lichtenberger abschließend: "Die europäischen Autokonzerne sind gegenüber Wettbewerb nämlich weit besser aufgestellt, das beginnt schon bei der Technik. Die amerikanischen Autokonzerne sind deshalb keine Fans von TTIP." Die USA müssten im Zuge des TTIP nämlich auch ihren bis jetzt hermetisch abgeschirmten Automarkt öffnen.

"Fast Track", Fracking

Aus den vorliegenden Eingaben in den USA zu TTIP und dem Vertragszwilling TPP für den Pazifikraum finden sich auffällig viele Lobbys aus dem Agrarsektor, aber auch Energiekonzerne.

Die USA wollen den bisher regulierten Energiemarkt für Exporte öffnen, seit sie über Fracking-Erdgas verfügen, das um die Hälfte billiger ist als Gas aus der Nordsee.

Zudem ist bis jetzt überhaupt nicht geklärt, ob es für TTIP im US-Kongress ein "Fast Track"-Verfahren gibt. Kommt dieses Schnellsiederverfahren nicht zur Anwendung, steht alleine in den USA ein sehr langwieriger Prozess mit ungewissem Ausgang bevor. Die Abgeordneten von Repräsentantenhaus und Senat können - anders als die Mitglieder des europäischen Parlaments - den aktuellen Vertragstext laufend einsehen. Doch auch dabei gelten erhöhte Geheimhaltungsregeln, TTIP-Dokumente dürfen von Abgeordneten nur in abgeschottenen Räumen unter Aufsicht eingesehen werden.

Ausblick

Was die TTIP-Werbeveranstaltung mit "Vertretern der Zivilgesellschaft am Dienstag angeht, so waren von knapp 200 registrierten Teilnehmern 120 ausgewiesene Lobbyisten, die meisten aus dem Industrie- aber auch dem Agrarbereich. 40 waren unabhängigen Organisationen wie Umweltverbänden und Konsumentenschützern zuzurechnen, dazu kamen acht ausgewiesene Gewerkschafter und noch weniger Vertreter von Mittelstandsbetrieben. Die nächste TTIP-Verhandlungsrunde ist für Anfang Februar angesetzt.