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Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

15. 1. 2014 - 14:15

The daily Blumenau. Wednesday Edition, 15-01-14.

Die Sache mit dem Mainstream, der Diskrepanz der Aufführungsorte und der medialen Zwangsstörung.

Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.

#musik #popkultur #medien

Zuletzt war es beim neuen Album von Beyoncé augenfällig. Nicht die Tatsache, dass dessen Veröffentlichung bewusst so angelegt wurde, damit es sich nicht mit den Jahresrückblicken ausgehen würde, die vom Großteil der Medien in der Manier von ihre Sexualität gerade erst frisch entdeckenden Burschen überaus vorschnell abgeschossen wurden.

Augenfällig wurde wieder einmal die Diskrepanz der Aufführungs-Orte.
Beyoncé-Musik gibt's nämlich (in Österreich stärker als anderswo) im dieechtmeistemusikjetzt-abspielenden Mainstream-Radio zu hören - samt ein bissl Klatsch; die dort fehlende inhaltliche Auseinandersetzung (egal ob es um Produktions-Technik, Ästhetik, Bezugnahme oder Einflussnahme geht) findet sich wiederum im Feuilleton.
Der jeweils eine Ort meidet das Tun des jeweils anderen wie der Teufel das Weihwasser: brrrr, geht gar nicht.

Komisch, oder?

Selbst im gewohnt grenzensprengenden FM4-Radio taucht die Künstlerin (die, wie ich weiß, von mehr als nur einer Handvoll Musikauskenner und Redakteuren hier sehrsehrsehr verehrt wird) nur vereinzelt auf. On Air sowieso nicht - die sofortige Unterscheidbarkeit zum Mainstream-Radio ist ein zu hohes Gut, um es dafür zu opfern.

Oder: Lady Gaga, künstlerisch und aktionistisch seit Jahren ein Top-Thema: musikalisch kommt sie ausschließlich bei den peinlichen heimlichen Lieblingsliedern bei der FM4-Weihnachtsfeier vor.
Ich darf zudem an alte Lana del Rey- oder Madonna-Debatten erinnern: diese Diskrepanz ist ein steter Quell der Reibung und des Genervtseins.

Schuld sind alle.
Das Publikum, dessen Segregations-Terror schon bei den Yeah Yeah Yeahs beginnt. Die Grenzenzieher, die Mainstream und Underground hierzulande noch schärfer trennen als etwa in Deutschland oder England.
Redaktionen, die sich zu gut sind die journalistisch interessanten Aspekte der Superstars von Justin Timberlake abwärts ohne Distinktions-Genuckel zu bearbeiten. Und Redaktionen, denen Popmusik sowieso nur als Lulu-Pause zwischen Verkaufs-Bemühungen gilt.

Andererseits ist es natürlich auch gut, wenn das eine das andere nicht übermäßig vereinnahmt. Würde FM4, würden seine Gestalter so können wie es/sie wollten, gänzlich ohne Rücksichtnahmen auf andere Sender und auch ohne Empathie für die mit Erwartungshaltungen gespickte Hörerschaft, dann wäre der musikalische Überblick zwar runder, r'n'biger und feliner, aber auch deutlich schneller in der Beliebigkeit angekommen und vor allem ein sofortiges Opfer der Bequemlichkeit, sich nicht mehr die wahren Perlen abseits der laufbandartigen Fertigung suchen zu müssen, sondern am Wühltisch der Industrie zu verblöden.

Dort, wo eine Traditionslinie des gutklassigen lokal basierten Musikschaffens existiert (im angloamerikanischen Raum), mag sich das eher ausgehen als etwa im deutschsprachigen Bereich - dort nimmt eine solche Grenzauflösung dann den Weg von Eins Live und endet in einem kaum von altem Mainstream zu unterscheidendem neuen Mainstream.

Aber ich wollte eigentlich nicht auf eine FM4-Debatte hinaus - die Gratwanderung, die wir betreiben, ist ein komplexer, steter Debatte unterzogener Prozess ganz ohne Mitbestimmung von außen - sondern auf die Undurchlässigkeit der Diskrepanz-Welten.

Mögen die Stammtische den Wert der Diskussion über popkulturelle Massenphänomene per se als gegen Null gehend ansehen: durch den Rückgang eines interessensübergreifenden gesellschaftspolitischen Diskurs ist das die mittlerweile einzige Plattform, zu der praktisch alle Schichten und Gruppen Zugang haben und ihn auch freiwillig nutzen.
Der Einfluss der großen Popstars auf unser Denken ist dem der politischen Bildungswerkstätten, der Schulen oder zuständigen Medien x-fach überlegen.

Deshalb kann auch die Rezeption des Mainstreams nicht die alleinige Angelegenheit der Mainstream-Medien sein: dort wird alles ausschließlich auf Verwert-/Ausbeutbarkeit heruntergestuft, egal ob es sich um den französischen Präsidenten oder eben Beyoncé handelt; dort wird das Offensichtliche überbetont - wie die Zwangsstörung der armen Menschen, die ihr sämtliches Tun gleichzeitig mitkommentieren müssen (so jetzt geh ich in die Küche und mach mir einen Kaffee; so jetzt bin ich schon da und such mein Häferl...) - genauso bedienen die Mainstream-Medien ihr Publikum.

Da ist Reflexion, dieses Grundnahrungsmittel des Menschen, dann schwierig herzustellen.

Grundlegende Gedankengänge, gesellschaftliche Neuausrichtungen und das Bewusstmachen von Veränderungspotential sind nämlich nicht mit der ausschließlichen Verwendung von Hochgeistigem, Hochkulturellem oder Akademischem gekoppelt, sondern können in jedem beliebigen Beispiel, anhand jeder Handlung und Äußerung gedeihen - auch ganz ohne nervig seine Lässigkeit ausstellendes Geprechtel.

Will sagen: die Bedeutung von Beyoncé in einem an sich kommerzpopfeindlichen Umfeld darzustellen, kann deutlich höhere Erkenntnisgewinn-Erträge erzielen als die gewohnte Abfeierung des Kanonisierten. Schließlich befinden sich die erwähnten Diskrepanzen ja nur in den/unseren Köpfen.