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Robert Glashüttner

Videospielkultur, digital geprägte Lebenswelten.

14. 1. 2014 - 17:53

Brauchen Spiele Berechtigung?

Der "Spiegel"-Leitartikel vom Jänner berichtet, dass Videospiele kulturell und pädagogisch wertvoll seien, weil sie sich gut verkaufen und mehr leisten können als bloß zu unterhalten. Das Brettl vorm Kopf will nicht verschwinden.

In den letzten Monaten hat man immer wieder davon gelesen, dass Zeitungs- und Zeitschriftenverlage ihre Print- und Onlineredaktionen künftig intensiver zusammenarbeiten lassen wollen. So wirklich glaubwürdig wirkt dieses Zusammenwachsen in der Praxis aber noch nicht, vor allem, was junge Ressorts wie Neue Medien betrifft. Etwas übergespitzt formuliert darf die "Internetgeneration" (dieser zynische Wolfgang-Schüssel-Terminus ist nun bald 14 Jahre alt) ihrem Enthusiasmus für Netzkultur und technische Errungenschaften online frönen.

In die "seriöseren" Printausgaben hingegen schaffen es innerhalb dieser Themenbereiche meist nur ausgewählte Texte, die nicht selten einen über die Maßen ernsthaften, oftmals säuerlichen Beigeschmack haben, wenn es darum geht, das Für und Wider von neuen Technologien und Medien darzulegen sowie die dazugehörige Wirkungsforschung und den kulturellen Einfluss entsprechend facettenreich darzustellen.

Cover des SPIEGEL, Ausgabe 3/2014. Eine junge Frau, die begeistert auf ihr Smartphone schaut und darauf tippt. Darunter steht: "Spielen machen klug. Warum Computerspiele besser sind als ihr Ruf."

Robert Glashüttner/Radio FM4

Aktueller Anlass für diese Unterscheidung ist eine öffentliche Darstellung von Computerspielen, die sich in Publikumsmedien nun schon seit fast 20 Jahren im Kreise dreht. Ein "Spiegel"-Coverartikel vom Jänner lässt uns auf Seite 1 in GTA-Blockbuchstaben lesen: "Spielen macht klug." Dazu tappt eine junge Frau mit beseeltem Blick auf ihr iPhone.

Computerspiele "bedenkenlos"

"Warum Computerspiele besser sind als ihr Ruf" lautet der Untertitel, und im Editorial sehen wir zwei der drei zuständigen Autoren, die sich in Denkerpose (geneigter Kopf, wissendes Dreinschauen) mit Gamepad vor "Beyond: Two Souls" vom Fernseher weg hin zur Kamera drehen. Computerspiele, steht daneben, würden "immer populärer" werden, und man fragt sich, ob sie "mehr bieten können als Unterhaltung". Es sind zwei Journalisten des Mutterobjekts auf dem Foto, also solche aus der Printredaktion. Immerhin hat auch der renommierte Games- und Netzkultur-Autor Christian Stöcker (Leiter der "Spiegel-Netzwelt") beim Artikel mitgemischt.

Foto des SPIEGEL, Ausgabe 3/2014. Ausschnitt des Artikels "Du sollst spielen!".

Robert Glashüttner/Radio FM4

Grundsätzlich liegt dem Artikel eine gut gemeinte Einstellung zugrunde: Computerspiele, heißt es da, hätten positive Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche und dürften nun auch von Erwachsenen bedenkenlos - sprich: ohne gesellschaftliche Ächtung - gespielt werden. Denn immerhin würden die sich immer öfter an Filme annähern.

Statistiken über Statistiken

Wie so oft in Artikeln zu digitaler Spielkultur in Publikumsmedien greift man zur Beweisführung vor allem auf jede Menge Zahlen und Statistiken zurück, die angeben, wer wann wo in welchem Zustand und mit welchem Bildungsgrad welche Spiele spielt. Dazu kommt das weitgehend oberflächliche Runterrattern diverser Studien, die von Essen bis Ohio nahelegen würden, dass Computerspiele und Computerspielen sowohl die Wirtschaft (Gamification) als auch den Selbstheilungsprozess kranker Kinder (Serious Games, bei denen man etwa virtuelle Krebszellen abschießt) ankurbeln könne.

Über dem Lauftext sind Screenshots diverser populärer Spieleserien wie "Super Mario" und "FIFA" platziert, deren Bildunterschriften mit etwas gestelzten Formulierungen versehen sind, die offenkundig ein Laienpublikum, also Menschen, die nicht oder nie spielen, ansprechen sollen. Auffallend ist hier, dass Spiele dabei nie als ganzheitliches Kulturprodukt begriffen werden. Ihnen wird in den Beschreibungen nicht zugestanden, mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile zu sein.

Foto des SPIEGEL, Ausgabe 3/2014. Ausschnitt des Artikels "Du sollst spielen!".

Robert Glashüttner/Radio FM4

So wird etwa "Need for Speed" hölzern als "Verlangen nach Geschwindigkeit" übersetzt, in "Assassin's Creed" werden "Rätsel gelöst, Gegenstände gefunden und spezielle Waffen eingesetzt". Das ist alles nicht falsch, dennoch ist es befremdlich, wie lustfeindlich hier Unterhaltungsprodukte beschrieben werden. Auch an dieser Stelle fehlt nicht der Hinweis auf Quantität: Verkaufszahlen, Mitarbeiter, Budgets. Interessanterweise weist der Artikel mehrfach darauf hin, dass in den USA Computerspiele auch in den Bereichen Forschung und Medizin begrüßt würden, wohingegen Deutschland dabei verkrampfter agieren würde und deshalb auch weniger Chance auf entsprechende Förderungen bestünde.

Keine problematischen Aspekte?

Gleichzeitig traut sich der Artikel selbst nicht, seine Stützräder abzulegen, die ideologisch darin fußen, dass Computerspiele doch nur wertvoll sein können, wenn ihnen ein gesellschaftlicher Mehrwert zufällt. Das digitale Spiel, das wohl inspirierendste aller neuen Medien, das sein Potenzial in allen Bereiche des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, kulturellen Lebens erst in den kommenden Jahren und Jahrzehnten ausspielen wird, wird hier nur deshalb als etwas Wertvolles erkannt, weil es über die bloße unproduktive Unterhaltung hinaus auch "sinnvolle" Zwecke erfüllen kann.

Ebenfalls bemerkenswert ist, dass problematische Aspekte von Spielkultur und Spieleinhalten auf den gesamten acht Seiten fast komplett ausgespart werden. Themen wie Sucht werden nur knapp gestreift, die deutsche "Killerspiele"-Debatte von vor zehn Jahren wird mit keinem Wort erwähnt, Wirkungsforschung in Bezug auf Gewalt und die mögliche Senkung von Hemmschwellen in ihrer Gänze als haltlos erklärt. Vermutlich will man sich mittels dieser Strategie auf die Fahnen heften können, dass man im Vergleich zur Konkurrenz eine rein konstruktive Erörterung abgeliefert hätte.

Foto des SPIEGEL, Ausgabe 3/2014. Ausschnitt des Artikels "Du sollst spielen!".

Robert Glashüttner/Radio FM4

Bei "Super Mario" machen "präzise Sprünge den wesentlichen Teil der Handlung" aus

Kurzsichtige Auffassung zur kulturellen Vielfalt

Unabhängig von einem affirmativen Beschwichtigen und einer recht kurzsichtigen Auffassung von Entertainment, Jugendkultur und Medienrealität, die (unbewusst?) in dieselbe rückwärtsgewandte Kerbe wie "Kinder brauchen gutes Holzspielzeug" oder "Wir zeichnen hier aber keine Micky Mäuse" schlägt, ist es allgemein ziemlich verblüffend, dass über 40 Jahre nach der Werdung und des Aufstieges von Computer- und Videospielen und der damit entstandenen Vielfalt ein ganzes Medium ein weiteres Mal als eine singuläre Sache beschrieben wird, von der man glaubt, sie in einem einzigen Artikel zusammenfassen zu können. Als wäre man hier mit einem kulturellen Phänomen konfrontiert, von dem die Menschen gerade das erste Mal hören.

Lustigerweise wähnt sich der Artikel auch in dieser Frage als emanzipiert, wenn etwa auf die Lesesucht des 18. Jahrhunderts Bezug genommen wird. Dabei hat der "Spiegel" in Sachen Weitsicht und Unverkrampftheit, zumindest was digitale Spiele betrifft, selbst noch einen längeren Weg vor sich. Ein paar ausführliche, sorgfältig ausgewählte Rezensionen aktueller Spiele mit einem weniger hochtrabenden Einleitungstext hätten hier sowohl bei Fachkritikern als auch bei interessierten Laien wesentlich mehr Eindruck schaffen können.