Erstellt am: 13. 1. 2014 - 19:53 Uhr
The daily Blumenau. Monday Edition, 13-01-14.
Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.
#bewegtbild #medien #serien #film #web1.0
Ich lese seit Jahren so gut wie keine Forums-Einträge mehr; die anonymen, nur durch Nicknames getarnten. Im Gegensatz zu einigen, die die anonyme Äußerung fast schon als das Backbone der demokratischen Äußerung betrachten, kann ich keinen Wert in Stellungnahmen erkennen, deren Urheber sich hinter eine Hecke verstecken. In Österreich ist derlei nur in Ausnahmefällen (Stichwort: Leaking) nötig - die schiere Masse an Anonym-Postern folgt einer ganz anderen Tradition: der der Vernaderer, der Blockwarte, der anonymen Anzünder.
Heute habe ich für diesen konkreten Fall eine Ausnahme gemacht: ich habe, angesichts der nicht massentauglichen Bedeutung des Themas mit spezifischen fachgerechten Posts gerechnet; und nur zum Teil Recht behalten. Und weil der Teufel nicht schläft, habe ich dann bei der nächsten angeklickten Geschichte, der zu den gestern Nacht verliehenen Golden Globes, ganz wie von selbst die ersten paar Postings überflogen - und sofort wieder gewusst, warum ich es jetzt wieder lassen werde.
Die Globes sind eine Veranstaltung, in der zwar schicke Roben und lüstern glänzende Suits ausgestellt werden, die aber sehr casual, sehr nebenbei ein Gratis-Trinkparty der Schauspiel-Szene dazu nützt, eine Leistungsschau jener Film- und TV-Produktionen, die den Spagat zwischen Publikum und Anspruch so gut wie möglich schaffen, anzubieten.
Der Umgangston auf der Bühne entspricht dem der Berichterstattung darüber: er ist insiderisch, wie bei einer Firmen-Party, voller Anspielungen und Codes, die man nur versteht, wenn man sich auskennt.
Das ist durchaus anstrengend und zelebriert ein "Wir-sind-was-Besseres"-Gefühl, durch das sich das liberale Hollywood und die Medien, die von dieser Lässigkeit, diesem Liberalismus und dem Versprechen von ungezügeltem Hedonismus angezogen werden und es potenzieren, in einen wahrscheinlich unbewussten Gegensatz zum man on the street und seinem automatischen Nicht-Insidertum bringen. Dieses Publikum spaltet sich automatisch auf: in jene, die von einer Star-Karriere träumen und jene, die die ganze Szenerie als pervertierten Elitarismus verdammen.
Letzteres mündet in einer Verachtung, die sich auf das gesunde Volksempfinden und den Hausverstand beruft (Ratgeber, die hierzulande klassische Türöffner für jedweden Faschismus waren) und glaubt, völlig argumentationslos loskoffern zu können, jedwede popkulturelle Äußerung als wertlos und die Abfeierung derselben als verderbt darstellen zu können. Die Tatsache, dass man keine Ahnung hat, wogegen man da im Schutz der Anonymität giftet, wird nicht schamvoll hintantgestellt, sondern als Tugend vorgeschützt.
Mit einem solchen Schwachfug kommt man nur noch in klassischen anonymen Foren durch. In Social Media, im Web 2.0, auf Facebook oder Twitter ist derartiges Gestänker zwar möglich, aber inneffektiv, weil man sich dort entlang der positiven, der konstruktiven Vernetzungspunkte entlanghantelt, weil die dortigen Mechanismen es verhindern, sich mit dem Hausmeister-Geschwätz, dem trolligen Geblöke und der anonymen Wichtigtuerei auseinandersetzen zu müssen.
Dies ist der wahrhafte Netz-Fortschritt der letzten Jahre.
Dass das ausgestellte "ich-hab-keine-Ahnung-worum's-geht; aber-egal-alles-scheiße" als das wahrgenommen wird, was es ist: die blanke Absonderung von Weltekel, der sich letztlich nicht gegen gesellschaftliche Entwicklungen, sondern gegen die Äußerer selber richtet. Die spüren nämlich, dass ihre Ignoranz sie zunehmend in die Angehängtheit drängt und fahren ihre letzte, einzige Waffe auf: eben das gesunde Volksempfinden.
Die Alternative, nämlich seine Meinung (für die man in allen angeführten Fällen weder sozialem Druck ausgesetzt ist noch sonstwie bedroht werden wird) mit dem Einsatz der Person dahinter, per Klarnamen an- und auszusprechen, kommt für die anonymen Heckenschützen nicht in Frage. Das würde ihre sesselfurzende Bequemlichkeit, ihre Verstecktheit in simple Angreifbarkeit drehen - und sowas halten gerade Trolle, die fast immer selber die schlimmsten Mimosen sind, kaum aus. Dass man auf sein blödes Geschwätz angesprochen werden könnte, sich ohne Schutz rechtfertigen müsste, eine Vorstellung, die die Web1.0-Blockwarte nicht aushalten.
Im Fall der Golden Globes, wie im Fall jedweder popkulturellen Äußerung, die vor 50, 60 Jahren ganz offiziell als Schund galten (und im wirren Denken der anonymen Wichtel hat sich seither ja nichts geändert), fällt es den Gestrigen noch leichter, sich mittels Häme und scheinmoralischer Heuchelei einen Erregungs-Kick zu verschaffen.
Im letzte Woche medial dominanten Selbst-Outing von Thomas Hitzlsperger war es ähnlich - da habe ich auf Foren-Lektüre verzichtet, ich liess mir kursorisch davon erzählen - denn selbstverständlich wird das anonyme Posting immer den tiefstmöglichen, den widerlichsten Standpunkt einnehmen und unterschreiten; dazu ruft das Format der straffreien Verleumdung, der Verstammtischung der Kommunikation nachgerade auf.
Die Absonderung von Mundstuhl dieser Art bringt den Veröffentlichern zwar Klicks und Zugriffsraten, ist aber kommerziell nicht verwertbar - die anonyme Meute ist ja weder am Kauf journalistischer Inhalte noch an der Bekanntgabe von Daten interessiert. Und einem Diskussions-, Ausstellungs- und Plauder/Tratsch-Forum wie Twitter, das deutlich weniger Traffic aufweisen kann, kommt an der Inhalts-Front plötzlich dramatisch mehr Bedeutung zu. Denn dort zählt nur der etwas, der die Kunst der Konstruktivität, des Witzes oder der Verknüpfung beherrscht
Das Anonyme in der Netz-Kommunikation ist also sowohl kommerziell als auch debattentechnisch wertlos. Dass seine heftigsten Vertreter, die sich vor allem an die Möglichkeit, über anonyme Accounts gezielte PR betreiben zu können, geklammert hatten, in den letzten Monaten immer leiser geworden sind, ist kein Zufall. Es wird zunehmend immer weniger nötig sein, anonyme Foren-Einträge als inhaltlich wahrzunehmen. Gut so: es handelt sich ja auch nicht um Inhalt, sondern nur eine hochformalistische Absonderung eines dumpfen Magengrollens, der Vorstufe des Durchfalls.