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13. 1. 2014 - 15:36

Klobürsteneinsatz in Hamburg

Kissenschlachten, Dangerzone-Spiele und Brushmobs: Kreativer Protest gegen die Polizeikontrollen in den heute aufgehobenen Hamburger Gefahrengebieten.

von Kathrin Kaufmann

Am 4. Jänner saß ich im Zug zurück nach Hamburg, als mich die Meldung erreichte, die Polizei hätte große Teile von St. Pauli, Altona und Sternschanze zum Gefahrengebiet erklärt. Das heißt: hier dürfen Beamte ab sofort jeden kurzfristig anhalten, die Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen – und das ohne konkreten Verdacht. Falls bei der Durchsuchung eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit festgestellt wird, können auch Platzverweise, Aufenthaltsverbote und Ingewahrsamnahmen folgen.

Dieses Gefahrengebiet, das Innensenator Michael Neumann definiert hat, bestand bis letzten Donnerstag und wurde dann auf drei Gefahreninseln rund um Polizeiwachen eingeschränkt. Heute, Montag, wurden dann auch diese Gefahreninseln wieder aufgehoben. Seit 2005 ermöglicht ein Gesetz der Polizei, solche Gebiete nach eigener Einschätzung und ohne Kontrolle durch eine weitere Instanz zu definieren. Immer wieder werden seither solche Gefahrengebiete eingerichtet – kurzfristig bei Fußballspielen oder Demos, aber auch permanent, wie beispielsweise zur Bekämpfung der Drogenkriminalität in St. Georg und auf St. Pauli. Aber keines war bisher so groß wie dieses und setzte 50.000 Menschen täglichen Kontrollen und einer permanenten Polizeipräsenz aus.

"Gefahrengebiet" in Hamburg

Radio FM4

Das Gefahrengebiet war eine Reaktion auf die schwelenden Konflikte in Hamburg, die vor allem bei der Demonstration am 21. Dezember des letzten Jahres eskalierten: Es sollte für den Erhalt des linken Kulturzentrums Rote Flora, wegen der Räumung der Essohäuser mit Sozialwohnungen auf der Reeperbahn, die der Besitzer verfallen ließ, sowie zum Bleibrecht der Lampedusa-Flüchtlinge demonstriert werden. Der Demonstrationszug wurde von der Polizei gestoppt und es kam zu stundenlangen Straßenschlachten.

Auch nach der Demo, zwischen den Jahren, kam es zu weiteren Ausschreitungen und – ausschlaggebend für Neumann, das Gefahrengebiet auszurufen – zu einem angeblichen Angriff auf die Polizeistation Davidwache, bei der angeblich 40 Vermummte zu Werke waren und ein Polizist verletzt wurde. Die Pressestelle der Polizei musste zwar inzwischen einräumen, dass es sich dabei um eine Falschdarstellung gehandelt hat, diese Unwahrheit sowie die unkritische Übernahme der Meldung durch die Medien macht aber immer noch viele hier wütend. So beispielsweise den Journalisten Falk Schreiber, dessen Wohnung ebenfalls im Gefahrengebiet lag: „Ich möchte nichts über die Ursachen der Proteste sagen, über den Streit um die Rote Flora, über Lampedusa in Hamburg und über das Unbehagen angesichts dessen, was mit den Esso-Häusern passiert. Ich möchte auch nichts über die unselige, immer wieder geführte Diskussion zur Gewaltfrage sagen. Aber ich möchte sagen: dass eine Polizeiführung weitreichende Eingriffe in die Bürgerrechte mit etwas begründet, das erwiesenermaßen schlicht erlogen ist, dass eine vollkommen unkritische Medienlandschaft von Abendblatt über Mopo bis hin zum NDR das ungeprüft glaubt und sogar Scharfmacher aus den Kreisen der Deutschen Polizeigewerkschaft als reputable Interviewpartner ansieht, dass sich im Internet in SpOn-Foren oder der Facebook-Seite 'Solidarität mit den Beamten der Davidwache' eine unselige Allianz aus Spießbürgern und Rechtsradikalen formiert, um härtestes Durchgreifen zu fordern – das ist sehr, sehr gefährlich.“

Wie kann man sich das vorstellen, in einem Gefahrengebiet zu leben?

Für alle, die in so einer Zone wohnen, wird schon das Brötchen holen am Wochenende zu etwas, das man ohne Personalausweis in der Tasche nicht mehr machen kann. Wer ohne Ausweis in eine Kontrolle gerät, muss mit zur Wache. Menschen ohne Aufenthaltsgenehmigung können diese Viertel eigentlich nicht mehr betreten.

Einmal kam ich um 22:00 aus meinem Sportstudio in einer ruhigen Seitenstraße in Altona, drei Polizeiwagen standen mitten auf der Straße, an zwei Hauseingängen kontrollierten um die zwölf Polizisten zwei Männer. Ich machte ein Foto und fühlte mich schlecht dabei. Kontrolliert wurde ich nicht – vermutlich entspreche ich nicht dem Bild einer Linken. Denn es wurde versprochen, dass bei den Kontrollen „nach Augenmaß“ vorgegangen werde und auf „szenetypische Kleidung“ geachtet würde.

Polizei in den Gefahrengebieten

Kathrin Kaufmann

So werden also Kapuzenpulliträger und schwarz gekleidete Menschen besonders gern kontrolliert – und die Polizei sammelt ganz nebenbei eine Datenbank mit Personendaten der linken Szene. Jedenfalls sind die Kontrollen willkürlich – manche Menschen, so wie ich, wurden nie kontrolliert, andere drei mal am Tag. Aber nicht nur die dauernd möglichen Kontrollen sorgen für Beklemmung, sondern auch die Polizeisirenen, die den ganzen Tag lang heulen. Die Trupps von Polizisten an jeder Ecke. Die Einsatzwagen vor der Haustür, dazwischen hin und wieder Böllerknallen.

Auch Mira, die knapp außerhalb des Gefahrengebiets wohnt, war so davon betroffen: „Es ist erschreckend mit welcher Frequenz die Polizei-Busse mit eingeschalteten Martinshorn und Blaulicht über die Straßen des Gefahrengebiets gerast sind. Teilweise waren es auf drei oder vier innerhalb weniger Minuten. Das schafft schon ohne die Personenkontrollen eine beklemmende Atmosphäre.“

Kreativer Protest in der Danger Zone

Zum Glück hat Hamburg es geschafft, dieser beklemmenden Szenerie eine erfrischende Protestkultur entgegenzusetzen. Das Künstlerkollektiv Ill rief zum Danger Zone – Real Life Game auf: Schwarzen Kapuzenpulli anziehen, den Rucksack mit lustigen Dingen bestücken und ab in das Gefahrengebiet zum Spazieren. Für jede Kontrolle gibt es Punkte. Aus diesem Spiel heraus entstand wohl auch die mittlerweile legendäre Klobürste als Symbol des widerborstigen Widerstands, nachdem im ARD Nachtmagazin eine Szene gezeigt wurde, in der ein Polizist bei der Durchsuchung einer Person eine Klobürste aus der Hose zieht.

Polizei und Demonstranten mit Klobürste in Hamburg

ARD

Auch nachdem das Gefahrengebiet am 9. Jänner auf die drei jetzt verbliebenen Gefahreninseln reduziert wurde, in denen auch nur mehr zwischen 18:00 und 06:00 kontrolliert wird, gehen die Proteste weiter - im Viertel vor Ort und online. Am Donnerstag Abend gab es eine Fahrraddemo, am Freitag Abend eine große Kissenschlacht auf dem Spielbudenplatz und ein Straßenfest in der Wohlwillstraße, am Samstag den Brushmob sowie tägliche Spontandemonstrationen.

Nach der Kissenschlacht in Hamburg

APA/dpa/Maja Hitij

Nach der Kissenschlacht

Die Atmosphäre bei diesen spontanen Demonstrationen ist dabei größtenteils gut. Dort habe ich zum Beispiel Vera getroffen, die in den letzten Tagen regelmäßig in den Gefahreninseln unterwegs war: „Hier engagieren sich so unterschiedliche Menschen mit einer Kreativität und einem Durchhaltevermögen das ich so sonst noch nicht erlebt habe. Und sie haben verdammt viel Spaß dabei! Ich kann nicht verstehen wie eine so großartige Bewegung von Medien, Polizei und Politik in ein derart schlechtes Licht gerückt werden kann. Das ist Hamburg, und das steht auf dem Spiel!“

Die Polizei verhält sich weitestgehend ruhig, aber es tauchen auch immer wieder Meldungen von Verletzten auf, in der Nacht zum Samstag kam es auch wieder zu Pfeffersprayeinsätzen, weil Demonstranten Christbäume anzündeten.

Wie sich die Lage in Hamburg weiter entwickeln wird, ist schwer zu sagen. Selbst jetzt - wo die Gefahrenzonen wieder ganz aufgehoben wurden – sind die politischen Probleme dahinter (rund um Gentrifkation und Flüchtlinge) längst nicht gelöst. Und auch wenn Bürgermeister Olaf Scholz und Innensenator Neumann die Gefahrenzonen im Gegensatz zu anderen als Erfolg sehen, haben sie die politische Lage damit mit Sicherheit nicht entschärft.