Standort: fm4.ORF.at / Meldung: "The daily Blumenau. Weekend Edition, 12-01-14."

Martin Blumenau

Geschichten aus dem wirklichen Leben.

12. 1. 2014 - 21:23

The daily Blumenau. Weekend Edition, 12-01-14.

Sonntags-Politik. Die vermerkelte ÖVP, die entkernte SPÖ, der schlaue Kurz und die ignorierte Freedom Party.

Auch 2014, wie schon seit der Nationalrats-Wahl online: der Versuch das Journal in der Form von 2003, '05, '07, 2009 und 2011 durch ein kürzeres Format zu ersetzen, um so Täglichkeit hinzukriegen. Und das mit Items aus diesen Themenfeldern.

Übernimmt der Merkelismus jetzt auch die ÖVP?

#nr-wahl #politik #gesellschaft

Nein, es ist zu wenig, einen, dessen Ähnlichkeit mit einer grauen Wand die Schnellschüssigen unter uns allzu stark dazu verleitet, ihn als Blitzableiter für unsere Aggressionen betreffend saumseligen Stillstand busek-like ans Bein zu pinkeln, nur fertigzumachen.

Auch wenn das der Co-Hintersinn einiger Proponenten ist, die Michael Spindelegger das ideologische Konstrukt, unter dessen Fahne er die nächsten fünf Jahre bestreiten wollte, zerstören. Ihn mit längst überfälligen Modernisierungen, was Schul- und Bildungs-Politik und dringend nötige Maßnahmen, was die auch finanziell deutlicher werden müssende Solidarität der Reichen betrifft, vor sich her treiben.
Und dabei auch gleich das Ende der Raika-Achse Nieder/Oberösterreich (Pröll/Pühringer) als alleiniges Machtzentrum im Sinn haben.

Das sind die Blickwinkel, auf die der Aufstand des ÖVP-Westens, der sowieso sololaufenden Steirer und anderer Bündnispartner innerhalb dieser selber auf das Lachhafteste unregierbaren Partei jetzt öffentlich abgehandelt werden wird.

Der entscheidende Faktor ist aber ein anderer, viel weiter greifender: die ÖVP soll mit diesem irgendwie deutlich ideologiefreieren Kurs in eine Richtung gedrängt werden, die beim Nachbarn fast absolute Mehrheiten einfährt. Während die Starrsinnigkeit hierzulande grade einmal ein bisserl mehr als 20 Prozent einbringt.

Es geht um die Einführung des Merkelismus nach dem Muster der CDU. Die funktioniert mittlerweile zwar nicht klientelfeindlich (klar werden Rüstung, Energie und andere Riesen aka Geldgeber weiter beschützt), aber völlig ideologiefrei. Frau Merkel holt sich, was sie kriegen kann: Ideen, die noch gestern grün, rot, dunkelrot oder liberal waren, sind - sofern sie etwas bringen, politisch oder gesellschaftlich - schon morgen die von Frau Merkel und ihrem Team.
Niemand interessiert die Ideologie von gestern.

Das funktioniert.
Prächtig sogar.
Das haben Haslauer und Co kapiert und wollen es jetzt, angesichts einer weiteren drohenden Legislaturperiode des Nichts, umgesetzt wissen.

Das ist ein weicher Putsch der letzten Chance.
Spindelegger ist ein Last Man Standing, ein Relikt aus einer Ära der Sinn- und Erfolglosigkeit.
Die Zukunft gehört den Eklektizisten; dem Merkelismus.

Heute nacht entscheidet die ÖVP, ob sie diesen Turnaround schaffen wird oder am Stammtisch einschlafen und an der klebrigen Plastikdecke, die übers Tischtuch gezogen ist, für die nächsten Jahre pickenbleibt.

Das Ende jeglicher Inhaltlichkeit innerhalb der SPÖ

#nr-wahl #politik #gesellschaft

Die österreichische Sozialdemokratie ist 125; und heute dort angekommen, wo sie damals von ihren vor Distinktionsdünkel stinkenden Gegnern verortet wurde: in den Tiefen des nicht über die Nasenspitze hinausdenkenden Instinkt-Pragmatismus; der allerdings instinktlos betrieben wird.

Konrad Paul Liessmann hatte eine vergleichsweise wenig mieselsüchtige Gastrede gehalten, die recht klare Anleitungen enthält. "Was not tut, ist eine Wiedergewinnung des Politischen" lautet der zentrale Satz, nach dem Liessmann die Demokratie, den Parlamentarismus, ein europäisches Staatskonzept und die große Frage wie Markt, Macht und soziale Gerechtigkeit auszupendeln wäre, "wie weit die Merkantilisierung der Gesellschaft und des Lebens gehen soll."

Die sozialdemokratische Praxis sieht so aus, dass alles Programmatische ausgelagert wird: nicht wie angekündigt der Genosse Cap (der scheinbar doch zu viel in seinem neuen Job zu tun hat), sondern der Pensionärs-Genosse Blecha und der Junioren-Genosse Moitzi sollen sich um ein neues Parteiprogramm kümmern.

Diese Besetzung ganz ohne Parteimächtige, nur mit den Rand-Rebellen, lässt schon erahnen wofür das Papier dann da sein wird: für die schon freudig erregte Schublade, die es aufnehmen wird.

Nur wenige Stunden nach der Fertigstellung dieses Textes bestätigt ihn die SPÖ auf das grausam Offensichtlichste: die Nominierung von Eugen Freund als EU-Spitzen-Kandidat zeigt, dass man noch stärker auf Glanz und Schein, auf öffentlichkeits-wirksame Maßnahmen (den Karmasinismus) und noch weniger auf Inhalte setzen will.

Die politische Praxis der SPÖ zeigt sich in ihrer Medien-Politik: seit Wochen lässt man sich im verpartnerten Boulevard hochleben, auch von Wolfgang Fellner persönlich lässig finden und im Schutz der 100 Tage, die neuen Kräften Zeit gegeben wird, ehe die Kritik kübelweise daherkommen darf, mit Hochglanz/Homestory-Kitsch übergießen. Und das in trauter Eintracht mit der ÖVP, die scheinbar ebenso viele gegengeschäftliche Leistungen versprochen hat. Das ist der Bereich, in den aktuell die gesamte Energie der Partei fließt.

Dass man die 125 Jahre unter dem Bild von Victor Adler für eine inhaltliche Debatte nützen hätte können - auf die Idee kam man erst gar nicht. Und wenn man genau hinschaut: wer genau von den aktuellen SP-Mächtigen sollte da auch draufkommen?

125 Jahre später haben die Bürgerlichen ihre Gegner dort, wo sie sie damals gern gehabt hätten.

Der schlaue Kurz und der alte/neue Westbalkan

#nr-wahl #politik #gesellschaft

Es war in der abgelaufenen Woche, als der neue jugendliche Außenminister in einem Interview den Begriff des "Westbalkan" so oft verwendete, dass er bei mir hängen blieb.
Ich bin durch die in den letzten Jahren inexistente heimische Außenpolitik vielleicht entwöhnt, aber mir war der nicht geläufig. Gemeint ist letztlich Ex-Yugo, im Gegensatz zu Rumänien/Bulgarien, dem aktuellen Feindbild nicht nur der CSU.

Dieser Begriff hat was; nämlich den "Westen", also das positiv besetzte Wir-Ding. Und indem Kurz seine Schwerpunksetzung auf die Nachbarschaftsbeziehungen mit eben diesem Westbalkan so überbetonte, kam mir der Verdacht, dass der schlaue Kerl vielleicht wieder einmal einen Begriff, der in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht als so lässig besetzt ist (der des Balkan nämlich) umdefinieren wollte.
Mit durchaus vergleichbaren Tricks hatte er das im Integrations-Bereich die letzten Jahre ja auch geschafft: der FPÖ Begriffe weggenommen, sie anderes besetzt und damit haushaltstauglich gemacht.

Als ich dann die Zeit fand, eine aktuelle Geschichte des Terminus Westbalkan zu finden, war ich kurz enttäuscht: unter den Experten, in der Diplomatie/Außenpolitik ist er Usus. Dann allerdings fiel mir auf, dass ihn abseits der offiziellen Kanäle hauptsächlich die FPÖ verwendet hatte, auch um die "guten" von den "bösen" Ausländern zu trennen. Anderswie/wo kam er nicht vor.

Kurz geht es diesmal also gar nicht um eine Neulackierung von Begriffen und die daraus folgende Umdeutung; er ist vielmehr bemüht, ein in der letzten Zeit völlig vernachlässigtes Gebiet überhaupt wieder zum Leben zu erwecken. Er streut diese Begriffe um klar zu machen, dass sich wieder jemand drum kümmert; abseits vom bellend-xenophoben Geplänkel, das bislang die einzig vernehmbare Tonlage des außenpolitischen Österreich war.

Das ist eine rückblickend erschreckende Erkenntnis. Dass sich nämlich die beiden Regierungsparteien wegen völliger Inaktivität die Handlungs- und Definitionsmacht, was Österreichs Außenbeziehungen betrifft, von den Rechtspopulisten wegnehmen hat lassen. Denn bevor der schlaue Kurz auf den Plan trat, waren es EU-Nörgler und die FPÖ, die dort das alleinige Sagen hatten.

Die international schändlich ignorierte Freedom Party

#nr-wahl #politik # gesellschaft

Um da gleich anzuschließen: das beschränkt sich auf die österreichische Wahrnehmung.
Die internationale sieht anders aus.

Beispiel: Wir erinnern uns an den mit stolzer Brust vorgetragene Getöse, mit dem die FPÖ sich als Wortführer einer neuen europäischen Rechten vorgestellt hatte. Das war auch hier im daily Thema.
Nun hatte der Economist zuletzt eine fette Coverstory über die Rechtspopulisten, die sie als europäischen Gegenstücke zur Tea Party bezeichnete.

Und schau an: im Gegensatz zu praktisch allen anderen Schmuddelkindern aus dem rechtsrechten Lager kam die Freedom Party nur in zwei taxativen Aufzählungen und in der Fact-Box vor. Kein Wort über die doch so wichtige Rolle als Verbinder, die Strache und Co so stark ausgestellt hatten.

Ist vielleicht doch mehr Ballyhoo als politisches Gewicht. Und sollte (und das meine ich auch selbstkritisch) auch dazu anregen die Bedeutung, die sich die FPÖ im europäischen Kontext anmaßt, für bare Münze zu nehmen.