Erstellt am: 10. 1. 2014 - 17:58 Uhr
Tränen lügen nicht
Es gibt gewisse Gattungen Film, da rollen sich bei mir die Zehennägel auf. Ganz vorne mit dabei ist die im letzten Jahrzehnt immer stärker Richtung liebliche Belanglosigkeit getaumelte Indie-Komödie, in der von Teenager-Schwangerschaften bis Homo-Familie so gut wie alle zwischenmenschlichen Zunder-Themen mit möglichst alltagsfremden Star-Gesichtern in eigentlich abgeschafften Milieus, vor allem dem Suburbia-Mittelstand, verhandelt werden. Ist jetzt vermutlich bis ganz sicher zu polemisch gedacht und geschrieben, vor allem aber deshalb, weil ich um die Myriaden von tatsächlich unabhängig produzierten Klein- bis Kleinst-Filme weiß, die gegen die gebündelte Marketing-Offensive der Mainstream-Indies keine Chance mehr haben.
Baltimore Daily
Teenage Wasteland
Mit Mikro-Budgets kennt Matt Porterfield sich jedenfalls aus. Der 36-Jährige aus Baltimore dreht seine Filme dort, wo er aufgewachsen ist. Finanziert werden sie vorwiegend aus Eigenmitteln, auch durch Freunde und Verwandte. Produktionsformen wie diese waren in den USA in den Sechziger und Siebziger Jahren noch relativ weit verbreitet: nicht aus Spaß an der Freude, sondern weil das seriöse Hollywood gewisse Erzählgattungen und Genres einfach nicht haben wollte.
Joyce Kim
Wie gut Matt Porterfields DIY-Ästhetik aufgehen kann, hat sein Zweitling Putty Hill (2011) bewiesen. Ohne strenges narratives Gerüst, folgt das Homebrew-Drama ein paar Jugendlichen, die erfahren, dass ein Klassenkamerad Suizid begangen hat. Darauf folgt kein Tränenwassermeer, sondern eine an Zwischenmenschlichkeiten geschulte, tief traurige und daher auch sehr bewegende Ballade: Höhepunkt ist eine Trauerfeier, auf der schluchzend, schreiend und lachend Karaoke gesungen wird. Die Schwärze im Zentrum dieses Films - eine Sequenz ist etwa so finster, dass man nur zuhören, nicht aber zuschauen kann - weicht jetzt dem Licht: nicht umsonst nennt Porterfield seinen dritten Film I Used to Be Darker.
Stadtkino Wien
Beziehungen und ihre Opfer
"Darker" erzählt von Taryn (Deragh Campbell): die Teenagerin ist und von ihrem Zuhause, das in Nordirland ist, davon gelaufen, nachdem sie erfahren hat, dass sie schwanger ist. Mit ein paar Dollar in der Tasche trampt sie jetzt durch die USA, will zu ihrer Tante Kim (Kim Taylor), die in Baltimore lebt. Dort angekommen, erfährt Taryn allerdings, dass auch diese heile Welt nicht mehr steht. Kim hat sich von ihrem langjährigen Partner Ned (Ned Oldham) getrennt. Ein Umstand, der die gemeinsame Tochter Abby (Hannah Gross), im selben Alter wie Taryn, in den Wahnsinn treibt.
Geschrieben hat Porterfield den Film mit Amy Belk: beide sind selbst geschieden und haben sich große Mühe gegeben, die Konsequenzen einer Trennung nicht nur an einer Figur, sondern an am kompletten Ensemble anschaulich zu machen. Ned, der mit einigen Kumpels zusammen gezogen ist, verkraftet den Crash weit weniger gut als Kim: die hat einen neuen Freund und damit auch ein neues Leben. Im Gegensatz zu seinen anderen zwei Filmen wirkt "Darker" fast schon konventionell: immerhin gibt es einen nachvollziehbaren dramaturgischen Bogen und komplex entwickelte Charaktere. Gut denkbar, dass dieser Film jetzt auch all jene erwischt, die sich bei Hamilton und Putty Hill ob all der Ellipsen und Nicht-Handlungen fadisiert haben.
Stadtkino Wien
Weinen und Singen
"Darker" ist ein Film der Zwischentöne, nicht zuletzt auch, weil sich das Projekt organisch entwickelt hat. Porterfield ist einer, der die Echtheit sucht, ein Naturalist, der versucht, von Stilisierungen und anderen Künstlichkeiten Abstand zu halten. Seine Schauspieler findet er demnach nicht über Castings: Ned "Brother of Will" Oldham kennt er schon längers. Und Kim Taylor, eine talentierte Singer-Songwriterin, ist eine Freundin von Ko-Autorin Amy Belk. Dass die Chemie zwischen den beiden Musikern und Hauptdarstellern dann geklappt hat, war ein Glücksfall. Denn vieles an dieser Geschichte erzählt sich auch über die Songs, die die beiden singen, schreien oder säuseln. Und wenn ein Instrument vor lauter Wut kaputt geschlagen wird, pulsiert die Resonanz darauf auch durch den Rest dieses sehr musikalischen Films.
Stadtkino Wien
Improvisiert ist an "I Used to Be Darker" allerdings kaum etwas: bei aller Sanftheit und Gelassenheit ist Porterfield ein durchaus strenger Regisseur. Er weiß, was er will - und vor allem, was nicht. Sein eigenes Verständnis vom Kino verortet der immer noch jugendlich wirkende Mittdreißiger im europäischen Film der Sechziger und Siebziger Jahre. Überhaupt fühlt er sich in der Alten Welt mehr verstanden als in den USA, wo sein Mikro-Kino konstant übersehen und schon gar nicht gefeiert wird. Porterfield weiß, dass er sich nur ein wenig in Richtung Hollywood bewegen müsste und - nach drei Filmfestivalerfolgen - vermutlich keine schlechten Chancen auf ein größeres Projekt hätte. Noch aber ist der Lehrersohn, der seinen Lebensunterhalt vorwiegend als Universitätslektor verdient, nicht bereit, seine Ideale an den Nagel zu hängen. Und das ist wiederum ein großes Glück für alle, denen etwas an Gefühlskino liegt. Und das soll und darf bitte nicht mit Sentimentalität verwechselt werden.
FM4/Christian Pausch
Acoustic Session mit Kim Taylor
Voller Gefühl sind auch die Songs von Kim Taylor. Nachdem wir sie lange gesucht und dann im Wiener Leopold Museum - staunend über die gesammelten Werke Schieles - entdeckt haben, ist sie doch noch bei uns im Funkhaus angekommen. Die amerikanische Countrymusikerin hat letztes Jahr nicht nur ein neues Album released, sondern auch ihr Debüt als Schauspielerin in "I Used To Be Darker" gegeben. Christian Pausch hat sie zu einer FM4 Acoustic Session gebeten und mit ihr über ihre politischen Texte und die Erfahrung beim Film gesprochen.
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