Erstellt am: 10. 1. 2014 - 10:40 Uhr
Zerfallserscheinungen einer Regierungspartei
Die Türkei kommt innenpolitisch nicht zur Ruhe. Nach den heftigen Protesten in Istanbul letzten Sommer, die sich einerseits gegen riesige Stadt-Umgestaltungsprojekte der Regierung Erdogan und andererseits gegen eine konservative Gesellschaftspolitik gerichtet haben, hat sich nun auch ein ehemaliger Verbündeter, die Gülen-Bewegung, mit Erdogan überworfen. Dazu kommen Vorwürfe gegen die seit mehr als zehn Jahren regierende AKP wegen Korruption und Postenschacher. Was steckt hinter diesen Auseinandersetzungen? Ein Interview mit dem Politikwissenschaftler Cengiz Günay:
Nach den großen Protesten im Sommer jetzt ein Zerwürfnis innerhalb des Regierungslagers. Was ist da eigentlich los in der Türkei, und wie sind diese Konflikte einzuschätzen?
Cengiz Günay: Die AKP ist 2002 in Folge einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise an die Macht gekommen. Ihr Erfolgsrezept war, dass sie die heruntergewirtschafteten Parteien des Zentrums links und rechts ersetzt hat, indem sie sehr pragmatisch an die Dinge herangegangen sind, mit neoliberaler Wirtschaftspolitik und Reformen in Richtung EU-Beitritt. In den ersten Jahren war die AKP außerdem so erfolgreich, weil sie es geschafft hat, breite Koalitionen innerhalb der Gesellschaft zu bilden: Zum einen mit Unternehmern, die pro EU waren, mit den Medien, die pro Reformen waren, mit liberalen Kreisen, die die Reformen unterstützt haben und eben auch mit Gruppen innerhalb des religiösen Sektors, unter anderem auch der Gülen-Bewegung.
Die Gezi-Proteste vergangenen Sommer waren ein starkes Zeichen dafür, dass diese Koalition, die die AKP so stark gemacht hat, langsam auseinanderbröckelt. Es waren vor allem die liberalen Kräfte, die weggebrochen sind, jetzt sehen wir, dass es auch Spaltungen innerhalb des religiösen Lagers gibt. Das deutet darauf hin, dass diese Partei, die v.a. in den letzten 3 bis 4 Jahren die Macht sehr stark monopolisieren konnte, doch nicht alles unter Kontrolle hat. Es sind eigentlich die ersten Zerfallserscheinungen einer sehr starken Regierungspartei.
APA/EPA/SEDAT SUNA
In einem Kommentar war von einer „Putinisierung der Türkei“ zu lesen. Würden Sie das auch so sehen, dass Erdogan versucht seine Macht so zu zementieren, dass er quasi nicht absetzbar ist?
Tayyip Erdogan ist ein sehr starker politischer Charakter. Bedingt durch eine ständige Furcht vor einem Putsch bzw. einer Auseinandersetzung mit dem Militär hat er sich stark isoliert. In der Vergangenheit hat es ja tatsächlich solche Erlebnisse gegeben, aber inzwischen sind die meisten dieser Kraftzentren - vor allem die Armee - mehr oder weniger entmachtet. Aus diesem Angstgefühl heraus versucht Erdogan vor allem die letzten Jahre die Macht so stark wie möglich in seinen eigenen Händen zu bündeln. Er ist dadurch immer autoritärer geworden, hat z.B. auch den Anspruch die Gesellschaft nach seinen Vorstellungen zu formen. Das stößt auf massiven Widerstand in der Bevölkerung. Das sieht man daran, dass sein Projekt, die Türkei in eine Präsidialrepublik umzuwandeln und Präsident zu werden, gescheitert ist. Die liberalen Kräfte haben zuletzt aufbegehrt bei seinen zum Teil gigantomanischen Projekten, wie er die Städte umwandeln möchte, allen voran Istanbul. Und es sieht so aus, als würde er nicht unbedingt siegreich aus diesem Machtkampf mit der Gülen-Bewegung herausgehen, sondern dass beide Schaden nehmen.
Was ist das eigentlich für ein Konflikt mit der Gülen-Bewegung?
Die beiden waren sich schon in der Vergangenheit nicht unbedingt immer einig. Wie gesagt: Eine Zeitlang hat die AKP sehr erfolgreich Brücken zu anderen Bewegungen geschlagen, und jetzt bricht das wieder auseinander. Es sind mehrere Ebenen die hier gleichzeitig diskutiert werden: Das eine ist das Ausmaß der Korruption, das immer mehr an die Oberfläche kommt. Was angesichts dieser riesigen städtebaulichen Projekte und der großen Rolle die der Staat da spielt, kaum verwunderlich ist. Da gibt es ein klientalistisches System – das es in der Türkei immer schon gegeben hat und das jetzt eben durch die AKP bedient wird.
Andererseits wird darüber diskutiert, dass bestimmte Institutionen wie Justiz und Innenministerium - und da v.a. die Polizei - durch bestimmte Gruppen bewusst besetzt wurden, in diesem Fall durch die Gülen-Bewegung. Die AKP wirft der Gülen-Bewegung jetzt vor, hier einen Staat im Staat gebildet zu haben – da muss man aber sagen, dass das vor allem in ihrer Amtszeit passiert ist und sie das wohlwollend unterstützt hat, weil sie einen Koalitionspartner unterstützt hat. Jetzt wo es zu diesem Machtkampf dieser zwei Gruppen innerhalb des Regierungslagers kommt, wird das öffentlich diskutiert und im Endeffekt werden das Justiz- und Innenminsterium demontiert. Und damit wird das Vertrauen des einfachen Bürgers in die Justiz untergraben.
Was bedeuten diese Machtkonzentration, aber auch die Korruptionsvorwürfe für die Türkei als Vorbild eines säkularen und demokratischen islamischen Staats?
Ich denke dass der Säkularismus in der Türkei mittlerweile doch relativ tief verankert ist. Trotz des Versuchs Erdogans, sämtliche Macht bei sich zu bündeln, sind die einzelnen Institutionen der Zivilgesellschaft doch stärker als gedacht. Diese Demokratisierungsprozesse in der Türkei sind in der Vergangenheit immer wieder unterbrochen worden, zum Beispiel durch Militärinterventionen. Jetzt ist es wichtig, dass sich zivile Kräfte bilden, die sich gegen eine übermächtige Regierung stellen. Ich denke die Türkei geht vielleicht durch eine schwierigen Prozess, aber das heißt nicht, dass sie am Schluss nicht demokratischer sein wird.
Studiodiskussion mit Efgani Dönmez und Ercan Karaduman
Wie wird denn Erdogan von den türkischstämmigen Österreicherinnen und Österreichern wahrgenommen? Welche Rolle spielt die türkische Innenpolitik und die aktuellen Geschehnisse für die Community? Und welchen Einfluss hat die AKP, Partei Erdogans hierzulande?
Dazu haben wir Efgani Dönmez, Grüner Bundesrat, und Ercan Karaduman von der Union of European Turkish Democrats zu Gast.
Die beiden Österreicher mit türkischen Wurzeln haben völlig konträre Ansichten zu Erdogan und der AKP und diskutieren heute ab 15 Uhr miteinander in FM4 Connected.