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Erich Möchel

Netzpolitik, Datenschutz - und Spaß am Gerät.

9. 1. 2014 - 13:15

NSA-Skandal entzweit EU-Parlament und Rat

Während das EU-Parlament Sanktionen gegen die USA diskutiert, zeigen bisher unveröffentlichte Dokumente, wie die Aufklärung des NSA-Skandals im EU-Ministerrat sabotiert wurde.

Der am Mittwoch vorab erschienene Untersuchungsbericht des parlamentarischen Innenausschusses zur NSA-Spionage fordert, das "Safe Harbour"-Abkommen mit den USA sofort kündigen. Dieser Vertrag der EU mit den USA ermöglicht es etwa Google oder Facebook, personenbezogene Daten europäischer Bürger in den USA zu verarbeiten. Die Datenschutzbeauftragten der Mitgliedsstaaten werden in diesem Bericht zudem aufgefordert, Datenflüsse in die USA unter diesem Abkommen mit sofortiger Wirkung zu stoppen.

Hier ist ein Konflikt vorprogrammiert, denn diese Positionen des Parlaments stehen in diametralem Gegensatz zu einer großen Mehrheit im EU-Ministerrat. Aus einer Reihe von nicht-öffentlichen Ratsdokumenten aus dem Sommer 2013, die ORF.at vorliegen, geht klar hervor, dass die europäische Delegation, die mit ihren US-Gegenparts die NSA-Spionage erörtern hätte sollen, vom Rat regelrecht sabotiert worden war.

Weichenstellung im Ministerrat

Diese Delegation bildete den europäischen Part der transatlantischen Arbeitsgruppe, die auf Drängen des EU-Parlaments gleich nach Auffliegen der NSA-Affäre im Sommer des Vorjahrs eingerichtet worden war. Bekannt war bis jetzt nur das Ergebnis, das darin bestand, dass genau nichts dabei herausgekommen ist.

Nicht bekannt war hingegen, wie im Ministerrat von Beginn alle Weichen so gestellt worden waren, dass dieses Wunschergebnis einer Mehrheit im Rat erzielt wurde. Der Ministerrat hatte nämlich sowohl über das Mandat wie über die Zusammensetzung der europäischen Delegation zu entscheiden.

Akten

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Die mithin einzige Erkenntnis im Anfang Dezember veröffentlichten Bericht der transatlantischen Arbeitsgruppe ist, dass für den Umgang mit EU-Daten nur die internen Vorschriften der US-Geheimdienste gültig sind.

Keine Fragen zur NSA erlaubt

Wie den Unterlagen zu entnehmen ist, hatten Großbritannien, Deutschland, Frankreich und weitere NATO-Staaten von Anfang an darauf bestanden, Angelegenheiten der Geheimdienste aus dem Verhandlungsmandat der Arbeitsgruppe vollständig herauszuhalten. Bereits am 11. Juli 2013 war diese Absicht in einem Entwurf für das Mandat der europäischen Delegation für die transatlantische "Arbeitsgruppe Datenschutz" klar erkennbar:

"Sämtliche Fragen zur Nachrichtensammlung durch Geheimdienste und die zugehörigenKontrollmechanismen werden vom Verhandlungsmandat dieser EU-US-Gruppe ausgenommen, da dies unter die Kompetenz der Mitgliedsstaaten fällt." (Ratsdokument 12183/13 vom 11. Juli 2013, Seite drei). Die für den Zweck der Aufklärung über die NSA-Spionage in die USA entsandte Delegation des Rats durfte also gar keine Fragen zu NSA-Aktivitäten stellen.

Nur für "Intelligence Professionals"

Inhaltlich ist diese Position deckungsgleich mit dem Vorschlag von US-Justizminister Eric Holder, der in einem Brief an Justizkommissarin Viviane Reding am 2. Juli vorgeschlagen hatte, eine "zweite Diskussionsschiene" zu führen. Da sollten Geheimdienstagenden dann im Kreise von "Intelligence Professionals" diskutiert werden.

Der von der britischen Bürgerrechtsorganisation Statewatch am Mittwoch vorab veröffentlichte Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses dürfte mit der tatsächlichen Endfassung fast identisch sein.

Die NSA-Spionage sollte also von Angehörigen europäischer Geheimdienste, die mit der NSA zusammenarbeiten, mit NSA, CIA und Co disktutiert werden. Keine acht Tage später war der Vorschlag des US-Justizministers, der über die "National Security Letters" sämtliche NSA-Spionageangriffe autorisiert, in das Mandat der europäischen Verhandlungsgruppe aufgenommen.

"Interessierte Mitgliedsstaaten können Angelegenheiten der nationalen Sicherheit ... auf bilateraler Ebene mit den USA besprechen", hieß es dazu seitens der litauischen Ratspräsidentschaft, die das Ergebnis eilfertig begrüßte. (Ratsdokument 12580/13, 18 Juli 2013 Seite 1). Litauen ist bekanntlich NATO-Mitglied.

Nicht-Mandat für Nicht-Verhandlungen

An dieser Linie änderte sich in Folge nichts mehr und die europäische Delegation wurde mit einem Nicht-Mandat zu "Verhandlungen" entsandt, bei denen es nichts zu verhandeln gab. Die Europäer, die eigentlich Auskunft über das Ausmaß der NSA-Spionage einholen hätten sollen, durften daher zu diesem Thema nicht einmal Fragen stellen.

Vielmehr musste man sich in Folge auf allgemeine Fragen zur Gesetzeslage und zum Datenschutz in den USA beschränken, während eine Enthüllung über die NSA-Spionage in den Medien die nächste jagte. Dafür, dass auch ganz sicher nichts herauskommen konnte, sorgte dann die europäische Besetzung dieser Arbeitsgruppe, die ebenfalls in der Kompetenz des Ministerrats lag. Unter den zehn Delegierten waren schließlich gerade einmal drei Datenschützer, die noch dazu allesamt aus kleinen Staaten wie Österreich stammten. Die übrigen Delegierten kamen aus Justiz- und Innenministerien.

Obendrein wurden sämtliche Aktivitäten unter "Code Restraint" eingestuft, was so viel wie "im engsten Kreis" bedeutet und etwa der amerikanischen "Secret"-Klassifikation entspricht.

Akten

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Safe Harbour und Swift-Abkommen auf Eis

Im nunmehr bekannt gewordenen Berichtsentwurf des parlamentarischen Innenschusses zur NSA-Spionage, der auf den Erkenntnissen aus den Hearings von Dutzenden Experten und Regierungsvertretern basiert, herrscht eine gänzlich andere Tonart. Der Kampf gegen den Terrorismus rechtfertige niemals eine Generalüberwachung aller Bürger und die Mitgliedsstaaten sollten solch flächendeckende Spionage überhaupt verbieten, heißt es da beispielsweise.

Neben dem "Safe Harbour"-Abkommen sollte auch jenes zu TFTP sofort auf Eis gelegt werden, empfiehlt der Untersuchungsausschuss des Parlaments und zwar solange, bis ein Rahmenabkommen ("Umbrella Agreement") mit den USA darüber abgeschlossen sei, wie dort generell mit den Daten europäischer Bürger umgegangen werde.

TFTP ist in der Öffentlichkeit als "Swift-Abkommen" bekannt und betrifft Finanztransaktionsdaten, die von den USA täglich in Massen aus dem Swift-System abgezogen werden. Es dient angeblich dazu, die Finanzströme terroristischer Gruppen ausfindig zu machen, während wie bei allen anderen abgezapften Daten schlicht allgemeine Nachrichtenaufklärung betrieben wird.

Ende November hatte die EU-Kommission bekanntgegeben, dass sie das Abkommen über deas Abgreifen von Finanzdaten aus dem SWIFT-System mit den USA nicht kündigen werde, obwohl sich das EU-Parlament mehrheitlich dafür ausgesprochen hatte.

Programmierter Konflikt

Hier ist also ein institutioneller Konflikt innherhalb der EU vorprogrammiert. Wie die Ratsdokumente allerdings auch zeigen, geschah diese De-Facto-Sabotage nicht ganz freiwillig. Die US-Seite hatte nämlich vor Beginn der Verhandlungen erklärt, dass man einseitige Gespräche nur über die Aktivitäten von US-Geheimdiensten nicht hinnehmen werde.

Seitens des US-Justizministeriums war unmissverständlich betont worden, dass man, wenn dieses Thema aufs Tapet käme, auch die Tätigkeit europäischer Geheimdienste ansprechen werde. Das wollten die großen EU-Mitgliedsstaaten, die allesamt NATO-Miglieder sind, unbedingt vermeiden. Neben den Briten, deren Militärgeheimdienst GCHQ mit der NSA engstens verbündet ist, sind auch die Geheimdienste Deutschlands, Frankreichs und einer Reihe weiterer europäischer Staaten tief in den NSA-Skandal verstrickt.

Auch das Freihandelsabkommen (TTIP) steht nach Willen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Disposition. Die Verhandlungen konnten im Juli nur deshlab starten, weil die USA zugesagt hatten, die EU-Delegationen diesmal nicht auszuspionieren.

Ausblick

Sobald der Bericht des Untersuchungsausschusses fertig ist - die vorliegende Version ist noch ein Entwurf - wird sich das Parlamentsplenum im Jänner damit befassen. Werden dort allerdings konkrete Maßnahmen beschlossen, hat auch der Ministerrat dabei mitzureden.

Die Position der USA hat sich im Verlauf der monatelangen Verhandlungen in der transatlantischen Arbeitsgruppe zum Datenschutz keinen Millimeter bewegt. Dafür, dass dies auch gar nicht nötig war, hatten die europäischen NATO-Alliierten schon im Ministerrat gesorgt.