Erstellt am: 9. 1. 2014 - 11:54 Uhr
Die Kinder Brooklyns
Eat Your Own
FM4 Artist Of The Week
Alle Im Überblick unter fm4.orf.at/artistoftheweek
Ein gern herumgereichtes Zitat aus dem Musikjahr 2013 war die Textzeile “There’s no need to be an asshole, you’re not in Brooklyn anymore“ aus dem Foxygen Song No Destruction. Obwohl Sam France and Jonathan Rado bei unserem Gespräch vor einem Jahr in der Webster Hall im East Village erklärten, dass sich die Phrase auf die allgemeine, berüchtigte und besonders aus kalifornischer Sicht so gesehene „grumpyness“ bezieht, die man in New York an allen Ecken und Enden zu spüren bekommt (die sich aber für einen gelernten Wiener vergleichsweise freundlich ausnimmt), war da auch schon egal. Die Lyrcis fassten das allgemeine Unbehagen zusammen, das dem größten Borough New Yorks seit geraumer Zeit innerstädtisch, überregional aber auch international entgegenweht.
Caged Animals
Gentrification, Hipster-Tourismus und die damit einhergehende Hybris aus Locavore-Yoga, Bartviechern und Bio-Weiswürste servierenden Großvater-Restaurants im German-Bierhaus-Style dominierten zuletzt die Berichterstattung. Das Musikmekka und Künstlerparadies der vergangenen Dekade hatte sich in eine gated community für elitären Lifestyle verwandelt, wie es scheint. Obwohl die Häme einen zunehmend vom Ursprungsort abgelösten Charakter annimmt, da sich die H-Kultur in den letzten Jahren als äußerst erfolgreicher Exportschlager erwiesen hat, und viele damit assoziierte Phänomene auch mit handfester Stadtpolitik, der geschickten Umgehung von Zoning-Laws und Bauauflagen durch „Slumlords“ und Spekulanten, allgemeiner Bevölkerungsentwicklung und auch einer etwas eindimensionalen Sündenbockmentalität zu tun haben, wird der Raum in den heißen Coolnesszonen zwischen den Borough-Vierteln Williamsburg, Greenpoint und Bushwick tatsächlich enger.
In The Land Of Giants
Österreich-Tour
23.01 - Salzburg, Rockhouse
24.01 - Linz, Posthof
25.01 - Wien, FM4 Geburtstagsfest, Ottakringer Brauerei
26.01 - Innsbruck, PMK
27.01 - Graz, PPC
Eine der letzten überlebenden DIY-Keimzellen ist die von der Punk Band The So So Glos betriebene Venue Live @ Shea Stadium BK an der Meadow Street im Herzen Bushwicks. Dort punkert und rumpelt es ohne Altersbeschränkung und Profitorientierung (siehe diese Geschichte hier). Diesem Umfeld fühlt sich eine Band verbunden, die man im Abgleich zum üblichen Shea-Klientel direkt als Indie-Sensibelchens bezeichnen muss.
Hinter den Caged Animals steckt Singer-Songwriter und Autor Vincent „Vin“ Cacchione, ein waschechter Jersey Boy mit italienischer Abstammung. Vin hatte seiner Stammband Soft Black den Trauerflor umgehängt und über mehrere Alben den Tod seines Vaters verarbeitet. Anschließend war er bereit für Neues. Er tüftelte in Bedroom-Producer-Manier das Caged Animals Debüt „Eat Their Own“ (2011, Lucky Number) zusammen.
Caged Animals
Teflon Heart
Die Caged Anmials verschränken klassisch angelegte Singer-Songwriter Stücke und Popsongs mit einer Soundästhetik, die klingt, als hätte man einen Elektronikgroßhandel nach Klangschnäppchen durchsucht; dabei ist die Musik alles andere als billig, bloß ein wenig mickrig. Aber auch das gereicht eher zum Vorteil.
Cacchione, der in Folge seine Lebensgefährtin Magali Charron (Keys, Backing Vocals), seine Schwester Talya Cacchione (Bass) und Pat Curry (Drums) in das Line-Up der Band integrierte, errichtet mit R&B, Dub-Step und anderen Versatzstücken urbanen Pops keine pompösen Klangkathetralen oder Unterleibskapellen für seine Songs, sondern ein brüchiges Gerüst, das jederzeit zusammenklappen könnte, dem aber auch schon mal ein sorgloses Pfeifen entfährt.
Christian Lehner
Christian Lehner
Auf „Eat Their Own“ prallen die Sehnsüchte des modernen Jünglings an die Grenzen ihrer Erfüllbarkeit in einer Welt, die doch eigentlich oder scheinbar alle Möglichkeiten bietet. Mit „Teflon Heart“ fand sich am Debüt sogar ein kleiner Hit, der es am Stammsender dieser Zeilen bis auf die No.-1-Position der Charts schaffte. „Teflon Heart“ passt wohl am besten in das fiktive Fach des Doo-Wop-Indie-Torch-Songs. Musikalisch dockt er an die große Zeit der schmachtenden Männergruppen aus New Jersey Anfang der sechziger Jahre an, als Paulie Walnuts Schläfen noch nicht ergraut waren, sondern voller Brillantin Brutal glänzten.
Im aktuellen Album „In The Land of Giants“ (2013, Lucky Number) legen es die Caged Animals nun etwas optimistischer an. Vin und Magali erwarten bald Nachwuchs, weswegen Magali bei der anstehenden Österreich-Tour (Termine rechts im Kasten) fehlen wird. Er habe versucht, das Digitale mit dem Humanen zu versöhnen, so Cacchione im FM4-Interview, ein löbliches bis heikles Unterfangen in Zeiten des Privacy-Blues und der Social-Media-Paranoia.
Stop Hurting Each Other
Die Platte beginnt mit einem digitalen Stöhnen, über das sich ein hoffnungsfroher Twinkle-Twinkle-Sound aus der Hollywood-Idylle legt. „Well, I’m struggling for some meaning, in this quiet little room“, beklagt das erzählende Ich die Vereinzelung im Vernetzten. Nach der Sinnfrage kommt aber bereits ein Lösungsvorhlag mit Imperativ. Im zweiten Song „Don’t Hurt Each Other“ gibt Vin über eine elektronische Marimba den Friedensstifter, und zwar mit solch gütigem Sendungsbewusstsein, dass man alle Gegenwehr fahren und die Hände in den Schoß fallen lässt, wo sie in Wärme verharren.
Damit die Neulandsichtung des Humanen nicht mit der Gründungshymne einer Sekte verwechselt werden kann, schieben die Caged Animals in den folgenden Stücken deutlich an und schlagen mit fiepender Elektronik Schneisen in ihre Utopien. Das sonische Querschläger- und Übertreibertum hat man sich von den gemeinschaftlichen Jugendtagen im Sidewalk Cafe im East Village gemerkt. Dort hat Cacchione den Herbst der Anti-Folk-Bewegung miterlebt und mit den Moldy Peaches und einer Regina Spektor Freundschaft geschlossen.
Ein Signature-Sound der Caged Animals ist das leicht verstimmte Gitarrensolo, das besonders effektiv in „Teflon Heart“ den Vollmond anheult, aber auch auf aktuellen Stücken wie „U Yr Rocketship“ und „The Sound Of Thunder“ für zivilisatorisches Unwohlsein sorgt.
Wenn die Caged Animals im Rahmen ihrer Österreich-Tour am FM4-Geburtstagsfest in der Ottakringer Brauerei auftreten, werden sie auch ihr neues Album „The Overnight Corner“ vorstellen. Vin hat einen Roman gleichen Namens geschrieben, der sowohl als Stand-Alone wie auch als Kompendium zum Album funktioniert. Es geht um einen Mann, der in einem Leichenhaus arbeitet und es erzählt die Geschichte der Toten, die dort bis zu ihrer Identifizierung gelagert werden. Apropos gruftig, noch in diesem Jahr steht ein Projekt unter Mitwirkung von Nick Cave an. Darüber durften die beiden Caged Animals beim Interview aber leider noch nichts Konkretes verraten.