Erstellt am: 8. 1. 2014 - 18:55 Uhr
Das würdevolle Comeback des Bertrand Cantat
Zwischen Lille im Norden und Marseille im Süden flogen dem tiefsinnigen Sänger mit der berührenden Stimme und dem Engagement gegen Rassismus etc. mit Songs wie "Tostaky" die Herzen zu. Bis eben genau dieser Bertrand Cantat zum Totschläger wurde. Jetzt veröffentlichte er erstmals wieder eine Platte und geht auch auf Tour.
Kein Mitleid mit Bertrand Cantat, sagen die einen. Er hat Menschen durch seine Tat - das Auslöschen eines Menschenlebens, den Totschlag von seiner Freundin Marie Trintignant - die Hölle auf Erden bereitet, unsägliches Leid hinterlassen. Er sei, sagen andere wiederum, dabei aber auch selbst durch die Hölle gegangen, und sie wird ihn auch nie wieder richtig loslassen; Bertrand Cantat hätte für seine Tat bezahlt und das Recht, wieder Musik zu machen.
Die Online-Foren in Frankreich sind voll mit Meinungen zu Bertrand Cantat. Da gehören Postings wie "Wenn ich dieser Typ wäre, dann würde ich mich in der Wüste Gobi verkriechen, anstatt wieder auf eine Bühne zu gehen" noch zu den freundlicheren. Aber auch uneingeschränkten Cantat-Support gibt es, Stimmen die mahnen, dass Cantat von einem Gericht verurteilt worden war und nun schon seit ein paar Jahren wieder ein freier Bürger wie jeder andere ist, und er damit auch wieder einer Tätigkeit nachgehen darf. Seine Tätigkeit, sagen die Cantat-"Verteidiger" - zu denen auch ich mich zähle - sei nun einmal die Musik, und eine weitere Verurteilung, durch eine Art Lynch-Mob, ist abzulehnen.
Letztere Meinung herrscht in den Medien außerhalb von Frankreich auch insgesamt vor, sachlich, mit einer gewissen Empathie für die tragische Figur Bertrand Cantat, und mit Respekt für seine künstlerischen Leistungen wird etwa in der Schweiz, in Luxemburg oder in Deutschland über das Comeback des so tief gefallenen einstigen Helden berichtet.
Aber auch in Frankreich gab es viele positive Rezensionen, sowohl sein Album als auch insgesamt seine Rückkehr als Musiker betreffend. Es ist ein Comeback, an das Cantat wohl selbst nicht so ganz geglaubt haben dürfte, auch wenn er in den letzten paar Jahren immer wieder mit Gastauftritten bei Konzerten befreundeter KünstlerInnen vorgefühlt hatte, ob es denn für einen wie ihn überhaupt noch ein Publikum geben könnte.
Da waren etwa zwei Songs mit der Band Eiffel - die wie Cantat im südwestfranzösischen Bordeaux zuhause ist - bei denen er mitmachte, und dann im Herbst 2010 ein Gastauftritt mit Eiffel in Bordeaux, wo dem noch immer jungenhaft erscheinenden Bertrand Cantat ein kleiner Jubelschwall entgegenschlug, als seine unverkennbare Stimme erklang.
Dann gab es einen Song mit Brigitte Fontaine, der Grande Dame der französischen Avantgarde-Kunst und einer der größten Cantat-Verteidigerinnen überhaupt; "Les Vergers" war ein unter die Haut gehendes Duett mit der Fontaine, die Neuaufnahme eines Fontaine-Stückes aus den 1970er Jahren. "Mir blieb beinahe die Luft weg", sagte Brigitte Fontaine dazu in einem Interview, "als ich Bertrand Cantat wieder singen hörte. Es gibt in Frankreich niemanden, der singt wie er."
Auch auf die Bühne lud Brigitte Fontaine Bertrand Cantat ein, ebenso wie die junge Witwe der verstorbenen französischen Musiklegende Alain Bashung, ihn zu einem Tribute-Abend für Bashung bat, an dem Cantat, ohne das zu beabsichtigen, allen anderen mit seiner Version von "Comme Un Légo" die Show stehlen sollte. Mit Alain Bashung hatte Bettrand Cantat einmal auch zur Zeit von Noir Désir gesungen.
Mit Amadou & Mariam in Mali
Gleich vier Songs machte Bertrand Cantat zusammen mit Amadou & Mariam, dem Superstar-Paar aus Mali, auf ihrem aktuellen Album. Zu "Oh Amadou" gibt es ein Video, in dem Bertrand Cantat von Amadou und Mariam an einem Bahnhof in Mali abgeholt wird und dann das blinde Paar im Auto chauffiert.
Man macht zusammen am Lagerfeuer Musik, Bertrand Cantat legt ein Tänzchen mit Mariam hin und Amadou grinst. Irgendwann lässt Cantat den blinden Amadou dann ans Steuer des leicht antiken Autos: Mariam lacht am Rücksitz herzhaft, Amadou hat Spaß beim Lenken, und Bertrand Cantat feixt mit den beiden. "Endlich kann Bertrand wieder lachen", postet jemand zum YouTube-Video. "Dieser Mörder sollte besser nicht lachen, sperrt ihn wieder ein!", postet jemand anderer. Also, her mit dem mittelalterlichen Verlies im Turm - Brot, Wasser, Ratten, das müsse doch reichen für Bertrand Cantat? Was sagen Amadou & Mariam? "Dort, wo wir herkommen, in Afrika, hat Vergebung einen viel höheren Stellenwert als hier in Europa", so Mariam Dumbia. "Wir verzeihen Bertrand Cantat das was er im Affekt getan hat. Ich kannte Noir Désir nur ein wenig, aber als ich Bertrands Stimme mit seiner Band einmal im Radio hörte, war ich hin und weg. Als er uns jetzt bat, ob er ein wenig mit uns Musik machen könnte, haben wir sofort ja gesagt. Wir luden ihn zu uns nach Mali ein und nahmen ein paar Lieder mit ihm auf. Das hat ihm gutgetan. Er ist jetzt ein anderer Mensch."
Amadou & Mariam, zwei Persönlichkeiten von höchster Integrität, künstlerischer und menschlicher. Wenn jemand wie sie Bertrand Cantat akzeptiert, dann könnte ihm ein Comeback gelingen, analysierte Frankreich nach dieser Zusammenarbeit. Nachsatz: Aber einfach wird es nicht. Zwei Mal stand Bertrand Cantat dann auch auf französischen Festivalbühnen als Gast von Amadou & Mariam, einmal bei einem zum Teil staatlich subventionierten Kulturfestival in Südfrankreich, und ein anderes Mal - im Sommer 2012 - im Norden des Landes beim Les Eurockéennes Festival. Bei ersterem gab es danach Proteststimmen, dass Cantat kein Vorbild für die Jugend sei, mit letzterem Auftritt lief alles glatt - Cantat hatte ein tolles Konzert von Amadou & Mariam bereichert, warum sollte es also Einwände geben?
"Ganz genau", meint auch die Schweizer Musikerin Sophie Hunger. "Das müsste man mir erst erklären, warum Bertrand Cantat das nicht dürfen sollte." Sie coverte auf einer ihrer Platten "Le Vent Nous Portera" von Noir Désir und spielte ihre wunderschöne Coverversion auch bei ihrem letzten Wien-Konzert. "Niemand war dabei in dieser Nacht (als Marie Trintignant ins Koma fiel, und später starb), niemand weiß, was genau geschah. Ich würde mir nicht anmaßen, Bertrand Cantat für immer zu verurteilen."
Sophie Hunger geht noch weiter: "Es gibt viele Menschen, die Menschen umgebracht haben, die wir aber zulassen - ich denke da etwa an große Konzerne. Cantat ist ein großer Künstler, der Musik geschaffen hat - unabhängig von seiner persönlichen Biografie - woraus Realitäten entstanden sind." Aber Sophie Hunger weiß auch: "Cantat ist für die FranzösInnen so etwas wie ein nationaler Spiegel. Sie erleben seine Lebensgeschichte wie eine französische Geschichte. Sie erleben ihre eigenen Werte an ihm, aber ich bin in dieser Situation nicht Französin. Es gibt Menschen, die mehr sind als Individuen." Zusammengefasst: Sophie Hunger möchte Bertrand Cantat nicht einzig als denjenigen sehen, unter dessen Händen jemand zu Tode gekommen ist.
Das tut auch die französische Band Shaka Ponk nicht. Ihre Musik ist eine gelungene Mischung aus Hardcore-Rock und Elektronik. Bertrand Cantat spielte mit der Band einen Song ein und präsentierte diesen dann auch bei einem Gastauftritt in Paris. Cantat hatte Shaka Ponk mit seinem Gastspiel einen ordentlichen Bekanntheits-Boost verschafft, als Revanche durfte er letzten Jänner im Pariser Bercy-Stadion dann zusammen mit der Band einen Led Zeppelin Song zum Besten geben, im charmant holprigen Englisch, das Bertrand Cantat spricht und singt.
Seine Sprache ist die französische. Er spielt sie wie ein Musikinstrument, holt jede Nuance aus ihr heraus. Als er letzten Jänner dann im Bercy auch einen Song spielte, ganz ohne Shaka Ponk, aber im Rahmen ihres Konzertes, gab es tosenden Applaus für Bertrand Cantat und seinen neuen Mitmusiker Pascal Humbert. Die beiden spielten eine Coverversion von "Avec Le Temps", einem Stück des verstorbenen französischen Künstlers und großen Anarchisten Léo Ferré. Ein Stück von ohnehin großer Intensität, bekam hier nochmals eine ordentliche Portion Tiefe hinzu.
Darf es noch Applaus geben für jemanden, der eine kriminelle Tat begangen hat wie Bertrand Cantat? Das ist die Frage, um die sich die Diskussion im Vorfeld der Plattenveröffentlichung in Frankreich drehte. Im spanischen Barcelona war Bertrand Cantat gar komplett unerwünscht, als er im Jahr davor Teil einer Theaterproduktion war, die auch in Belgien, der Schweiz und in Kanada zu sehen war. Kanada verweigerte Bertrand Cantat die Einreise, als er mit dem Stück - als eine(r) von vielen Mitwirkenden - dort auftreten hätte sollen. "Les Femmes" - ein zugegeben nicht ganz gut gewählter Titel, das sagt selbst Brigitte Fontaine - unter der Regie des libanesisch-kanadischen Ausnahme-Theatermachers Wajdi Mouawad, zeigte einen Bertrand Cantat, der wieder zeigte, dass seine Stimme noch immer da war, seine Bühnenpräsenz nichts eingebüßt hatte. Gänsehaut bei den Songs, vor allem bei "Les Mouillages". Die Sophokles-Tragödien ins Hier und Jetzt transportiert vom genialen Wajdi Mouawad.
Wajdi Mouawad gehört ebenfalls zu den größten Cantat-Unterstützern. Der als Kind aus den libanesischen Kriegswirren mit seinen Eltern ins französische Rouen geflohene Mouawad hatte sich nach einigen Jahren gut in Frankreich eingelebt, als er und seine Familie die Nachricht erhielten, sie dürften nicht in Frankreich bleiben, sondern müssten nach Montreal, Kanada ausreisen. Ein weiteres Trauma des Weggehen-Müssens für den jungen Mann aus dem Libanon. Mouawad, dessen Stück "Incendies" etwa auch am Burgtheater in Wien aufgeführt wurde ("Verbrennungen"), schrieb einen Brief an Bertrand Cantat, als dieser im Gefängnis im südfranzösischen Muret, nahe Toulouse, einsaß. Es war der Beginn einer Freundschaft, die sich auch auf dem Comeback-Album von Bertrand Cantat niederschlägt. Die erste Single "Droit Dans Le Soleil", etwa "straight into the sun", komponierten Cantat und Mouawad im Libanon, und nahmen dieses großartig reduzierte Stück - Stimme und Gitarre - auch gleich dort auf; der Brite John Parish (PJ Harvey, Portishead, Eels etc) nahm dann in London die Endmischung vor; ein Violoncello war im Aufnahmestudio in der Provence noch dazugekommen.
Mit "Droit Dans Le Soleil" arbeitet Bertrand Cantat die Zeit im Gefängnis auf: Von der Liebe, die zu Staub wird, singt er ("quand l´amour revient a la poussiere"); von menschlichen Seelen, die keinen Schlaf finden und sich an seinem Fenstergitter zeigen ("a la croisée des âmes sans sommeil"), oder vom wilden Tier, das jeden Tag in die Kampfarena zurückkehrt ("fauve au milieu de l´arène"). Ein minimalistischer Song mit enormer Strahlkraft. Auch andere Songs auf seinem Album "Horizons" beschäftigen sich mit der Zeit, die Bertrand Cantat hinter Gittern verbrachte, etwa das Titelstück mit den Zeilen "Il ne fait jamais nuit sous ce jour de néons": Es wird niemals Nacht an diesem Tag im Neonlicht.
Das Neonlicht in der unterirdischen Zelle im Gefängnis von Vilnius in Litauen brannte von 6.00 morgens bis 22.00, und auch dann gab es weiterhin ein kleineres Licht, war Cantat doch 24 Stunden unter Beobachtung, weil die Gefängnisleitung fürchtete, er würde (erneut) versuchen, sich das Leben zu nehmen. Das Neonlicht, sagte Bertrand Cantat letzten Oktober in einem längeren Interview - seinem ersten seit mehr als zehn Jahren - mit dem französischen Musikmagazin Les Inrockuptibles, habe sich in seine Augen eingebrannt.
"Cantat parle", Cantat spricht - titelte das Magazin und porträtierte einen nachdenklichen, reifen und äußerlich sichtlich gealterten, aber gewissermaßen kämpferischen Bertrand Cantat; einen Überlebenden, der sich Schritt für Schritt in ein Leben zurück kämpft, das reich an kaum zu überwindenden Hürden scheint. Da geht er auf den Fotos über die Pont de Pierre in Bordeaux, über diese wunderschöne alte Brücke jener Stadt, die ihn nie wirklich fallengelassen hat. Hört man sich um in Bordeaux, etwa im Plattengeschäft "Total Heaven", dann heißt es auch dort, dass Bertrand Cantat erstens das Recht hat, wieder Musik zu machen, und zweitens, dass es gut ist, dass er wieder da ist.
Nichts von all den Hasstiraden aus den Webforen oder der Boulevardpresse, sondern besonnene Worte über den tragischen Sohn der Stadt. Der Les-Inrockuptibles-Fotograf leistet hervorragende Arbeit und porträtiert einen Bertrand Cantat, der gewissermaßen auf der Pont de Pierre ins düstere Nirgendwo schreitet, und dennoch wieder ein Ziel vor Augen hat.
Bordeaux
Aufrecht und geraden Schrittes versucht er auf den Les-Inrockuptibles-Fotos zu gehen; genau das tut Cantat seit er wieder in Freiheit ist. Und dennoch wird ihm neben dem Tod von Marie Trintignant auch der Suizid seiner Frau, der aus Ungarn stammenden Krisztina Rady - sie hatte das Sziget-Festival mitbegründet - mehr oder weniger angelastet.
Krisztina - sie hatte Bertrand Cantat stets verteidigt - hatte sich etwas mehr als zwei Jahre nachdem Cantat wieder aus dem Gefängnis gekommen und man sich wieder näher gekommen war, erhängt. Der 12jährige Sohn fand die tote Mutter. Bertrand Cantat und Krisztina Rady hatten einander bei einem Konzert von Noir Désir kennengelernt, das das Multi-Sprachentalent Krisztina, die ein Stipendium für die Pariser Sorbonne bekommen hatte, zu Beginn der 1990er Jahre in Budapest veranstaltete. Heirat und Familiengründung in Bordeaux folgten.
Krisztina erwartete gerade das zweite gemeinsame Kind, als Bertrand Marie Trintignant kennenlernte. Die Tochter des großen französischen Schauspielers Jean-Louis Trintignant wurde Bertrand von seiner jüngeren Schwester Ann vorgestellt. Ann Cantat war Regieassistentin bei einem Film mit Marie Trintignant. Die beiden Frauen freunden sich an. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Nach der Geburt seiner Tochter verlässt Cantat dann die vermeintlich starke Krisztina und zieht mit nur ein paar Habseligkeiten zu Marie Trintignant nach Paris, um diese Liebe zu leben; Marie hatte wiederum ihren letzten Ehemann, den Vater des jüngsten ihrer vier Kinder, gebeten, aus ihrem Stadthaus auszuziehen. Eine komplexe Situation.
Die hochgeachtete, eng miteinander verbundene Pariser Schauspieler-Familie und der sensible Musiker aus dem Süden, dessen Vater eine Militärkarriere hinter sich hatte - von Anpassungsschwierigkeiten Cantats im Trintignant-Clan war die Rede, davon, dass er sich nicht akzeptiert fühlte.
Alle rätselten, wie es in jener Nacht im Sommer 2003 zur Tragödie in Vilnius kommen konnte. Bertrand war immer impulsiv, aber doch kein brutaler Typ, sagte Ann Cantat damals im einzigen Interview, das sie je gab, aber auch Marie war nicht jener sanfte Engel, als der sie stets beschrieben wurde, so ihre Freundin Ann. Großer Erfolg, Unreife, Exzess, Drogen, Alkohol, Depressionen, der Verlust eines Realitätssinnes - was auch immer dazu führte, dass Bertrand Cantat durchdrehte und Marie Trintignant das Leben nahm, es gibt jedenfalls keine vergleichbare Tragödie in der Künstlerwelt.
Universal Music
Was war Bertrand Cantat nun geblieben? Außer engsten Familienangehörigen eine Handvoll Freunde, zu denen auch der französische Barclay/Universal-Music-Chef Olivier Caillhart zählt. Cantats Mutter - sie hatte den Tod Marie Trintignants kaum verkraftet - war kurz vor der Entlassung ihres Sohnes aus dem Gefängnis gestorben, sie hat ihn nicht mehr in Freiheit gesehen. Bertrand Cantats älterer Bruder, Xavier - heute der Lebenspartner der französischen Wohnbauministerin Cécile Duflot - und seine Noir-Désir-Bandkollegen standen weiter felsenfest hinter ihm. Gitarrist Serge Tissot-Gay verließ Noir Déz jedoch nach Streitigkeiten im Herbst 2010, noch vor einem möglichen Band-Comeback, was das Ende von Noir Désir war. Und die Ex-Schwiegereltern in Budapest begannen, Cantat mit diversen Mutmaßungen mehr oder weniger mitverantwortlich für den Freitod ihrer Tochter zu machen.
Das Gefängnis, so sagten sie in ihrem Ferienhaus am Balaton, aufgespürt vom französischen Boulevard-Magazin Paris-Match, hätte aus Cantat wohl mit Sicherheit keinen besseren Menschen gemacht. Von psychischem Terror gegen Krisztina war die Rede, und auch von vermutlich physischem, der sie in den Suizid getrieben haben soll. Als dann vergangenen Sommer noch eine verzweifelte, etwas verwirrte Anrufbeantworter-Message der jungen Frau an ihre Eltern an die Öffentlichkeit gelangte, schien Bertrand Cantat wieder vor einer möglichen Anklage zu stehen: Da sich Krisztinas Eltern einer solchen aber nicht anschlossen und sich der Hauptankläger - ein angeblicher Liebhaber Krisztinas - und dessen Anwältin zerstritten, brach die Sache in sich zusammen. Dennoch: Wieder eine Tragödie. Insgesamt, und vorallem für die Kinder, die sich langsam an ein Leben ohne Mutter zu gewöhnen begannen, und gerade wo Cantat dabei war, sein erstes Album seit 2002 zu veröffentlichen.
Bertrand sollte sich schon fragen, was er falsch macht, mit den Frauen, von denen er sagt, sie geliebt zu haben, sagten die AstrologInnen nun und empfahlen, dass er dringend an sich arbeitet. Das tut er aber ohnehin. Bertrand Cantat nahm psychologische Hilfe in Anspruch, in und nach dem Gefängnis. Auch Cantats Anwalt, der französische Advokat Olivier Metzner, ein renommierter Strafverteidiger, hatte letzten Frühling seinem Leben ein Ende gesetzt. Aber sicherlich nicht wegen Cantat, so Vertraute des Anwalts. Was ist nur los? Kein Mitleid mit Bertrand Cantat? Ich tu mir schwer, ob all dieser Geschehnisse, keine gewisse Empathie zu empfinden.
LesInrocks
In Frankreich wurden Stimmen laut, dass jener Les-Inrockuptibles-Journalist, der das Cantat-Interview führte, zu wenig hart mit ihm ins Gericht gehe, obwohl Bertrant Cantat in diesem Interview klarstellt, er verleugne nichts, er weiß, dass er etwas gemacht hat, was nicht mehr gut zu machen ist. Auch sagt er in diesem Interview, dass er gar nicht gedacht hatte, dass er je wieder Musik machen würde. Tischler wollte er nach dem Gefängnis werden, aber dann sagte ihm die Gefängnis-Betreuung, die ihn auf die Freilassung vorbereitete, er müsse das tun, was er am besten kann: Musik machen. Also das was er machte seit er 15 Jahre alt war.
"Ja, zuhause, in den vier Wänden, aber doch nicht öffentlich", meldete sich Jean-Louis Trintignant zu Wort, der Vater von Marie, dessen Schmerz über den Verlust der Tochter wohl kaum in Worte zu fassen ist. "Ich weiß nicht, ob es Hass ist", sagte Oscar-Gewinner Trintignant zuletzt, als das Album von Bertrand Cantat erschien, "aber ich würde die Seite wechseln, sollte ich ihm auf der Straße begegnen."
Die Entschuldigungen von Bertrand Cantat an Marie Trintignants Familie waren von dieser stets abgelehnt worden. Ist Marie der "ange de désolation", der Bertrand Cantat im gleichnamigen Song am Détroit-Album jeden Tag besuchen kommt? Oder ist es Krisztina? Oder eine Art Schutzengel, der allen von dieser Tragödie Beeinträchtigten Trost schicken sollte? "Schlaf, mein Engel der Trostlosigkeit", singt Bertrand Cantat, dem wohl klar war, dass jedes Wort in den Songtexten analysiert werden würde. In "Terre Brûlante" ist er fast wieder der zornige, politisch denkende, sozialkritische Mann aus der Zeit mit Noir Désir, bevor er zärtliche Lieder sang wie "A Ton Etoile" - zusammen mit Yann Tiersen.
Dass seine zarte Seite und all das Schöne, das er und Marie - und auch Krisztina - teilten, wie weggeblasen und er nur noch ein Monster war, beklagt Bertrand Cantat im Les-Inrockuptibles-Interview. Und dass er nie wirklich die Chance hatte, sich zu erklären, auch vor Gericht in Litauen nicht. Aber sonst klagt er keineswegs über sein selbst verursachtes Schicksal. Bertrand Cantat erzählt bloß, und das muss ihm erlaubt sein. "Ich habe das Gerichtsurteil immer akzeptiert, aber ich akzeptiere keine weiteren Verurteilungen", sagt jener Mann, dessen Landhaus, südlich von Bordeaux im Hinterland gelegen, 2003 abgefackelt wurde. Der Täter wurde nie gefunden.
"Avec le temps, va, tout s´en va. On oublie la visage et l´on oublie la voix...Avec le temps tout va bien." - Léo Ferré, 1970.
Mit der Zeit, mit der Zeit geht alles weg, heißt es in Léo Ferrés tief berührendem und auch so verstörenden "Avec Le Temps". Man vergisst das Gesicht und man vergisst die Stimme, heißt es im Ferré-Song, in dem auch von verlorenen Jahren die Rede ist, aber dass mit der Zeit letztlich irgendwie alles gut wird. Irgendwie. Spricht sich Bertrand Cantat da Trost zu? "Ich wollte diesen Song immer schon aufnehmen", sagt er im Les-Inrockuptibles-Interview, "aber ich konnte es erst jetzt tun".
Frah, der junge Mastermind von Shaka Ponk, wirbelt ein wenig dunkle Elektronik drunter und Pascal Humbert, der Multiinstrumentalist, der vorallem am Bass brilliert, holt das Ultimative aus seinem Kontrabass heraus. Humbert ist ein fantastischer Sideman, ein ruhender Pol, eine diskrete Persönlichkeit, die Betrand Cantat mehr lenkt und ihm den Weg weist, als man erst denken würde.
Pascal Humbert spielte bei der US-Band 16 Horsepower und dann auch beim Nachfolgeprojekt ihres Sängers David Eugene Edwards, davor war er in Paris bei der Band Passion Fodder, rund um den Amerikaner Theo Hakola. Letzterer hatte Noir Désir entdeckt und die ersten Songs mit der Band aufgenommen. So schließt sich ein Kreis. Gerade mit Pascal Humbert unter dem Namen Détroit Musik zu machen, war eine gute Entscheidung. Détroit steht im Französischen für Meerenge, aber dieser Projektname ist natürlich auch ein Wortspiel, eine Anspielung auf die US-Stadt und die Musiker dort, die den jungen Bertrand Cantat einst dazu inspirierten, Noir Désir zu gründen: The MC5 oder Iggy & The Stooges.
UniversalMusic
"Horizons" ist letzten November in Frankreich auf Platz 2 der Charts eingestiegen, hinter dem belgischen Wunderkind Stromae, und verdrängte die französische Fixgröße Etienne Daho und dessen neues Album. Eigentlich hätte es jetzt einmal nur bei diesem Album bleiben sollen, über Konzerte wollte Bertrand Cantat erst gar nicht nachdenken. Mit dem Erfolg des Albums wurden dann aber rasch drei Auftritte in Paris fixiert, für Juni 2014. Sie waren innerhalb von Minuten ausverkauft. Eine Tour durch Frankreich davor wurde nun hinzugefügt, auch diese Termine sind beinahe komplett ausverkauft.
Nun gaben Bertrand Cantat und Pascal Humbert - während der Proben für die Tour - einer Radiostation in Bordeaux ein Interview: "Super heureux" sei er, sagt Bertrand Cantat, superglücklich, dass die Platte so gut aufgenommen wird und es soviele Menschen gibt, die Détroit live sehen möchten. Es war ein noch überwältigenderes Gefühl für ihn, als er "Horizons" in den Händen hielt, als damals bei der ersten Noir-Désir-Platte, sagt er. Und da ist er wieder ganz der Alte aus den Tagen, als Noir Désir groß wurden: "Das alles passiert einzig zwischen uns und der Straße." Da ist kein Marketing dahinter, just word of mouth.
Ein Licht am Ende des niemals endenden finsteren Tunnels für Bertrand Cantat? Ein wenig. Er hat es sich gewissermaßen verdient. "Ich bin jetzt ein Anderer, und ich muss lernen, in der Gegenwart zu leben", sagt Bertrand Cantat. Die Worte (des Psychotherapeuten an Cantat?) in Gottes Ohr. In der Tat: ein würdevolles post-apokalyptisches Comeback, das das tut was der Kunst gelingt, wenn sie gut ist: Die berückenden Songs berühren. Und eine Ode an die Musik gibt es dabei auch: In "Ma Muse" heißt es "la petite musique se glisse entre les interstices." Die Musik, sie hat schon so manchen, der/die im Leben nicht zurecht kam, gerettet.