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Philipp L'heritier

Ocean of Sound: Rauschen im Rechner, konkrete Beats, Kraut- und Rübenfolk, von Computerwelt nach Funky Town.

5. 1. 2014 - 14:59

Love Actually

Der Song zum Sonntag: jj - "My Boyz"

jj sind viel mehr ein Konzept als eine Band. Lange bevor Geheimniskrämerei zum gängigen und kaum mehr ein Schulterzucken werten Modus zur Hype-Generierung überstrapaziert worden war, übten sich jj schon in der schönen Praxis, anonym zu sein. Woher stammen denn diese feinstofflichen, nebulösen Melodien, dieser sphärische Flüster-Gesang, diese aus Zuckerwatte geformten Beats, die mir da aus diesem magischen Internet entgegenpurzeln – so konnte man sich beispielsweise 2009 noch fragen. Spannend war das.

Das Duo, so weiß man mittlerweile schon seit geraumer Zeit – ebenso wie man weiß, dass Bandzusammensetzung und biografische Faktenlage in Hinblick auf den künstlerischen Output oft sehr uninteressant sein können – entspringt dem Dunstkreis des fabelhaften und fast schon mythologischen, jedenfalls sagenumwobenen schwedischen Labels Sincerely Yours. In Göteborg werden da seit Mitte der Nuller-Jahre rund um zentrale Acts wie The Tough Alliance, ceo, Air France oder eben jj Punk-Attitude, aufrührerischer Geist und Kunst- und Philosophie-Beflissenheit in die fließendsten Kostüme der Popmusik gekleidet.

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Kapuze auf: jj

Die Künstler auf Sincerely Yours bevorzugen allesamt die Aura des Mysteriösen, immer wieder werden kleine Manifeste veröffentlicht, als Merchandise-Artikel beispielsweise schusssichere Westen feilgeboten. Musikalisch gibt es hier jedoch den süßlichsten Synthie- und Twee-Pop zu erleben, gut gefederten Dub, sirenenhaft die Menschheit einlullendes Kosmisches Kraut oder elastische Neo Disco. Oder alle gleichzeitig, zu einem lieblichen Mus verrührt.

jj – selbst wenn sie mittlerweile auch bei dem Label Secretly Canadian veröffentlichen – sind prototypisch für die Gang von Sincerely Yours. Alles bei jj ist komplett ausgedacht. Bislang wollte sich ihre Musik sehr oft eher als Kommentar zur Musik verhalten. Der Lieblingstrick von jj ist die Umdeutung und Neupositionierung von HipHop- und R'n'B-Mustern: jj haben in ihren Produktionen und Mixtapes gerne aus Hits bekannte Beats eingebaut und diese mit Dream-Pop kombiniert oder, andersherum, Rap-Passagen aus Stücken von zum Beispiel Kanye West indieband-mäßig nachgesungen und über ein Gitarrengerüst gestülpt. Daraus ergaben sich interessante Synergie-Effekte, viele Phrasen wurden durch den neuen Kontext als die hohlen Hülsen ausgestellt, die sie sind.

Gleichzeitig war die Musik von jj eben auch perfekte Dokumentation eines vor wenigen Jahren noch frisch und wild empfundenen Geistes, des post-internet-Gedankens des "Alles Geht". Der Stolz, jetzt auch HipHop zu sein, der von so vielen sich bis dahin selbst als "indie" begreifenden Menschen vor sich hergetragen wurde. Wenn jj eine hiphop-patriotische Parole persiflierend "Am I From The West Coast?" singen, wird der collagenhafte Charakter ihrer Arbeit deutlich. Das passt nicht zusammen und erzeugt spannende Reibung.

Lange war das lustig, mittlerweile ist die Idee schon ein bisschen müde geworden. Auf ihrer neuen Single meinen es jj jetzt also auch einmal so richtig ernst. HipHop-Signale und -Reizwörter funkeln in "My Boyz" (der Titel, ach) zwar nach wie vor, sie funktionieren hier aber weitgehend als kleine Gags am Rande und als Kitt für einen den Körper erschütternden Lovesong – und sind nicht reiner Selbstzweck.

Sängerin Elin Kastlander erzählt vom Jammer mit der Trennung von einem geliebten Menschen, dem Hadern und dem Zweifeln. Wollen wir weiter oder müssen wir? Feine Erinnerungen machen sich breit: "I'm starting to blush when I think about the things we did on that bus". Eventuell waren wir ungezogen und es war gut so. Ganz am Ende des Songs verlässt Kastlander die Hoffnung, "Happiness" lautet das letzte, mit letzter Kraft gehauchte Wort in "My Boyz". Die "Happiness" entfährt dem Körper: Die echte Liebe riskieren, glühen, scheitern, zusammenbrechen.